In unseren Blogbeiträgen vom 11. April 2017 und 21. Juni 2017 haben wir uns mit zwei Urteilen des Bundesgerichtshofes auseinandergesetzt, in welchen der VIII. Zivilsenat zunächst Leitlinien zum Umgang mit Wohnraumkündigungen wegen sog. Berufs- oder Geschäftsbedarfes aufgestellt (BGH, Urteil vom 29.03.2017, Az.: VIII ZR 45/16) und sodann konkretisiert hat, welche Anforderungen an ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Wohnraummietverhältnisses zu stellen sind, wenn die Interessenlage eine Nähe zur Verwertungskündigung im Sinne von § 573 Absatz 2 Nr. 3 BGB aufweist (BGH, Urteil vom 10.05.2017, Az.: VIII ZR 292/15. In diesen Entscheidungen hat der BGH u.a. an den Regeltatbestand des § 573 Absatz 2 Nr.3 BGB (Verwertungskündigung) angeknüpft.
Jüngst hat sich der Bundesgerichtshof nunmehr ergänzend mit der Thematik beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen ein Wohnraummietverhältnis wegen beabsichtigter wirtschaftlicher Verwertung des Grundstücks nach § 573 Abs. 2 Nr.3 BGB wirksam gekündigt werden kann (BGH, Urteil vom 27.09.2017, Az.: VIII ZR 292/15 und deutlich gemacht, dass eine wirksame Kündigung eine sorgfältige Interessenabwägung erfordert und allein Gewinnoptimierungsabsichten des Vermieters nicht ausreichen.
HINTERGRUND
Gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB hat ein Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses, wenn er durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstückes gehindert wäre und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.
Im Jahr 2011 hat der BGH in seinem Urteil vom 09.02.2011 (AZ.: VIII ZR 155/10) zur Verwertungskündigung in einem Fall, in welchem ein Gebäude mit geringem und angemessenen Wohnbedürfnissen nicht mehr entsprechendem Wohnwert zum Zwecke der Errichtung von Neubaumietwohnungen abgerissen werden sollte, entschieden, dass
- eine wirtschaftliche Verwertung im Sinne des Kündigungstatbestandes angemessen sei, wenn sie von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen wird (z.B. Abrissabsicht, wegen eines schlechten Bauzustands, der den aktuellen Anforderungen an eine angemessene Wohnraumversorgung nicht mehr entspricht);
- die Frage, ob dem Eigentümer durch den Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses ein erheblicher Nachteil entsteht, im Einzelfall zu betrachten ist und zwar unter Abwägung des Bestandinteresses des Mieters einerseits und des Verwertungsinteresses des Vermieters andererseits. In dem entschiedenen Fall hat es der BGH für die Annahme eines erheblichen Nachteils ausreichen lassen, dass der Eigentümer bei Fortsetzung des Wohnraummietverhältnisses den gesamten Wohnblock nicht durch einen Neubau hätte ersetzen können und das von dem Eigentümer verfolgte städtebauliche Konzept nur unvollständig hätte verwirklicht werden können. Sanierungsalternativen musste der Eigentümer nach Ansicht des Senates nicht berücksichtigen.
Nach dieser Entscheidung, die Vermietern die Möglichkeit der Verwertungskündigung, welche bis dahin äußerst restriktiv gehandhabt wurde, neu aufgezeigt hat, scheint die Praxis im Umgang mit Verwertungskündigungen mutiger geworden zu sein, was der Bundesgerichtshof nunmehr in seiner jüngsten Entscheidung vom 27. September 2017 zum Anlass genommen hat, Sorgfalt bei der Prüfung von Verwertungskündigungen anzumahnen (Urteil vom 27.09.2017 (AZ.: VIII ZR 243/16)).
DIE ENTSCHEIDUNG
In dem jüngst vom BGH entschiedenen Sachverhalt wurde Wohnraum zum Zwecke der Erweiterung eines benachbarten Modehauses gekündigt. Das mit den Gewerberäumen bebaute Nachbargrundstück stand ebenfalls im Eigentum des das Wohnraummietverhältnis kündigenden Vermieters. Betrieben wurde das Modehaus durch eine mit dem Vermieter verbundene Gesellschaft.
Der Abriss des Gebäudes zur Erweiterung des benachbarten Modehauses stellt nach Auffassung der Karlsruher Richter zwar eine von vernünftigen sowie nachvollziehbaren Erwägungen getragene und mithin angemessene wirtschaftliche Verwertung des Grundstückes dar.
Der erhebliche Nachteil wurde aber in Frage gestellt, weshalb der Senat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die zweite Instanz zurückverwiesen hat. In seinem Urteil hat der BGH für die erforderliche Interessenabwägung folgende Hinweise gegeben:
- Das Eigentum gewährt dem Vermieter keinen uneingeschränkten Anspruch auf Gewinnoptimierung oder Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeit, die dem größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil entspricht. Ein zur Kündigung berechtigender Nachteil sei insbesondere nicht schon dann zu bejahen, wenn der Eigentümer einer vermieteten Wohnung mit dieser – im Interesse einer bloßen Gewinnoptimierung – nicht nach Belieben verfahren kann.
- Andererseits darf das Kündigungsrecht des Vermieters aber auch nicht auf Fälle andernfalls drohenden Existenzverlustes reduziert werden.
- Bei der Verwertungskündigung sind allein solche (erheblichen) Nachteile zu berücksichtigen, die dem Vermieter selbst entstehen. Nachteile, die eine vom Vermieter verschiedene Gesellschaft erleidet, sind hingegen unbeachtlich und zwar auch dann, wenn eine wirtschaftliche Verflechtung der Gesellschaften vorliegt.
FAZIT
Die Mahnung des Senats, der Interessenabwägung mehr Gewicht beizumessen, lässt darauf schließen, dass der Bundesgerichtshof Vermieter zukünftig im Zusammenhang mit der Verwertungskündigung bremsen und beim Tatbestandsmerkmal des „erheblichen Nachteils“ strenge Maßstäbe anwenden wird. Der BGH wird insbesondere nicht jede Maßnahme, die der Gewinnoptimierung eines Vermieters dient, für eine Verwertungskündigung ausreichen lassen. Für die Praxis bedeutet dies, dass Vermieter eine Verwertungskündigung sorgfältig vorbereiten sollten und sich nicht darauf verlassen können, dass allein vernünftige und nachvollziehbaren Erwägungen mit Blick auf eine angemessene wirtschaftliche Verwertung des Grundstückes ausreichen werden, um Wohnraummieter wirksam kündigen zu können, sondern zusätzlich Nachteile von einigem Gewicht vorliegen müssen, welche das Bestandinteresse des Mieters deutlich überwiegen.