Abfindungsforderung eines vor der Insolvenz ausgeschiedenen Gesellschafters in der Insolvenz einer GmbH & Co. KG

A. Einleitung

Meldet ein Schuldner Insolvenz an, stellt sich für Gläubiger die Frage, ob und in welcher Höhe sie ihre Forderung noch realisieren können. Dafür ist die insolvenzrechtliche Behandlung der Forderung von entscheidender Bedeutung.

In seinem Urteil vom 28. Januar 2020 (Az.: II ZR 10/19) befasst sich der zweite Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit der Frage, welchen Rang die Abfindungsforderung eines vor der Insolvenz ausgeschiedenen Gesellschafters in der Insolvenz einer GmbH & Co. KG einnimmt.

Seine Ergebnisse fasst der Senat in folgenden Leitsätzen zusammen:

"1. Die Abfindungsforderung eines vor der Insolvenz ausgeschiedenen Gesellschafters einer GmbH & Co. KG, deren Auszahlung gegen das Kapitalerhaltungsgebot der §§ 30, 31 GmbHG analog verstoßen würde,  ist erst bei der Schlussverteilung nach § 199 InsO zu berücksichtigen.

2. § 30 Abs. 1 GmbHG steht einer Auszahlung der Abfindungsforderung auch dann entgegen, wenn die Abfindung zum Zeitpunkt des Ausscheidens und auch noch ein Jahr danach aus dem freien Vermögen der Gesellschaft hätte bedient werden können. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist insoweit nicht entsprechend anwendbar."

B. Sachverhalt und Entscheidung (gekürzt und vereinfacht)

I. Sachverhalt

 

Der Kläger war Kommanditist einer GmbH & Co. KG (Schuldnerin) sowie Gesellschafter deren einziger Komplementärin (GmbH). Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung der GmbH wurde der Geschäftsanteil des Klägers im Jahr 2007 eingezogen, dadurch schied er nach dem Gesellschaftsvertrag der Schuldnerin zugleich als Kommanditist aus der GmbH & Co. KG aus. Das Ausscheiden des Klägers als Kommanditist wurde im Jahr 2008 in das Handelsregister eingetragen.

Nach dem Gesellschaftsvertrag der Schuldnerin stand dem Kläger der "buchmäßige Betrag seines Kapitalanteils - gegebenenfalls saldiert mit dem Kapitalverlustkonto, zuzüglich sein Guthaben auf dem Darlehenskonto bzw. abzüglich einer etwaigen Schuld auf dem Darlehenskonto, jeweils errechnet auf das Ende des Geschäftsjahres, in welches das Ausscheiden fällt" zu. Im Fall eines negativen Abfindungsbetrags hatte der Kläger den Negativsaldo durch Rückzahlung auszugleichen. Das Abfindungsguthaben bzw. die Abfindungsschuld wurde vom Ende des Geschäftsjahres, in welches das Ausscheiden fiel, mit 3 %-Punkten über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank verzinst. Das Abfindungsguthaben bzw. die Abfindungsschuld war in zehn gleichen Jahresraten zu zahlen. Die erste Rate wurde am Ende des Geschäftsjahres fällig, welches auf das Ausscheiden folgte, die weiteren Jahresraten jeweils ein Jahr später.

Im Jahr 2009 erhob der Kläger Klage gegen die Schuldnerin und die GmbH auf Zahlungen von Abfindungen für sein Ausscheiden nebst Zinsen. Im Jahr 2015, im Laufe des Berufungsverfahrens, wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und der GmbH eröffnet. Infolgedessen meldete der Kläger seine Abfindungsforderungen jeweils zur Insolvenztabelle an und stellte die nunmehr gegen den Insolvenzverwalter gerichtete Klage auf Feststellung der Abfindungsforderungen zur Tabelle um.

Das Berufungsgericht gab der Klage teilweise statt und stellte Abfindungsforderungen des Klägers gegen die GmbH als einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) sowie gegen die Schuldnerin als nachrangige Insolvenzforderung (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) zur Tabelle fest. Mit der Revision begehrte der Kläger, auch seine Abfindungsforderung gegen die Schuldnerin als einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zur Tabelle festzustellen.

II. Entscheidung

Der Senat gelangt zu dem Ergebnis, dass das Feststellungsbegehren des Klägers insgesamt hätte abgewiesen werden müssen. Dem Kläger kam jedoch zugute, dass der Beklagte keine Revision eingelegt hatte, so dass der Senat sich darauf beschränken musste, die Revision auf Kosten des Klägers zurückzuweisen und es damit bei der Entscheidung des Berufungsgerichts zu belassen. Der Senat stützt die Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:

1. Gesellschafterrechte vs. Gläubigerrechte

An den Anfang seiner Überlegungen stellt der Senat die Unterschiede zwischen Gesellschaftern und Drittgläubigern in der Insolvenz.

Ein Gesellschafter könne in der Insolvenz nicht die von ihm erbrachten Einlagen und Beiträge zurückfordern, denn die Einlage stelle haftendes Kapital der Gesellschaft dar. Mitgliedschaftliche Rechte von Gesellschaftern begründeten in der Insolvenz der Gesellschaft deshalb keine Insolvenzforderungen i.S.v. § 38 InsO. Ein Gesellschafter sei mit der Rückforderung seiner Einlage auf die Verteilung eines etwaigen Überschusses bei der Schlussverteilung gemäß § 199 InsO verwiesen. Das gelte auch für einen vor der Insolvenz ausgeschiedenen Gesellschafter. Dass er nicht mehr Beteiligter der Gesellschaft und daher vom Wortlaut des § 199 InsO nicht mehr erfasst sei, rechtfertige keine andere Beurteilung, da auch die Abfindungsforderung eines ausgeschiedenen Gesellschafters weiterhin haftungs- oder kapitalerhaltungsrechtlich gebunden sein könne (s. etwa §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG; §§ 172 Abs. 4, 171 Abs. 1 HGB).

Dagegen stellten Drittgläubigerrechte grundsätzlich Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO dar, ggf. mit Nachrang gemäß § 39 InsO. Auch Ansprüche, die aus dem Gesellschaftsverhältnis entstammen, sich aber von der Mitgliedschaft gelöst und rechtlich verselbständigt haben, so dass sie wie schuldrechtliche Ansprüche zu behandeln sind, seien insolvenzrechtlich als Gläubigerrechte anzusehen. Von reinen Drittgläubigerrechten unterschieden sie sich aber dadurch, dass sie trotz ihrer Verselbständigung ihren gesellschaftsrechtlichen Sinngehalt behielten und daher insoweit weiterhin gesellschaftsrechtlichen Bindungen unterliegen könnten.

2. Berücksichtigung der §§ 30, 31 GmbHG (analog)

Bei der insolvenzrechtlichen Einordnung der Abfindungsforderung eines bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschiedenen Gesellschafters sei etwaigen gesellschaftsrechtlichen haftungs- oder kapitalerhaltungsrechtliche Bindungen der Forderung, die einer gleichrangigen Befriedigung mit Forderungen anderer Gläubiger entgegenstehen können, Rechnung zu tragen. Anderenfalls werde der Zweck dieser materiell-rechtlichen Bindungen unterlaufen.

Wie etwaigen haftungs- oder kapitalerhaltungsrechtlichen Bindungen der Abfindungsforderung bei der insolvenzrechtlichen Einordnung Rechnung zu tragen sei, hänge von der jeweiligen Gesellschaftsform ab. Im vorliegenden Fall seien sowohl die für die Schuldnerin geltenden Haftungsregeln der §§ 171 ff. HGB zu berücksichtigen, als auch die nach der Rechtsprechung des Senats bei der GmbH & Co. KG für Auszahlungen der Kommanditgesellschaft an den Gesellschafter entsprechend anwendbaren Kapitalerhaltungsregeln der §§ 30, 31 GmbHG.

Die §§ 171 ff. HGB könnten jedoch im Ergebnis keine Anwendung finden, weil nach dem Sach- und Streitstand keine Altgläubiger i.S.v. §§ 172 Abs. 4, 171 Abs. 1 Hs. 1, 160 Abs. 1 und 2 HGB am Insolvenzverfahren teilnähmen und weil die Fünfjahresfrist nach § 160 Abs. 1 HGB bereits 2013 und damit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelaufen sei.

Zu beachten sei – unter Verweis auf die frühere Rechtsprechung des Senats – im vorliegenden Fall in analoger Anwendung aber die Kapitalerhaltungsregel des § 30 Abs. 1 GmbHG, da auch Leistungen aus dem Vermögen der Schuldnerin mittelbar das Stammkapital der GmbH betreffen könnten.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine Zahlung zu einer Unterbilanz oder Überschuldung führe oder diese vertiefe, sei im Rahmen von § 30 Abs. 1 GmbHG nicht der Zeitpunkt, in dem die Forderung begründet worden ist, sondern der Zeitpunkt der Auszahlung. Das gelte auch im Fall der Einziehung eines Geschäftsanteils, in dem § 30 Abs. 1 GmbHG über die Verweisung des § 34 Abs. 3 GmbHG Anwendung finde.

Weitere Voraussetzung für die (analoge) Anwendung von § 30 Abs. 1 GmbHG sei, dass der Zahlungsempfänger im Zeitpunkt der Begründung seines Anspruchs Gesellschafter gewesen sei. Nicht notwendig sei dagegen, dass er auch bei Erfüllung des Anspruchs noch Gesellschafter sei.

Erfolge nach diesen Grundsätzen eine Leistung aus dem Vermögen einer GmbH & Co. KG unter Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG, steht ihr gegen den Leistungsempfänger ein Rückerstattungsanspruch nach § 31 GmbHG zu.

3. Folgerungen des Senats

Der Senat gelangt im konkreten Fall aufgrund der bilanziellen Verhältnisse der GmbH zu dem Schluss, dass eine Auszahlung des Abfindungsanspruchs des Klägers aus dem Vermögen der Schuldnerin gegen §§ 30, 31 GmbHG analog verstieße.

Dass der Kläger bereits seit mehreren Jahren aus der GmbH und der Schuldnerin ausgeschieden sei, gebe – entgegen einer Entscheidung des Kammergerichts (Urteil vom 9. März 2015 – 23 U 112/11), das sich für eine entsprechende Anwendung der für die Anfechtung von Gesellschafterdarlehen geltenden Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO aussprach – keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Gegen eine entsprechende Anwendung der zeitlichen Beschränkung der Anfechtbarkeit von Gesellschafterdarlehen spreche die besondere Bedeutung des Eigenkapitals als haftendes Grundkapital und den dadurch geleisteten Gläubigerschutz.

Auch der Ausnahmetatbestand des § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG greife im vorliegenden Fall nicht ein. Der Abfindungsanspruch des Klägers sei weder ein Darlehensrückzahlungsanspruch noch eine Forderung aus einer wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlung. Dem stehe nicht entgegen, dass nach der Abfindungsklausel die Auszahlung des Abfindungsguthabens ratierlich über einen langen Zeitraum erfolge und dass in die Berechnung des Abfindungsguthabens der Saldo des Darlehenskontos einfließe.

Der Verstoß einer Auszahlung der Abfindungsforderung eines vor der Insolvenz ausgeschiedenen Gesellschafters gegen §§ 30, 31 GmbHG analog habe zur Folge, dass seine Forderung im Insolvenzverfahren weder als einfache (§ 38 InsO) noch als nachrangige (§ 39 InsO) Insolvenzforderung zur Tabelle festgestellt werden könne, sondern er insoweit auf die Schlussverteilung nach § 199 InsO zu verweisen sei.

Das Gebot der Erhaltung des Stammkapitals nach § 30 Abs. 1 GmbHG greife zum Schutz sämtlicher, d.h. auch gemäß § 39 Abs. 1 InsO nachrangig zu befriedigender Insolvenzgläubiger. Aufgrund dieser kapitalrechtlichen Bindung sei der Abfindungsanspruch - trotz seiner Verselbständigung im Unterschied zu reinen Mitgliedschaftsrechten - auch mit den Ansprüchen nachrangiger Insolvenzgläubiger nicht gleichrangig, da er auch zu deren Befriedigung die Erhaltung des Stammkapitals nicht beeinträchtigen dürfe. Der Gesellschafter sei daher, soweit sein Abfindungsanspruch dieser kapitalerhaltungsrechtlichen Bindung unterliege, trotz seines Ausscheidens weiterhin wie ein noch an der Gesellschaft beteiligter Gesellschafter zu behandeln und entsprechend der Vorschrift des § 199 InsO derart als nachrangig einzustufen, dass ihm eine Befriedigungsmöglichkeit lediglich im Rang nach den nachrangigen Forderungen des § 39 Abs. 1 InsO zuerkannt werden könne.

 

C. Folgen für die Praxis

Die Entscheidung klärt für die Praxis einige ebenso umstrittene wie bedeutende Rechtsfragen. Der Senat ist sich der Bedeutung seiner Entscheidung offensichtlich bewusst, das Urteil ist zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen. Hervorzuheben sind folgende Gesichtspunkte:

I. Vertragsgestaltung

Bislang sehen Gesellschaftsverträge häufig vor, dass Abfindungsguthaben nicht zeitnah nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters ausgezahlt werden, sondern dass sie in (oft langjährig bemessenen) Raten auszuzahlen sind. Gesellschaften können so ihre Liquidität schonen. Ausscheidende Gesellschafter profitieren von einer solchen Regelung, wenn sie dadurch eine Verzinsung des Abfindungsguthabens oberhalb der am Kapitalmarkt derzeit erzielbaren Zinssätze erreichen können.

Diese Erwägungen haben weiter Bestand, aber das hier besprochene BGH-Urteil zeigt die Risiken auf, die der Ausscheidende eingeht: In der Insolvenz der Gesellschaft droht ihm ein Totalverlust, obwohl er an der Gesellschaft nicht mehr aktiv mitwirkt, gegebenenfalls auch noch viele Jahre nach seinem Ausscheiden.

Das Urteil zwingt dazu, die Gestaltung von Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen neu zu durchdenken. Dabei ist das Interesse der Gesellschaft an Liquiditätsschonung abzuwägen gegen die Risiken, die der Ausscheidende nach der Rechtsprechung zu tragen hat. Dies gilt für Neuverträge ebenso wie für Abfindungsklauseln in bestehenden Gesellschaftsverträgen.

II. Geschäftsführerhaftung

Bedeutung hat das Urteil darüber hinaus für Geschäftsführer von Gesellschaften in einer Insolvenzsituation: Sieht sich die Gesellschaft in dieser Lage Abfindungsansprüchen ausgeschiedener Gesellschafter ausgesetzt, müssen Geschäftsführer das Urteil berücksichtigen, um ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen und einer möglichen Haftung (§ 64 GmbHG) vorzubeugen.

III. Insolvenzanfechtung

Werden in einer Insolvenzsituation Abfindungszahlungen an ausgeschiedene Gesellschafter geleistet, können diese auf der Grundlage der Ausführungen des Senats gegebenenfalls anfechtbar sein.

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  • Gesellschaftsrecht
  • M&A
  • Prozessführung und Schiedsverfahren