Achtung bei Fragen während einer Durchsuchung!

Ein in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzender Aspekt der 10. GWB-Novelle betrifft die Ausweitung der Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden im Rahmen von Durchsuchungen von Unternehmen oder Privatwohnungen (sog. Dawn Raids). In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber die Mitwirkungspflichten der Unternehmen und der für sie handelnden natürlichen Personen stark ausgeweitet und umgekehrt das Auskunftsverweigerungsrecht eingeschränkt.

Hintergrund

Vor Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle bestanden im Rahmen von Durchsuchungen durch Kartellbehörden kaum Mitwirkungspflichten seitens der Unternehmen sowie ihrer Vertreter und Mitarbeiter. Auskünfte mussten nicht erteilt und Mithilfe auch sonst nicht geleistet werden. Es war lediglich in den meisten Fällen ratsam, im eigenen Interesse verschlossene Behältnisse freiwillig zu öffnen bzw. Passwörter preiszugeben. Auch insofern bestand zwar keine Verpflichtung, eine Verweigerung hätte aber im Zweifel dazu geführt, dass die Bediensteten der Kartellbehörde verschlossene Behältnisse aufgebrochen bzw. Computer oder sonstige Speichermedien (in noch größerem Umfang) beschlagnahmt hätten.

Der Gesetzgeber hat im Rahmen der 10. GWB-Novelle die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2019/1 (ECN+-Richtlinie) umgesetzt und die Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamtes und der Landeskartellbehörden entsprechend Art. 6 ECN+-Richtlinie erweitert. Diese Änderungen betreffen insbesondere die Verpflichtung von Unternehmen sowie deren Vertreter und Mitarbeiter zur Mitwirkung bei Durchsuchungen.

Die geänderten und inhaltlich stark ausgeweiteten Regelungen zu Durchsuchungen im neuen § 59b GWB sind nicht nur in Kartellverwaltungsverfahren, sondern über die Verweisnorm § 82b Abs. 1 Satz 1 GWB auch in Bußgeldverfahren anwendbar.

Neue erweiterte Ermittlungsbefugnisse und Mitwirkungspflichten

§ 59b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB sieht nunmehr das Recht der Bediensteten der Kartellbehörden vor, Vertretern oder Mitarbeitern des betroffenen Unternehmens während einer Durchsuchung Fragen zum Zugang zu Beweismitteln oder zu mit dem Gegenstand der Durchsuchung im Zusammenhang stehenden Fakten oder Unterlagen zu stellen. Die Mitarbeiter oder Vertreter des Unternehmens sind zur Beantwortung derartiger Fragen verpflichtet, soweit sie ausdrücklich und unter Verweis auf die Pflicht zur Mitwirkung gestellt werden.

Der Schutz der befragten Person richtet sich danach, ob die Durchsuchung im Rahmen eines Bußgeldverfahrens oder eines Verwaltungsverfahrens erfolgt:

  • Im Rahmen von Bußgeldverfahren kann die befragte Person nach § 82b Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 59 Abs. 4 Satz 2 GWB die Auskunft zwar grundsätzlich entsprechend § 55 StPO verweigern, soweit die Beantwortung der Fragen die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit für sie selbst oder einen nahen Angehörigen begründen würde. Dies gilt allerdings nicht, wenn lediglich die Gefahr der Verfolgung im kartellbehördlichen Bußgeldverfahren begründet würde und die Kartellbehörde der Auskunftsperson im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens eine Nichtverfolgungszusage erteilt hat.
  • Im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens sind zur Mitwirkung verpflichtete Personen graduell besser geschützt. Sie müssen nach § 59b Abs. 3 Satz 2 GWB zwar solche Tatsachen offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit herbeizuführen, wenn die Informationserlangung auf andere Weise wesentlich erschwert würde. Die Selbstbelastungsfreiheit der Auskunftsperson (sog. nemo-tenetur-Grundsatz) wird durch § 59b Abs. 3 Satz 3 GWB aber dadurch geschützt, dass eine derartige Auskunft in einem Verfahren gegen die Auskunftsperson nur mit deren Zustimmung gegen diese oder nahe Angehörige im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO verwendet werden darf, ohne dass die Kartellbehörde dies durch eine Nichtverfolgungszusage aushebeln könnte.

Zur Verwirklichung dieses Schutzes der Unternehmen und der befragten Personen ist nach § 59b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB das Auskunftsverlangen ebenso wie die Antwort zu Protokoll zu nehmen.

Inwiefern könnten diese Änderungen relevant werden?

Zunächst besteht fortan eine Verpflichtung zum Offenbaren von Passwörtern von Computern. Auch sind Mitarbeiter dazu verpflichtet, die Durchsuchung durch Erläuterungen von Unterlagen zu unterstützen. Die Bediensteten der Kartellbehörden sind nach § 59b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB dazu befugt, diese an Ort und Stelle zu prüfen.

Insbesondere während der noch andauernden Corona-Pandemie – aber vermutlich auch darüber hinaus – können diese Auskunftspflichten zudem von Bedeutung sein, wenn sich Mitarbeiter im Home-Office befinden und Betriebsunterlagen mit nach Hause genommen haben. Sofern Bedienstete im Rahmen der Durchsuchung feststellen, dass Unterlagen fehlen und sie nach dem Verbleib derartiger Unterlagen fragen, müssen die befragten Personen hierüber aufklären. Den Unternehmen kommt allerdings zugute, dass der Durchsuchungsbeschluss im Zweifel nicht auch die Privatwohnungen von Mitarbeitern erfasst. Die Kartellbehörde müsste vielmehr (kurzfristig) einen Durchsuchungsbeschluss erwirken, der sich auch auf die betreffende Privatwohnung bezieht.

Welcher Handlungsbedarf besteht für Unternehmen?

Auch wenn Durchsuchungen für die meisten Unternehmen lediglich ein abstraktes Risiko darstellen und kaum jemand ernsthaft damit rechnet, sollten sich Unternehmen auf die geänderte Rechtslage vorbereiten, indem sie die Durchsuchungsleitfäden für ihre Mitarbeiter anpassen, damit letztere sich im Fall der Fälle korrekt verhalten. Eine zu Unrecht verweigerte Mitwirkung kann gem. § 81 Abs. 2 Nr. 11 GWB ein Bußgeld gegen das Unternehmen und gegen den Mitarbeiter nach sich ziehen.