Änderungen im Vertriebskartellrecht: Gestaltung von Vertriebssystemen (Teil 2)

Die Europäische Kommission hat bekanntlich am 09. Juli einen Neuentwurf sowohl der Vertikal-GVO (hier) als auch der Vertikalleitlinien (hier) veröffentlicht und die Öffentlichkeit zur Stellungnahme aufgefordert. Wir haben hierzu bereits in einem einführenden Blogbeitrag vom 16. Juli 2021 berichtet und uns in weiteren Beiträgen vom 26. Juli (hier) und 02. August (hier) mit Neuerungen bezüglich des Preisbindungsverbots und für Onlinehandel und Plattformbetrieb beschäftigt. In Fortsetzung unseres letzten Artikels zum Selektiv- und Alleinvertrieb (hier) befassen wir uns abschließend mit dem weitverbreiteten dualen Vertrieb und dem Vertrieb über Handelsvertreter. Auch insoweit sind nach dem Verordnungsentwurf sowohl Klarstellungen als auch im Detail wichtige Änderungen zu vermelden.

Einschränkungen beim dualen Vertrieb

Die Vertikal-GVO stellt vertikale Verträge zwischen Wettbewerbern grundsätzlich nicht frei. Derartige Verträge sind grundsätzlich nach den Leitlinien für horizontale Vereinbarungen zu beurteilen. Allerdings gibt zwei Ausnahmen: Sofern der Lieferant Hersteller und zugleich Händler ist, der Vertriebspartner aber nicht zugleich Hersteller der betreffenden Vertragswaren, ist die Vereinbarung bei Einhaltung der übrigen Freistellungsvoraussetzungen insgesamt freigestellt (Art. 2 Abs. 4 lit. a Vertikal-GVO). Für Dienstleistungen gibt es ebenfalls eine eng begrenzte Ausnahme (Art. 2 Abs. 4 lit. b Vertikal-GVO). Nach dem Entwurf der Vertikal-GVO soll die Ausnahme nach Art. 2 Abs. 4 lit. a auf die Tätigkeit des Lieferanten als Großhändler oder Importeur erweitert werden. Soweit die positive Nachricht. Allerdings soll die Freistellung des dualen Vertriebs zukünftig an weitere Voraussetzungen geknüpft werden. Vor dem Hintergrund, dass sich der duale Vertrieb zum vorherrschenden Vertriebsmodell insbesondere im Online-Handel entwickelt hat, will die Kommission damit der immanenten Gefahr einer Kollusion zwischen Lieferant und Händler Rechnung tragen. Deshalb setzt die Freistellung zukünftig über die allgemeinen Freistellungsvoraussetzungen hinaus folgendes voraus:

  • Der gemeinsame Marktanteil des Anbieters und des Abnehmers an dem relevanten Markt auf Einzelhandelsebene beträgt nicht mehr als 10 % und bewirkt damit keine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV und die Vereinbarung enthält keine bezweckten horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne des Art. 2 Abs. 6 Entwurf Vertikal-GVO.
  • Überschreitet der gemeinsame Marktanteil auf Einzelhandelsebene die Schwelle von 10 %, wird aber im Übrigen die doppelte Marktanteilsschwelle von 30 % gemäß Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO eingehalten, ist erforderlich, dass der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Unternehmen im Einklang mit den Horizontalleitlinien der Kommission steht (Art. 2 Abs. 5 Entwurf Vertikal-GVO). Auch in diesem Fall darf die Vereinbarung keine bezweckten horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne des Art. 2 Abs. 6 Entwurf Vertikal-GVO enthalten.
  • Für den Online-Vertrieb sollen die neuen Freistellungsvoraussetzungen in gleicher Weise gelten. Verkauft der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten auch Waren oder Dienstleistungen im Wettbewerb mit Unternehmen, für die er Online-Vermittlungsdienste anbietet (Hybridplattform), soll ein dualer Vertrieb nach der Vertikal-GVO allerdings generell nicht freigestellt sein (Art. 2 Abs. 7 Entwurf Vertikal-GVO).

Klarstellungen beim Handelsvertretervertrieb

Das Handelsvertreterprivileg gilt nach übereinstimmender Auffassung von EuGH und Kommission nur für sog. echte Handelsvertreter. Dies sind solche Handelsvertreter, die keine oder nur unwesentlichen finanziellen oder geschäftlichen Risiken bezüglich der Verträge, die sie im Namen des Auftraggebers schließen oder aushandeln, übernehmen. Insoweit ändert sich mit dem Neuentwurf der GVO nichts (Entwurf Vertikal-Leitlinien, Tz. 27 ff.).

Im Entwurf der Vertikal-Leitlinien (Tz. 33) werden sodann zumindest ansatzweise Methoden erläutert, wie der Hersteller etwaige Risiken des Handelsvertreters abdecken kann, damit dieser im Ergebnis die Risiken nicht zu tragen hat. Der Auftraggeber kann die tatsächlich entstandenen Kosten übernehmen, die Kosten über einen Pauschalbetrag decken oder auch dem Handelsvertreter einen festen Prozentsatz der Erlöse aus den im Rahmen des Handelsvertretervertrags verkaufen Waren oder Dienstleistungen zahlen.

Im Anschluss an ein Arbeitspapier aus Februar 2021 setzt sich die Kommission in den Vertikal-Leitlinien (Tz. 34-38) mit der häufiger anzutreffenden Konstellation auseinander, in der ein Handelsvertreter parallel für denselben Hersteller als unabhängiger Händler tätig ist. Derartige Handelsvertreter mit Doppelprägung sind ausnahmsweise dann als echte Handelsvertreter anzusehen, wenn 

  • sich die Tätigkeiten und Risiken des Handelsvertreterverhältnisses klar von denen der Händlertätigkeit abgrenzen lassen. Hierzu muss es sich um Produkte mit besonderen Eigenschaften handeln, die sich von anderen Produkten des Herstellers abheben,
  • der Hersteller alle Risiken des Handelsvertreters aus dem Handelsvertretergeschäft übernimmt bzw. abgeltet und
  • es dem Vertriebspartner freisteht, den Handelsvertretervertrag abzuschließen. Er darf also nicht de facto über eine Kopplung mit dem Händlervertrag gezwungen sein, den Handelsvertretervertrag abzuschließen, um weiterhin als Händler für den betreffenden Hersteller tätig zu sein.

Erläuterungen zur kartellrechtlichen Zulässigkeit eines Informationsaustausches zwischen Hersteller und Handelsvertreter lässt der Entwurf der Leitlinien leider vermissen. Guidance ist insoweit zwingend geboten, da Handelsvertretern regelmäßig Berichtspflichten gegenüber dem Hersteller auferlegt werden. Insoweit bleibt noch darauf zu setzen, dass die Kommission im Zuge der Überarbeitung der Horizontalleitlinien das Kapitel zum Informationsaustausch deutlich ausweitet und eine klarere Guidance auch für Handelsvertreterverhältnisse gibt, als dies in den derzeitigen Leitlinien der Fall ist.

Fazit

Aus Sicht der Unternehmen bringt der Entwurf der Vertikal-GVO und der entsprechenden Leitlinien Licht und Schatten: Die Gestaltungsspielräume und Schutzmechanismen für Vertriebssysteme werden insgesamt vergrößert; durch die neue Gliederung der Verordnung und auch der Leitlinien wird die Prüfung übersichtlicher. Jedenfalls im Hinblick auf Vertriebssysteme ist der Zugewinn an Klarheit und damit Rechtssicherheit begrenzt, dem eigentlichen Zweck einer Schirm-Freistellung wie der Vertikal-GVO. Bei der Freistellung des dualen Vertriebs ebenso wie beim geteilten Alleinvertrieb rückt die Kommission sogar noch von diesem Prinzip ab und mutet den Unternehmen durch zusätzliche und teilweise unklare Voraussetzungen weiteren Prüfungsaufwand zu. Es bleibt abzuwarten, ob die Kommission die Entwürfe nach der am 17.09.2021 endenden öffentlichen Konsultation noch einmal nachbessert. Wir werden es spätestens im Mai nächsten Jahres wissen.