Mit Urteil vom 19.09.2024 hat das Bundesarbeitsgericht die Revision eines Klägers zurückgewiesen, der über alle drei Instanzen versucht hat, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen (BAG, Urteil vom 19.09.2024 - Az. 8 AZR 21/24). Der Kläger bewarb sich deutschlandweit auf diverse Stellen, die für „Sekretärinnen“ ausgeschrieben und somit nur an Frauen adressiert waren. Anstatt aufgrund diskriminierender Stellenausschreibungen gerichtlich zu obsiegen und eine Entschädigung zu erhalten, führte das vielfache Bewerben des Klägers auf ihn nicht inkludierende Stellenausschreibungen in diesem konkreten Fall dazu, dass die Gerichte ihm keinen Anspruch zuerkannten.
Industriekaufmann als Sekretärin
Der Kläger – männlich, 30 Jahre alt, ausgebildeter Industriekaufmann und derzeit arbeitslos – machte geltend, dass die streitgegenständliche Stelle, auf die er sich beworben hatte, nur für Frauen ausgeschrieben war und die Stellenausschreibung ihn als Mann diskriminiere. Allein aufgrund seines Geschlechts sei er zum einen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden und habe er zum anderen bei der Besetzung der inzwischen anderweitig besetzten Stelle keine Berücksichtigung gefunden. Das Landesarbeitsgericht Hamm beschäftigte sich in seiner zweitinstanzlichen Entscheidung jedoch nicht mit den (wahrscheinlich) diskriminierenden Stellenausschreibungen, sondern nur mit dem klägerischen Verhalten (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 - 6 Sa 896/23).
Rechtsmissbrauch
Ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG kann im Einzelfall ausgeschlossen sein, wenn dem Anspruchssteller ein Rechtsmissbrauch nach § 242 BGB entgegengehalten werden kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich eine Person nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern wenn es ihr nur darum ging, den formalen Status als Bewerber im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 1 AGG zu erlangen um eine Entschädigung nach dem AGG geltend zu machen. Der Anspruchssteller ist bei einem solchen Verhalten nicht länger schutzwürdig. Voraussetzung des Einwands des Rechtsmissbrauchs ist, dass ein objektives und ein subjektives Element des Rechtsmissbrauchs festgestellt werden können, wobei der Arbeitgeber für diese Umstände darlegungs- und beweisbelastet ist.
Diese Voraussetzungen lagen im konkreten Fall vor. Die im vorliegenden Fall angerufenen Gerichte konnten nicht zu der Überzeugung gelangen, dass der Kläger tatsächlich bereit gewesen ist, jeden Tag vier Stunden zum 170 km entfernten Arbeitsort zu pendeln. Auch ernsthafte Umzugsbemühungen konnten nicht festgestellt werden. Darüber hinaus war das Bewerbungsschreiben derart formuliert, dass es eine Absage provozieren sollte. Nicht zuletzt der Umstand, dass der Kläger sich bereits mehrfach in ganz Deutschland bei verschiedenen Arbeitgebern auf entsprechende Stellen beworben hatte, rechtfertigte die Annahme des Rechtsmissbrauchs.
Letztlich bleibt festzuhalten, dass ein solches Verhalten – sofern es denn durch die Gerichte festgestellt werden kann – das AGG unter dem Deckmantel der Diskriminierung zweckentfremdet und dies vor allem zu Lasten der Personen geht, die berechtigterweise durch das AGG geschützt werden sollen.
Vermeidung von Gerichtsverfahren
In praktischer Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass es sich als äußert schwierig gestaltet, einen „echten“ Fall des „AGG-Hoppings“ als Arbeitgeber vor Gericht darzulegen und zu beweisen. Insbesondere ist dem Arbeitgeber regelmäßig nicht bekannt, wie oft der Kläger sich bereits auf vergleichbare Stellen beworben und Ansprüche nach dem AGG im Zusammenhang mit erfolglosen Bewerbungen geltend gemacht hat. Somit scheitern Arbeitgeber oftmals an dem Darlegen und Beweisen des Rechtsmissbrauchs. Insofern ist es aus Arbeitgebersicht ratsam, Stellenbeschreibungen von vornherein konform mit dem AGG zu formulieren und möglichst alle Personen (z.B. durch den gemeingebräuchlichen Zusatz „(m/w/d)“) in einer Stellenausschreibung anzusprechen. Somit können kostspielige und nervenzehrende Gerichtsverfahren vermieden werden.