Bundeskartellamt erlässt neue Leitlinien zum Kronzeugenprogramm

Am 23.08.2021 hat das Bundeskartellamt (BKartA) seine „Leitlinien zum Kronzeugenprogramm“ erlassen, welche am 14.09.2021 im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden sind. Das BKartA erfüllt damit seinen gesetzlichen Auftrag gemäß § 81h Abs. 3 GWB, wonach es in Ergänzung der gesetzlichen Regelungen allgemeine Verwaltungsgrundsätze über die Ausübung seines Ermessens bei der Anwendung des Kronzeugenprogramms sowie der Gestaltung des Verfahrens festlegt. Die bisherige Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen (Bonusregelung) vom 07.03.2006 hat das BKartA mit dem Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle am 19.01.2021 aufgehoben. Die Bonusregelung war obsolet geworden, nachdem der Gesetzgeber der 10. GWB-Novelle entsprechend der europäischen Vorgabe (Richtlinie (EU) Nr. 2019/1) in den §§ 81h bis 81n GWB geregelt hat (siehe hierzu bereits unseren Blogbeitrag vom 01.03.2021).

Wesentlicher Inhalt der Leitlinien zum Kronzeugenprogramm

Die Leitlinien zum Kronzeugenprogramm geben in weiten Teilen den Gesetzeswortlaut der §§ 81h bis 81n GWB wieder. In ihrer Gliederung ähneln sie jedoch stark der aufgehobenen Bonusregelung aus 2006. Dies hat für den Anwender wie für potentielle Kronzeugen den Vorteil besserer Übersichtlichkeit und Klarheit. Die gesetzlichen Regelungen für sich genommen sind dem gegenüber nicht nur aufgrund ihrer juristischen Diktion, sondern auch aufgrund der Vielzahl wechselseitiger Verweise auf andere Normen nicht ohne weiteres verständlich. U.U. übersieht man im Eifer des Gefechts einer rasch zutreffenden Entscheidung für oder gegen einen Kronzeugenantrag wichtige Anforderungen. Insofern sind die Leitlinien begrüßenswert.

In Teilen und soweit auch aus Sicht eines Verteidigers sinnvoll, präzisieren die Leitlinien die gesetzlichen Regelungen durch entsprechende Erläuterungen. Insbesondere legt das BKartA im Wege der Selbstbindung fest, wie es sein Ermessen bei der Anwendung des Kronzeugenprogramms auszuüben gedenkt und wie es das Verfahren im Einzelnen gestalten will. Soweit sich nicht die Voraussetzungen aufgrund der gesetzlichen Neuregelung gegenüber der vormaligen Bonusregelung geändert haben, bleibt es im Prinzip bei den bereits seit 2006 geübten Praxisgrundsätzen. Die wichtigsten Punkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Das BKartA sieht (in jedem Fall) von der Verhängung einer Geldbuße gegenüber einem Kartellbeteiligten ab, wenn der Kartellbeteiligte als Erster Beweismittel vorlegt, die das BKartA zu dem Zeitpunkt, zu dem es den Antrag auf Kronzeugenbehandlung erhält, erstmals in die Lage versetzt, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, und der Kartellbeteiligte die weiteren Voraussetzungen nach § 81k Abs. 1, 3, § 81j GWB erfüllt hat (Textziff. 5 der Leitlinien).
  • Das BKartA sieht in der Regel von der Verhängung einer Geldbuße gegenüber einem Kartellbeteiligten ab, wenn der Kartellbeteiligte als Erster Beweismittel vorliegt, die erstmals den Nachweis der Tat ermöglichen und die weiteren Voraussetzungen gemäß § 81k Abs. 2, § 81j GWB erfüllt sind (Textziff. 6 der Leitlinien).
  • Das BKartA kann gegenüber einem Kartellbeteiligten die Geldbuße ermäßigen, wenn der Kartellbeteiligte Beweismittel für das Kartell vorlegt, die im Hinblick auf den Nachweis der Tat gegenüber den Informationen und Beweismitteln, die dem BKartA bereits vorliegen, einen erheblichen Mehrwert aufweisen, und die weiteren Voraussetzungen nach § 81j GWB erfüllt sind. Entsprechend § 81l Abs. 2 GWB richtet sich der Umfang der Ermäßigung insbesondere nach dem Nutzen der Informationen und Beweismittel sowie nach dem Zeitpunkt der Anträge auf Kronzeugenbehandlung. Wie bisher im Rahmen der Bonusregelung übt das BKartA sein Ermessen dahingehend aus, dass es die Geldbuße um bis zu 50% reduziert, wobei die Entscheidung über die Ermäßigung wie bisher erst im Bußgeldbescheid erfolgt (tatsächlich kündigt das BKartA die Höhe der Reduzierung bereits im Rahmen der Settlement-Gespräche an, damit sich der Kartellbeteiligte über die Auswirkungen seines Settlements im Klaren ist) (Textziff. 8 und 9 der Leitlinien).
  • Entsprechend § 81l Abs. 3 GWB berücksichtigt das BKartA Beweise, welche es zur Feststellung zusätzlicher Tatsachen heranzieht und zur Festsetzung höherer Geldbußen gegenüber anderen Kartellbeteiligten verwendet, bei der Festsetzung der Geldbuße gegen den Antragsteller bzw. gegen den begünstigten Kartellbeteiligten nicht, sofern der Antragsteller als Erster stichhaltige Beweise übermittelt oder der Kartellbeteiligte, an deren erstmaliger Übermittlung umfassend mitwirkt (Textziff. 10 der Leitlinien).
  • Klarstellend weist das BKartA darauf hin, dass ein anonymer Antrag ausgeschlossen ist (Textziff. 13 der Leitlinien). Dies entspricht der Vorgabe in § 81m Abs. 1 Nr. 1 GWB, wonach eine wirksame Antragstellung bzw. das Setzen des entsprechenden Markers voraussetzt, dass der Antragsteller nicht nur die Identität der Kartellbeteiligten, sondern auch seine eigene offenbart.
  • Für die Ausarbeitung des eigentlichen Kronzeugenantrages und die Übermittlung detaillierter Informationen und Beweismittel nach Setzen eines Markers soll das BKartA gemäß § 81m Abs. 3 S. 1 GWB eine angemessene Frist setzen; entsprechend der bisherigen Bonusregelung beträgt diese Frist in der Regel nicht mehr als acht Wochen (Textziff. 17 der Leitlinien).
  • Maßgeblich für den Rang des ausgearbeiteten und fristgerecht eingereichten Kronzeugenantrags ist wie bisher und entsprechend § 81m Abs. 3 S. 2 GWB der Zeitpunkt des Markers (Textziff. 18 der Leitlinien).

Da das in den §§ 81h bis 81n GWB geregelte Kronzeugenprogramm zum 19.01.2021 in Kraft getreten ist, wird das BKartA nach diesem Zeitpunkt gestellte Anträge unter Heranziehung der Leitlinien zum Kronzeugenprogramm vom 23.08.2021 behandeln (Textziff. 30 der Leitlinien).

Fazit

Die Leitlinien zum Kronzeugenprogramm erleichtern die zumindest für den juristischen Laien nicht ohne weiteres verständlichen gesetzlichen Regelungen. Hinsichtlich der Ausübung seines Ermessens und der Gestaltung des Verfahrens bleibt das BKartA – insoweit erfreulicherweise – bei seiner bereits unter der Bonusregelung seit 2006 geübten Praxis. Für potentielle Kronzeugen bleibt somit alles im Wesentlichen beim Alten, eine angesichts der sich gerade in den letzten Jahren und auch in den kommenden Jahren kontinuierlich und zum Teil bedeutend ändernden kartellrechtlichen Regelungsgeflechts durchaus positive Nachricht.