Nach dem Referendum zum EU-Verbleib im Juni 2016 steht der Brexit fest. Ende März 2019 ist es soweit: Großbritannien wird die EU verlassen. Trotz des Austrittes soll aber während einer Übergangszeit von ca. zwei Jahren (bis Ende 2020) weiterhin EU-Recht in Großbritannien umgesetzt werden. Auch der Zugang zum EU-Binnenmarkt und die Zollunion soll solange fortbestehen. Aber mit Ablauf dieser Übergangszeit endet auch die Geltung des EU-Rechts in Großbritannien. Dies führt zu Problemen. Denn:
Bisheriger Justizstandort: London
Bislang wurden viele internationale Wirtschaftsstreitigkeiten in London ausgetragen. Da aber nun ab 2021 kein EU-Recht mehr Anwendung finden wird (vor allem die ROM I- und II-VO), ist die rechtliche Lage unklar. Unsicherheiten bestehen insoweit hinsichtlich der Zuständigkeit, der Verfahrensausgestaltung und der anschließenden Vollstreckung von ergangenen Entscheidungen. Angesichts dessen verliert der bisherige Justizstandort London an Bedeutung. Hinzu kommt, dass Verfahren in London sehr kostspielig sind - anders als in Deutschland.
Angekündigte Gegenmaßnahmen nicht erfolgsversprechend
Um dem zu begegnen, ist seitens der britischen Regierung angedacht, das EU-Recht (konkret: die ROM I- und II-VO) in das britische Recht zu übernehmen. Zusätzlich sollen Regelungen geschaffen werden, die grenzübergreifende Zivilverfahren erleichtern sollen. Aber: Wie soll das konkret funktionieren? Schließlich beharrte die britische Regierung erst kürzlich auf dem Wegfall der Zuständigkeit des EuGH. Wer soll aber dann die Umsetzung und Durchführung des integrierten, ehemaligen EU-Rechts kontrollieren? Auch ist zu befürchten, dass es zu einer gespaltenen Auslegung identischer Rechtsbegriffe aus dem originären EU-Recht und dem in das britische Recht überführten EU-Recht kommen wird, wenn nicht der EuGH einheitlich als letzte Kontrollinstanz zuständig bleibt. Die angekündigten Gegenmaßnahmen zur Beibehaltung des Justizstandortes in London erscheinen daher nicht erfolgsversprechend.
NRW als Justizstandort
Deutschland, vorrangig NRW, drängt sich als Alternative zum Justizstandort in London auf. Nicht nur ist NRW laut einer Studie des Europäischen Ausschusses der Regionen am stärksten vom Brexit betroffen, sondern NRW bietet sich auch - als der am dichtesten besiedelte Ballungsraum der EU - als neue Heimat für britische Unternehmen an. Mögliche aufkommende Rechtsstreitigkeiten könnten daher in NRW gebündelt werden. NRW als Justizstandort hätte somit den Vorteil verkürzter Wege. Dies hat auch das Justizministerium von NRW unlängst erkannt. Vorangetrieben werden daher Maßnahmen, um deutsche Gerichtsverfahren den Bedürfnissen der internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten anzupassen. So gibt es Bestrebungen zur Einführung spezieller Handelskammern für internationale Handelssachen (BR Drs. 53/18) und zur Zulassung der englischen Sprache für Schriftsätze, die Verfahrensführung und Urteile, obwohl die Gerichtssprache nach § 184 GVG eigentlich deutsch ist. Schließlich bestimmt auch der Koalitionsvertrag 2018, dass die Richterstellen bundesweit um 10 % erhöht werden sollen. Genügend Fachkräfte dürfte den Gerichten daher für dieses Vorhaben zur Verfügung stehen. Schließlich sind in NRW auch etliche Top-Kanzleien angesiedelt, die sich auf die Prozessführung internationaler Wirtschaftsstreitigkeiten spezialisiert haben. Der Justizstandort in NRW scheint daher in jeder Hinsicht eine passende Alternative für den Justizstandort London zu sein.