Zu den interessantesten Aspekten des Kartellschadensersatzrechts gehören die Ansprüche von Personen, die Waren bzw. Dienstleistungen zu kartellbeeinflussten Preisen bezogen haben, ohne dass sie jedoch von einem Kartellanten direkt beliefert worden sind. Hierbei geht es um Ansprüche mittelbarer Abnehmer von Kartellanten und (mittelbarer) Abnehmer sog. Kartellaußenseiter, die ihre Preise durch den sog. Preisschirmeffekt ebenfalls erhöhen konnten und dies auch getan haben.
Problematisch gestalten sich für beide Gruppen verschiedene Beweisfragen im Bereich des schadensbegründenden wie -schadensausfüllenden Tatbestandes. Dieser Bereich erfährt durch die 9. GWB-Novelle einige wesentliche Neuerungen.
BISHERIGE RECHTSLAGE
Bereits nach bisheriger Rechtsprechung waren beide Gruppen aktivlegitimiert. Das wegweisende „ORWI“-Urteil des BGH entwickelte Grundsätze zu den Ansprüchen indirekter Abnehmer. Insbesondere ist der Abnehmer nach dem Urteil darlegungs- und beweisbelastet im Bereich des schadensbegründenden und -ausfüllenden Tatbestandes. Insofern bestehen zunehmende Schwierigkeiten je mehr Handelsstufen sich zwischen dem Kartellanten und dem Anspruchsteller befinden. Es fehlen vor allem oft Informationen. Nach dem „Kone“-Urteil des EuGH hatten zudem auch Abnehmer von Kartellaußenseitern Schadensersatzansprüche. Auch diese sind darlegungs- und beweisbelastet.
NEUERUNGEN DURCH DIE 9. GWB-NOVELLE
Neben vielen anderen Fragen im Bereich des Kartellschadensersatzes, befasst sich die 9. GWB-Novelle auch mit Fragen zu Ansprüchen von mittelbaren Abnehmern von Kartellanten. Abnehmer von Kartellaußenseitern werden hingegen gar nicht ausdrücklich erwähnt. Schon deren Aktivlegitimation ergibt sich allerdings weiterhin erst daraus, dass sie nicht ausgeschlossen wurde. Auch sie profitieren von Beweiserleichterungen.
ABWÄLZUNGSVERMUTUNG
Gem. § 33c Abs. 2 GWB-E wird einseitig zugunsten eines mittelbaren Abnehmers vermutet, dass ein Preisaufschlag durch Abnehmer vorheriger Handelsstufen auf ihn abgewälzt wurde. Diese Vermutung dürfte auch zugunsten des mittelbaren Abnehmers eines Kartellaußenseiters gelten.
Der praktische Wert der Vermutung muss sich noch zeigen, da nach § 33c Abs. 3 GWB-E die Abwälzungsvermutung bereits nicht gilt, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schaden teilweise nicht weitergegeben wird. Aufgrund der Formulierung, in der der Gesetzgeber das Wort „soweit“ vermieden hat, könnte man auf die Idee kommen, dass bereits bei teilweiser Nichtabwälzung die Abwälzungsvermutung gar nicht mehr gilt. Zieht man in Betracht, dass es aufgrund der Preiselastizität der Nachfrage Akteuren nach Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre meist nicht möglich ist, die gesamte Preiserhöhung ihres Zulieferers weiterzugeben, liegt eine Glaubhaftmachung dahingehend auch im konkreten Einzelfall nicht fern.
Von Bedeutung ist zudem, dass zur Widerlegung der Vermutung nach § 33c Abs. 3 GWB-E kein Vollbeweis erforderlich ist, sondern die Glaubhaftmachung der teilweisen Nichtweitergabe genügt. Insofern erinnert § 33c Abs. 3 GWB-E stark an einen Anscheinsbeweis, zu dessen Erschütterung ebenfalls kein Vollbeweis erforderlich ist. Ebenso wird interessant sein, welche Anforderungen in der Praxis an die Glaubhaftmachung gestellt werden. § 294 ZPO regelt lediglich die Glaubhaftmachung im Bereich einstweiliger Verfügungen und kann daher zur Auslegung nicht direkt herangezogen werden.
Der Gesetzgeber hat materiell-rechtlich das Risiko geschaffen, dass der Kartellant Schäden mehrfach ersetzen muss, da die Vermutung nicht zulasten vorheriger Handelsstufen greift. Insofern kann es aus Sicht des Kartellanten u. U. ratsam, bei gerichtlicher Inanspruchnahme unmittelbarer Abnehmer mittelbaren Abnehmern den Streit zu verkünden, wobei andererseits natürlich auch keine „schlafenden Hunde“ geweckt werden sollten.
SCHADENSVERMUTUNG
Von der Schadensvermutung nach § 33a Abs. 2 GWB-E profitieren neben mittelbaren Abnehmern von Kartellanten auch (mittelbare) Abnehmer von Kartellaußenseitern. Die Norm enthält nach ihrem Wortlaut keine Beschränkungen hinsichtlich der personellen Anwendbarkeit. Die Abwälzungsvermutung nach § 33c Abs. 2 GWB-E ist keine Spezialnorm gegenüber § 33a Abs. 2 GWB-E, da sie die persönliche Betroffenheit betrifft, nicht jedoch den kausalen Schaden. Schließlich würde es dem Sinn und Zweck des § 33a Abs. 2 GWB-E widersprechen, ihn zugunsten solcher Personen, für die ein Schadensnachweis mit am schwierigsten ist, nicht anzuwenden.
Zu bedenken ist jedoch, dass es hierbei zunächst nur um den Schaden als solchen geht, während eine Vermutung hinsichtlich der Schadenshöhe gerade nicht eingeführt wurde. Insofern gilt weiterhin die Schätzungsbefugnis des erkennenden Gerichts nach § 287 ZPO, zu deren Ausübung der Anspruchsteller dem Gericht jedoch eine Schätzgrundlage zu Verfügung stellen muss. Hierzu gehören insbesondere Gutachten zu kontrafaktischen Preisentwicklung ohne das Kartell.