Änderungen im Vertriebskartellrecht: Klarstellungen für Onlinehandel und Plattformvertrieb

Worum geht es?

Die Europäische Kommission hat bekanntlich vor Kurzem einen Neuentwurf sowohl der Vertikal-GVO (hier) als auch der Vertikalleitlinien (hier) veröffentlicht und die Öffentlichkeit zur Stellungnahme aufge­fordert. Hierzu haben wir in einem einführenden Blogbeitrag vom 16. Juli 2021 berichtet und uns in einem weiteren Beitrag vom 26. Juli (hier) damit beschäftigt, ob und inwieweit es auch Neuerungen bezüglich des Preisbindungsverbots gibt.

Nachfolgend konzentrieren wir uns auf einen weiteren Teilaspekt, der durch die Neuentwürfe adressiert wird, nämlich die Frage welche (nicht preisbezogenen) Be­schrän­kungen Lieferanten, insbesondere Markenartikelhersteller, ihren Abnehmern bezüglich des Online- und Plattformvertriebs typischerweise vorgeben dürfen. Derartige Beschränkungen wurden seitens der Markenartikelhersteller in der Vergangenheit häufig mit dem Bedürfnis nach Wahrung eines gewissen „Marken-“ oder „Luxusimages“ gerechtfertigt.

Keine Totalverbote des Internetvertriebs

Schon früh hat der EuGH keinen Zweifel daran gelassen, dass Markenartikelanbieter ihre Händler (selbstverständlich) nicht verpflichten dürfen, auf das Internet als Vertriebskanal gänzlich zu verzichten (EuGH, C-439/09 – Pierre Fabre). Diese klare Aussage findet sich nun auch im Neuentwurf (Art. 4 lit. b) und lit. c) i.V.m. Art. 1 lit. n) Vertikal-GVO-E; Rz. 188 f. Vertikal-LL-E). Seinerzeit blieb jedoch noch offen, ob dies auch für eine Reihe anderer, (scheinbar) weniger schwerwiegender Beschränkungen der Lieferanten für die Internet­aktivitäten ihrer Händler gilt, insbesondere für Plattformverbote, für Beschränkungen der Nutzung von Preis­vergleichs-Webseiten sowie für Beschränkungen der Nutzung von IP-Rechten.

Plattformverbote sind grundsätzlich zulässig

In seinem berühmten Coty-Urteil vom 6. Dezember 2017 (Rs. C-230/16) hatte der EuGH darüber zu entscheiden, ob ein Anbieter von Luxusgütern, der ein selektives Vertriebs­system betreibt, seinen Händlern verbieten darf, die Vertragsprodukte überVerkaufs­plattformen wie Amazon zu vertreiben. Die Interpretation des Urteils war kontrovers: Während das Bundeskartellamt solche sogenannten Plattformverbote nur unter eher engen Voraussetzungen für zulässig hielt (siehe hier), vertraten Kommissionsmitarbeiter im Anschluss die Auffassung, dass Beschrän­kungen des Plattform­vertriebs grundsätzlich – auch unabhängig vom gewählten Vertriebssystem – zulässig sind, solange die Beteiligten nur die Marktanteilsschwellen der Vertikal-GVO einhielten (siehe hier).

Im Entwurf der Vertikalleitlinien vertritt die Kommission nun die Auffassung, dass Lie­feranten ihren Händlern grundsätzlich Plattformverbote auferlegen dürfen und diese damit gruppenfreigestellt sind, solange damit nicht das Internet als Vertriebsform generell unterbunden wird (Vertikal-LL-E, Rz. 194). Dies soll unabhängig vom gewählten Vertriebs­system gelten. Damit dürften Plattformverbote nun auch bei offenen Vertriebs­formen, d.h. außerhalb selektiver Vertriebssysteme, im Grundsatz möglich sein! Eine Einschränkung gilt allerdings u.a. für den Fall, dass der Anbieter selbst über die betreffende Plattform vertreibt.

Verbote der Nutzung von Preisvergleichs-Tools, Herstellermarken u.a. sind ebenfalls unzulässig

Für viele, vor allem kleinere Händler, sind Preisvergleichsmaschinen ein wichtiges Instrument, um im Internet auf sich aufmerksam zu machen. Sie bieten eine wichtige, nicht selten sogar die einzige reale Möglichkeit, potenzielle Kunden aufgrund eines besonders niedrigen Preises zu gewinnen. In seiner ASICS-Entscheidung vom 12. Dezember 2017 hat der BGH über die Rechtmäßigkeit von diesbezüglichen Nutzungsverboten seitens der Lieferanten entschieden (AZ KVZ 41/17). Seiner Meinung nach sind solche Beschrän­kungen rechtswidrig; dies gilt jedenfalls dann, wenn sie unterschiedslos für alle Arten von Suchmaschinen gelten. Dieser Meinung hat sich auch die Kommission im Entwurf der Vertikal-LL angeschlossen (Rz. 192 Vertikal-LL-E). Sie betont allerdings, dass der Ausschluss einzelner Preis­vergleichstools durchaus zulässig sein kann. Ein generelles Verbot käme jedoch einem Verbot der Nutzung des Internets als wichtigem Vertriebskanal nahe und sei daher in der Regel unzulässig.

Manchmal untersagen Lieferanten ihren Händlern auch die Nutzung der Herstellermarken auf der händlereigenen Internetseite oder auf der Internetseite eines Dritten. Auch dies kann sich stark nachteilig auf die Online-Verkaufsaktivitäten der betreffenden Händler auswirken. Auch solche Beschränkungen hält die Kommission aus den bereits genannten Gründen für unzulässig (Rz. 192 Vertikal-LL-E).

Insgesamt wendet sich die Kommission zudem gegen lieferantenseitige Vorgaben von Qualitätskriterien, die die Nutzung des Internets durch den Händler de facto unmöglich machen, bspw. gegen ein Erfordernis, dass das Logo eines Online-Marktplatzes nicht sichtbar sein darf (Rz. 315 Vertikal-LL-E).

Stützung des stationären Fachhandels

Eine – etwas stärkere als bisher – lieferantenseitige Stützung des stationären Fachhandels soll gleichwohl möglich bleiben. So will die Kommission künftig Doppelpreissysteme (im Rahmen derer Lieferanten ihren Händlern unterschiedliche EK-Preise abhängig davon geben, ob die Ware online oder offline geht) unter bestimmten Einschränkungen erlauben. Zudem sollen die für Händler geltenden Qualitätskriterien beim Selektivvertrieb künftig durchaus den Unterschieden zwischen Online- und Offlinehandel Rechnung tragen dürfen. Wir berichten weiter.

Einschränkung

Wir haben uns hier auf Vertriebsbeziehungen konzentriert, die in den Anwendungsbereich der Vertikal-GVO fallen. Dies setzt voraus, dass die Anteile des Anbieters (hier also typicherweise des Markenartikelherstellers) an dem relevanten Markt, auf er die Vertragswaren oder -dienstleistungen anbietet, und der Anteil des Abnehmers (hier also des Händlers) an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen bezieht, jeweils nicht mehr als 30% beträgt. Für Anbieter und/oder Abnehmer, die diese Schwelle (deutlich) überschreiten, gelten im Zweifel strengere Regeln.