§ 312 Abs. 1 BGB und kein Ende …

Der Verfasser hat in mehreren Aufsätzen (zuletzt: WM 2016, 2011) darauf hingewiesen, dass nach § 312 Abs. 1 BGB Kapitel 1 und 2 des Untertitels „Grundsätze bei Verbraucherverträgen und besondere Vertriebsformen“ nur auf Verbraucherverträge anzuwenden sind, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben.

Dazu heißt es aktuell in BeckOKG/Madaus §765 BGB Rn. 61 zur Bürgschaft als möglichem Haustürgeschäft:

„Eine Subsumtion der Verbraucherbürgschaft unter diese neue Definition erscheint kaum mehr möglich. Die nur einseitig den Bürgen verpflichtende Bürgschaft hat keine Leistung des Unternehmers, also des Gläubigers, zum Gegenstand. Allenfalls aus dem Grundgeschäft oder aber den Motiven des Bürgen kann sich ergeben, dass die Bürgschaftsübernahme eine Kreditgewährung an den Hauptschuldner erreichen sollte. Dies kann als Bedingung beachtlich werden. Eine „mittelbare Entgeltlichkeit“ der Bürgschaft aus dieser konditionalen Verbindung von Bürgschaft und Kreditgewährung herzuleiten, wie es zum alten § 312 vertreten wurde, ist bei § 312 Abs. 1 in seiner aktuellen Fassung nicht mehr hilfreich, da zum einen das Entgelt nun vom Bürgen geleistet werden muss und zum anderen die Leistungspflicht des Unternehmers Gegenstand des Verbrauchervertrags sein muss. Gerade für Letzteres kann die Bürgschaft keine Grundlage bieten. Die unbesehene Anwendung des § 312 Abs. 1 würde mithin kein Widerrufsrecht des Bürgen ergeben.“

Nach dieser klaren Analyse des Wortlauts, der beizupflichten ist, schwenkt der Autor zu der These, der Gesetzestext gehe auf die Verbraucherrechterichtlinie („VRRL“) zurück und begründet deren Anwendbarkeit auf die Verbraucherbürgschaft mit der Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung.

Dabei wird Folgendes übersehen: Zwar ist richtig, dass Artikel 2 Nr. 8 VRRL als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag jeden Vertrag zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher definiert, der die situativen Voraussetzungen erfüllt. Andererseits ergibt sich aus dem 4. Erwägungsgrund der Verbraucherrechterichtlinie, dass hier nur der Direktvertrieb des Unternehmers an den Verbraucher gemeint ist.

Art. 3 Buchstabe d) VRRL schließt Verträge über Finanzdienstleistungen vom Anwendungsbereich aus. Richtig ist, dass Verbraucherbürgschaften keine Finanzdienstleistung sind. Aber Darlehen, die durch eine Verbraucherbürgschaft besichert sind, fallen nicht unter die VRRL. Aus der Akzessorietät zu einem Verbraucherdarlehen kann unter Geltung der VRRL daher nicht mehr die Anwendung des Haustür-Widerrufsrechts auf die Verbraucherbürgschaft folgen.

Es bleibt die Frage, ob die Verbraucherbürgschaft als solche unter die VRRL fällt. Das ist bei richtiger Auslegung der VRRL zu verneinen. Dazu wird hier auf den Leitfaden der Europäischen Kommission, Generaldirektion Justiz, zur VRRL verwiesen https://ec.europa.eu/info/law/law-topic/consumers/consumer-contract-law/consumer-rights-directive_en, der den Anwendungsbereich der VRRL quasi authentisch auslegt. Daraus und aus der Entstehung der VRRL folgt, dass die Formulierung „jeder“ Vertrag darauf zurückgeht, dass der Richtlinien-Gesetzgeber neben Kauf- und Dienstleistungsverträgen weitere Vertragskategorien geschaffen hat, nämlich Verträge über öffentliche Versorgungsleistungen und Verträge über digitale Inhalte. Dagegen deutet nichts darauf hin, dass hier andere als B2C-Verträge geregelt werden sollten.

Angesichts dieser Neuregelung kann auch die BGH-Rechtsprechung zur Vorläuferrichtlinie 85/577/EWG bzw. zu § 312 BGB a.F. (wie z.B. BGHZ 165, 363, 171, 180) nicht einfach übertragen werden.

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