Ausbildungsentschädigungen im Profi-Fußball auf dem Prüfstand
Gestern verhandelte der BGH im für die FIFA und den Profi-Fußball prekären Fall des SV Wilhelmshaven gegen den Norddeutschen Fußball-Verband (NFV), an dessen Ende das bestehende System der FIFA hinsichtlich der Pflicht zur Zahlung von Ausbildungsentschädigungen zu Fall gebracht werden und das Verbandsrecht reformiert werden könnte. Vergleiche mit der „Bosman-Entscheidung“, die einst die gängigen Transferregelungen – nicht nur im Fußball – zu Fall brachten, werden bereits laut.
Hintergrund
Im Jahre 2007 verpflichtete der seinerzeit drittklassige SV Wilhelmshaven den damals 19-jährigen Spieler Sergio Sagarzazu aus dem U20-Team des argentinischen Vereins River Plate. In der Folge machten sowohl River Plate als auch ein weiterer früherer Club des Spielers (Club Atletico Excursionistas) Ausbildungsentschädigungen in Höhe von insgesamt 160.000 € geltend. Ziff. 20 des FIFA-Reglements bezüglich Status und Transfer von Spielern sieht grundsätzlich die Zahlung einer solchen Ausbildungsentschädigung nach einem bestimmten – von der FIFA festgelegten – Verteilungsschlüssel vor.
Die Jadestädter weigerten sich jedoch die Ausbildungsentschädigung für Sagarzazu, der sowohl die argentinische als auch die italienische Staatsbürgerschaft besitzt, zu zahlen. Dies gipfelte darin, dass der für den Club zuständige Regionalverband NFV auf Drängen des Dachverbandes FIFA dem SV Wilhelmshaven zunächst zweimal sechs Punkte abzog, um ihm in der Saison 2013/2014 endgültig den Zwangsabstieg – aus der inzwischen viertklassigen Regionalliga Nord – zu erklären. Der Verein stürzte daraufhin bis in die 7. Liga ab.
Die Entscheidung des OLG Bremen
Der SV Wilhelmshaven zog danach zunächst erfolglos vor die deutschen Sportgerichte und den Internationalen Gerichtshof CAS, um sich gegen den Zwangsabstieg zu wehren. Nachdem auch das LG Bremen zunächst die Zulässigkeit einer Klage vor den deutschen Gerichten ablehnte, gab das OLG Bremen dem Verein in der Berufungsinstanz recht: Nach Ansicht der hanseatischen Richter verstoße Ziff. 20 des FIFA-Reglements gegen das Recht auf Freizügigkeit des Spielers nach Art. 45 AEUV. Die durch die Pflicht zur Zahlung einer Ausbildungsentschädigung bedingte Beschränkung der Freizügigkeit könne zwar grundsätzlich durch den Zweck der Nachwuchsgewinnung in den – meist kleinen – Ausbildungsvereinen gedeckt sein. Allerdings seien die von der FIFA aufgerufenen Entschädigungsbeträge „durch ihren Eventualitäts- und Zufallscharakter gekennzeichnet“, da sie einen pauschal eingeschätzten Aufwand darstellten. Die Aussicht auf Erlangung derartiger Entschädigungen könne weder ein ausschlaggebender Faktor sein, um zur Einstellung und Ausbildung junger Spieler zu ermutigen, noch ein geeignetes Mittel, um diese Tätigkeiten, insbesondere im Fall der kleinen Vereine, zu finanzieren. Die Höhe der Entschädigung müsse stattdessen die tatsächlich angefallenen Ausbildungskosten abdecken, um die Einschränkung der Freizügigkeit nach Art. 45 AUEV rechtfertigen zu können.
Aussichten
Neben der Frage, ob Ziff. 20 des FIFA-Reglements die Freizügigkeit der Spieler in unzulässiger Weise beschränkt, wird der BGH zunächst (auch) die Frage zu entscheiden haben, ob dem SV Wilhelmshaven – nachdem man auf Ebene der Sportgerichtsbarkeit bereits unterlegen war – der Weg zu den ordentlichen Gerichten überhaupt eröffnet war. Letzteres wäre nicht der Fall, wenn der BGH das Verbandsgericht des NFV als Schiedsgericht i.S.d. §§ 1025 ZPO einstuft. Dies wiederum hängt maßgeblich davon, ob der oberste Gerichtshof die Besetzung als „unabhängige und unparteiliche Instanz“ einstuft – Erinnerungen an den „Fall Pechstein“ werden wach. Das Urteil verkündet der BGH (BGH) am 27. September; Prozessbeobachter rechnen den Wilhelmshavenern gute Chancen aus.
Die Folgen eines Urteils im Sinne des SV Wilhelmshaven sind schwer abzuschätzen, werden aber als weitreichend eingeschätzt. Es steht zu erwarten, dass die Niedersachsen in der Folge zunächst vom Verband Schadensersatz für die Verfahrenskosten und Einnahmeausfälle der vergangenen Jahre fordern wird und zudem die Wiedereingliederung in den Regionalligabetrieb beantragt. Der Fall eines solchen „Zwangsaufstiegs“ um drei Spielklassen ist in den Verbandsregularien nicht vorgesehen und wäre ebenso ein Präzedenzfall. Außerdem wären die Fußballverbände ihre eigene Verbandsgerichtsbarkeit neu zu ordnen, um ähnliche Klagen in Zukunft zu verhindern. Schließlich müsste sich auch die FIFA Gedanken, um eine Anpassung der Klauseln zu den Ausbildungsentschädigung und zum Solidaritätsmechanismus machen, da die ausbildenden Vereine andernfalls – jedenfalls wenn sie keine direkte Regelung hinsichtlich der Ausbildungsentschädigung mit dem aufnehmenden Verein getroffen haben – auf den Ausbildungskosten sitzen blieben.
Es bleibt also spannend – wir werden weiter berichten.