10. GWB-Novelle – mehr Spielraum für regionale Krankenhausfusionen

Mit dem am 19.01.2021 in Kraft getretenen GWB-Digitalisierungsgesetz (10. GWB-Novelle wird in § 186 Abs. 9 GWB eine bis Ende 2027 befristete Sonderregelung für Zusammenschlüssen im Krankenhausbereich eingeführt. Bestimmte Formen standortübergreifender Zusammenschlüsse von akutstationären Krankenhäusern werden von der deutschen Fusionskontrolle ausgenommen, soweit das Vorhaben nach der Krankenhausstrukturfonds-Verordnung (KHSFV) förderungsfähig und wettbewerblich im Übrigen unbedenklich ist. Auch wenn damit nicht alle Zusammenschlüsse im Krankenhausbereich von der Neuregelung profitieren können, bietet diese für die kommenden Jahre deutlich mehr Spielraum für regionale Krankenhausfusionen. Geplante Erwerbe von Alten- und Pflegeheimen oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) fallen zwar nicht unter diese Sonderregelung. Durch die Anhebung der zweiten Inlandsumsatzschwelle in § 35 Abs. 1/Abs. 1a GWB ergeben sich zukünftig aber auch hier erweiterte Möglichkeiten, das Vorhaben ohne Fusionskontrollverfahren zu vollziehen.

Hintergrund der Neuregelung in § 186 Abs. 9 GWB

Durch internes Wachstum, aber auch Übernahmen haben nicht nur große private Krankenhausgruppen, sondern auch Krankenhäuser in öffentlicher oder kirchlicher Trägerschaft mittlerweile immer häufiger eine Größe erreicht, bei der der Erwerb eines weiteren Krankenhauses oder auch nur einzelner Fachabteilungen, von Alten- und Pflegeheimen oder auch Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) der deutschen Fusionskontrolle unterfällt. Die fusionskontrollrechtliche Entscheidungspraxis des BKartA im Krankenhaussektor ist durch eine enge räumliche Marktabgrenzung gekennzeichnet; dies führt gerade bei regionalen Zusammenschlüssen häufiger zu wettbewerblichen Problemen. Auch weigert sich das BKartA mit Unterstützung des OLG Düsseldorf nach wie vor, mit standortübergreifenden Zusammenschlüssen einhergehende Synergieeffekte fusionskontrollrechtlich positiv als Effizienzgewinne anzuerkennen. Vielmehr ist es umgekehrt: Synergieeffekte bewertet das BKartA als zusammenschlussbedingten Wettbewerbsvorteil, der u.U. die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung erwarten lässt. Eine Reihe von Krankenhauszusammenschlüssen wurde deshalb in den vergangenen Jahren vom BKartA untersagt oder aufgrund drohender Untersagung von den Beteiligten aufgegeben.

Diese Entscheidungspraxis läuft den gesundheitspolitischen Zielen zuwider, durch Spezialisierung und Zentrenbildung eine wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen und wirtschaftlichen Krankenhäusern zu erreichen. Mit der Neuregelung soll nun die gewünschte Strukturänderung und Konsolidierung beschleunigt werden.

Welche Zusammenschlüsse werden privilegiert?

Die Neuregelung in § 186 Abs. 9 GWB nimmt bestimmte Zusammenschlüsse im Krankenhausbereich vom Anwendungsbereich der Fusionskontrolle aus. Dies bedeutet, dass diese Zusammenschlüsse auch dann nicht beim BKartA anzumelden sind, wenn die Anmeldevoraussetzungen erfüllt, insbesondere die relevanten Umsatzschwellen erreicht werden. Mangels Anmeldepflicht entfällt die materielle Prüfung des Vorhabens. Das Risiko einer Untersagung besteht mithin nicht.

§ 186 Abs. 9 GWB enthält allerdings keine Bereichsausnahme für den gesamten Krankenhaussektor. Vom Anwendungsbereich der Fusionskontrolle ausgenommen werden Zusammenschlüsse nur, soweit

  • diese eine standortübergreifende Konzentration von mehreren Krankenhäusern oder einzelnen Fachrichtungen mehrerer Krankenhäuser zum Gegenstand haben,
  • das Vorhaben förderungsfähig im Sinne des § 12a Abs. 1 S. 4 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 KHSFV ist und
  • dem Zusammenschluss keine anderen wettbewerblichen Vorschriften entgegenstehen.

Förderungsfähigkeit nach dem KHG

Zusammenschlüsse sind förderungsfähig, soweit sie die standortübergreifende Konzentration akutstationärer Versorgungskapazitäten, insbesondere Fachrichtungen mehrerer Krankenhäuser zum Gegenstand haben. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Hochschulkliniken und nichtuniversitäre Krankenhäuser gemeinsam Zentren zur Behandlung von seltenen, komplexen oder schwerwiegenden Erkrankungen an Hochschulkliniken bilden oder die beteiligten Krankenhäuser eine dauerhafte Zusammenarbeit im Rahmen eines Krankenhausverbunds, etwa durch gemeinsame Abstimmung des Versorgungsangebots vereinbaren. Die in § 11 Abs. 1 Nr. 2 KHSFV genannten Beispiele sind nicht abschließend, andere Konstellationen sind also ggf. ebenso privilegiert.

Die Privilegierung ist allerdings auf Zusammenschlüsse in Bezug auf akutstationäre Einrichtungen beschränkt. Soweit die Zusammenschlüsse ganz oder zumindest teilweise den Erwerb oder die Zusammenlegung von Altenpflege- oder Reha-Einrichtungen oder von MVZ zum Gegenstand haben, unterfallen sie weiterhin der deutschen Fusionskontrolle, sofern die Anmeldevoraussetzungen erfüllt sind. Für diese Vorhaben ergeben sich aber aufgrund der Anpassung der Umsatzschwellen in § 35 Abs. 1/Abs. 1a GWB zukünftig zumindest erweiterte Möglichkeiten. Nach der Neuregelung wird die zweite Inlandsumsatzschwelle von derzeit 5 Mio. EUR auf 17,5 Mio. EUR angehoben. Sofern das Zielunternehmen zu 100 % erworben wird und in Deutschland nicht mehr als 17,5 Mio. EUR erzielt, ist der Erwerb somit fusionskontrollfrei. Dies erspart zumindest bei kleineren Transaktionen die Fusionskontrollanmeldung.

Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Kartellverbot

Die fusionskontrollrechtliche Privilegierung nach § 186 Abs. 9 GWB setzt schließlich voraus, dass dem Zusammenschluss keine anderen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Dies bedeutet, dass die Bildung des standortübergreifenden Krankenhausverbundes mit dem Kartellverbot des § 1 GWB vereinbar sein muss.

Relevant ist dies in erster Linie bei der Bildung von Gemeinschaftsunternehmen, also beispielsweise, wenn zwei Krankenhausgruppen jeweils eines von mehreren ihrer Krankenhäuser zusammenlegen, aber weitere Krankenhäuser unabhängig voneinander im Wettbewerb zueinander betreiben. Entsprechendes gilt bei der Zusammenlegung einzelner Fachabteilungen, sofern die Krankenhäuser bei anderen Fachrichtungen weiterhin konkurrieren. Die standortübergreifende Konzentration führt zu einer einseitigen oder ggf. auch wechselseitigen Spezialisierung, durch die der Wettbewerb zwischen den beteiligten Krankenhäusern im Spezialisierungsbereich beseitigt wird. Unter dem Gesichtspunkt des Kartellverbots unbedenklich sind solche Vorhaben prinzipiell dann, wenn - grob gefasst - über die Spezialisierung hinaus keine weiteren Wettbewerbsbeschränkungen vereinbart werden, die für den Zusammenschluss nicht zwingend erforderlich sind und die Patienten noch hinreichende Ausweichmöglichkeiten auf andere Krankenhäuser haben.

Zeitliche Befristung der Privilegierung

Die fusionskontrollrechtliche Privilegierung gilt nur für Zusammenschlussvorhaben, die bis zum 31.12.2027 vollzogen werden. Die wettbewerblichen Bedenken aufgrund der zunehmenden Marktkonzentration sollen also nur für eine begrenzte Zeit hinter das Konsolidierungsziel zurücktreten. Die Befristung entspricht deshalb der in § 12a KHG vorgesehenen Laufzeit des Strukturfonds zzgl. einer angemessenen Zeit zur Umsetzung der bewilligten Vorhaben. Durch die zeitliche Befristung soll auch die gesundheitspolitisch bezweckte Strukturveränderung beschleunigt werden.

Beobachtung und Bewertung durch das BKartA

Um die wettbewerbliche Wirkungen der Neuregelung in § 186 Abs. 9 GWB zu bewerten - ggf. auch im Hinblick auf eine etwaige Verlängerung der Befristung, ist das BKartA befugt, Sektoruntersuchungen (§ 32 e GWB) durchzuführen. Hierzu darf das BKartA von den in der untersuchten Branche tätigen Unternehmen Auskünfte und die Herausgabe von Unterlagen verlangen und Nachprüfungen, ggf. auch Durchsuchungen bei Unternehmen durchzuführen, um die für die Untersuchung des gesamten Sektors notwendigen Erkenntnisse zu gewinnen. Damit das BKartA die Marktentwicklung kontinuierlich beobachten kann, sind die Krankenhäuser verpflichtet, die privilegierten Zusammenschlüsse nach Vollzug dem BKartA anzuzeigen und diesem auf Anforderung Struktur- und Leistungsdaten, wie beispielsweise die Anzahl der DRG-Fälle mitzuteilen (vgl. § 21 Krankenhausentgeltgesetz – KHEntG).

Fazit

Die fusionskontrollrechtliche Privilegierung von Zusammenschlüssen im akutstationären Bereich beseitigt für die kommenden sieben Jahre einen wesentlichen Hemmschub für die Konsolidierungsbemühungen der regionalen Krankenhausverbünde. Allerdings müssen die fusionskontrollrechtliche Privilegierung und die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Kartellverbot im jeweiligen Einzelfall geprüft werden.

Weitere Artikel zum Thema