BGH: Verstoß des englischen Erbrechts gegen die deutsche Rechtsordnung

Die Möglichkeit zur Vornahme einer Rechtswahl zugunsten des Rechts jenes Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Testierende besitzt, spielt in internationalen Erbfällen eine wesentliche Rolle. Ohne eine solche findet gem. Art. 21 EuErbVO auf den Erbfall das Recht jenes Staates Anwendung, in welchem der Erblasser vor seinem Tod seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Für viele in Deutschland lebende Testierende mit ausländischer Staatsangehörigkeit bot dies die Möglichkeit, einen unliebsamen Pflichtteilsanspruch der eigenen Kinder auszuschließen. Dem ist nunmehr der BGH (vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2022 - IV ZR 110/21) entgegengetreten.

In dem vom BGH entschiedenen Fall war der Erblasser Brite und lebte seit dem Jahre 1965 in Deutschland. In seinem 2015 errichteten Testament setzte er eine GmbH als Alleinerbin ein. Zugleich wählte er gem. Art. 22 EuErbVO hinsichtlich des auf seinen Nachlass anzuwendenden Rechts das englische Recht als Teilrecht seines Heimatstaates. Dieses sieht – anders als das deutsche Recht – keine Pflichtteilsansprüche der Kinder des Erblassers vor. Kinder können für den Fall, dass sie nicht ausreichend bedacht wurden, bei Gericht lediglich eine „angemessene finanzielle Regelung“ nach dem Inheritance Act 1975 beantragen. Erwachsenen Kindern steht daher i.d.R. kein Anspruch auf Teilhabe am Nachlass zu. Zudem bestehen solche Ansprüche nur, wenn der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes sein „domicile“ in England oder Wales hatte.

Der Adoptivsohn des Erblassers klagte sodann gegen die Alleinerbin vor dem Landgericht Köln und verlangte zunächst Auskunft über den Wert des Nachlasses zur Bestimmung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs. Die Klage wurde zunächst in erster Instanz abgewiesen. Im Rahmen der Berufung entschied sodann das OLG Köln, dass das deutsche Recht die Normen des englischen Rechts gem. Art. 35 EuErbVO nicht anwenden dürfte. Diese Entscheidung hat der BGH nunmehr in seinem Urteil bestätigt.

Das englische Recht stehe zum Grundgedanken der nationalen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch, dass dessen Anwendung schlichtweg untragbar erschiene. Dabei stützt sich der BGH auf eine Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 19.04.2005 (BVerfGE 112, 332 ff.). Das Pflichtteilsrecht ist Ausfluss aus der Familiensolidarität und genießt im deutschen Recht Institutsgarantie. Es sichert den Kindern des Erblassers eine bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung an dessen Nachlass und ist im Rahmen der Erbrechtsgarantie gem. Art. 14 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG grundgesetzlich verankert. Entsprechend sei Kindern des Erblassers eine grundsätzliche unentziehbare und bedarfsunabhängige Beteiligung am Nachlass ihrer Eltern zu gewähren.

In der Praxis führt diese Entscheidung zu erheblichen Unsicherheiten und Folgefragen. Was soll z.B. gelten, wenn das gewählte Recht lediglich einen geringeren als den deutschen Pflichtteil oder anstelle eines Pflichtteils ein Noterbrecht der Abkömmlinge vorsieht?

Die Entscheidung des BGH steht zudem im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechungen in anderen Staaten der EU. So entschied z.B. der französische Cour de Cassation (ass Civ 1 du 27/09/17 n° 16-13151, n° 16-17198) noch im Jahre 2017, dass das in dem ihm vorliegenden Erbfall anwendbare kalifornische Erbrecht nicht den französischen ordre public verletzte, weil dieses keinen Pflichtteil der Abkömmlinge vorsieht. Es sei vielmehr hinzunehmen, dass das kalifornische Recht den volljährigen Kindern der Erblasser ein Pflichtteilsrecht versage, soweit sich die volljährigen Kinder nicht in einer finanziellen Notlage befinden oder in sonstiger Weise bedürftig sind.

Eine Vorlage an den EuGH lehnte der BGH jedoch gleichwohl ab. Die Unvereinbarkeit einer ausländischen Rechtsnorm mit einer nationalen Rechtsordnung könne nur von den nationalen Gerichten bezüglich ihrer eigenen Gesetze beantwortet werden.

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  • Handels- und Vertragsrecht
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