Bundeskartellamt stellt Missbrauchsverfahren gegen Amazon ein

Aufgrund zahlreicher Beschwerden von Händlern hatte das Bundeskartellamt Ende November 2018 ein Missbrauchsverfahren gegen Amazon eingeleitet, um dessen Geschäftsbedingungen und Verhaltensweisen gegenüber den Händlern auf dem deutschen Marktplatz amazon.de zu überprüfen (s. hierzu meinen Beitrag vom 04.12.2018). Dieses Verfahren hat das Bundeskartellamt nunmehr eingestellt, nachdem Amazon seine allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Marktplatzhändler in den vom Bundeskartellamt beanstandeten Punkten geändert und weitere Änderungen des Marktplatzbetriebs zugesichert hat (s. Pressemitteilung und Fallbericht des Bundeskartellamts vom 17.07.2019).

Gegenstand der Überprüfung des Bundeskartellamts

Aufgrund entsprechender Beschwerden von Händlern betraf die Überprüfung durch das Bundeskartellamt verschiedene Aspekte in den allgemeinen Geschäftsbedingungen vom Amazon, wie sie insbesondere im Business Solution Agreement („BSA“) von Amazon vorgegeben werden, sowie bestimmte Verhaltensweisen von Amazon gegenüber den Marktplatzhändlern. Beanstandet wurde u.a. die intransparente Ausgestaltung der Geschäftsbedingungen, überraschende und teilweise nicht oder nur formelhaft begründete Kündigungen und Sperrungen, die fehlenden Möglichkeiten für Händler, eine vertragskonforme Leistung von Amazon durchzusetzen sowie streitige Sachverhalte aufzuklären, die Schlechterstellung von Händlern im Zusammenhang mit Kundenbewertungen, die Verpflichtung der Händler zur umfassenden Übertragung von Nutzungsrechten an Produktmaterial, die Verpflichtung der Händler zur Kostenübernahme bei offensichtlich unberechtigten Kundenretouren und verschiedene weitere Regelungen und Verhaltensweisen des Marktplatzes.

Von Amazon vorgenommene bzw. zugesagte Änderungen in den AGB

Amazon hat im Hinblick auf die wesentlichen vom Bundeskartellamt beanstandeten Regelungen und Verhaltensweisen entsprechende Änderungen vorgenommen bzw. zugesagt:

  • Bisher war es für die Händler schwer zu überblicken, welche Bestimmungen auf der Amazon-Plattform für Sie gelten. Amazon hat insoweit Transparenz und Auffindbarkeit der Geschäftsbedingungen verbessert und sich verpflichtet, Änderungen mit einer Frist von 15 Tagen vorher anzukündigen.
  • Bisher war Luxemburg als ausschließlicher Gerichtsstand für Klagen gegen Amazon vorgesehen. Amazon hat nunmehr auf diese Regelung verzichtet, so dass für die Händler die Möglichkeit besteht, nach allgemeinen Regeln Amazon im Inland zu verklagen.
  • Das BSA enthielt bisher einen sehr umfassenden Haftungsausschluss und weitgehende Haftungsbeschränkungen allein zugunsten von Amazon, wohingegen zu Lasten der Händler eine weite Haftung sowie die Verpflichtung zur Freistellung von Amazon gegenüber eventuellen Ansprüchen Dritter vorgesehen war. Der Haftungsausschluss wird künftig deutlich eingeschränkt und die Freistellungsverpflichtung zulasten der Händler enger gefasst werden. Damit werden europäische Mindeststandards im B2B-Geschäft beachtet.
  • Bisher hatte sich Amazon ein unbeschränktes Recht zur sofortigen Kündigung oder Sperrung von Händlern ohne Begründung vorbehalten, ebenso wie die sofortige Sperrung von Konten ohne Begründung. Nunmehr gilt eine Kündigungsfrist von 30 Tagen bei ordentlichen Kündigungen, bei außerordentlichen Kündigungen und Sperrungen wegen Gefährdung und Rechtsverletzungen unterliegt Amazon einer Informations- und Begründungspflicht.
  • Bisher mussten Händler Amazon als Marktplatzbetreiber sowie den mit Amazon verbundenen Unternehmen unwiderruflich sehr weitgehende weltweite Nutzungsrechte an dem von ihnen bereitzustellenden Produktmaterial (z.B. Produkt-Bilder/-Beschreibungen) einräumen. Zudem mussten die Händler nach Maßgabe der sog. Paritätsklausel Produktmaterial zur Verfügung stellen, das qualitativ ebenso hochwertig ist wie das hochwertigste, von den Händlern in anderen Vertriebskanälen verwendete Material. Zukünftig wird die Rechteübertragung zeitlich auf die Dauer der Schutzrechte des Händlers und inhaltlich hinsichtlich der möglichen Verwendung durch Amazon beschränkt. Die Paritätsklausel entfällt ersatzlos.
  • Hinsichtlich der äußerst kundenfreundlichen Amazon-Regeln gegenüber Käufern zu Retouren und Erstattungen hatten sich die Händler darüber beschwert, dass sie selbst bei erkennbar unberechtigten oder sogar missbräuchlichen Kundenretouren sämtliche Kosten zu tragen haben. Zwar bleiben die Amazon-Regeln gegenüber den Käufern unangetastet; zukünftig sollen aber die Interessen der Händler im Innenverhältnis zu Amazon stärkere Berücksichtigung finden. Unter bestimmten Voraussetzungen sollen Händler das Recht haben, die Rücksendung retournierter Produkte zu verlangen und innerhalb von 30 Tagen Widerspruch gegen eine Erstattungsentscheidung von Amazon einzuwiegen.
  • Bei den Verkäuferbewertungen sehen sich die Händler benachteiligt, weil Amazon selbst als Verkäufer nicht bewertet wird. Hinsichtlich der Produktbewertungen haben Händler kritisiert, dass über Drittanbieter eingeholte Produktbewertungen zu ihren Produkten nicht mehr eingestellt bzw. von Amazon gelöscht werden, während die von Amazon selbst über das eigene Bewertungsprogramm „Vine“ generierten Rezensionen weiter veröffentlicht werden. Auf Betreiben des Bundeskartellamts wird Amazon zeitnah das Vine-Programm für Marktplatzhändler öffnen und die hierfür erforderlichen Kapazitäten schrittweise ausbauen. Von darüberhinausgehenden Forderungen gegenüber Amazon hat das Bundeskartellamt bewusst abgesehen, da es anerkennt, dass Amazon ein erhebliches, gerechtfertigtes Interesse hat, nicht authentische Bewertungen („fake-reviews“) zu bekämpfen.

Parallele zum Facebook-Verfahren

Ebenso wie in dem Missbrauchsverfahren gegenüber Facebook (s. hierzu meinen Beitrag vom 19.02.2019) hat das Bundeskartellamt das Missbrauchsverfahren gegen Amazon primär auf nationale Regelungen zur Missbrauchsaufsicht gestützt, insbesondere auf die Vorschriften und die Rechtsprechung zum sog. qualitativen Ausbeutungsmissbrauch. Ein Ausbeutungsmissbrauch in Form der Verwendung unangemessener Geschäftsbedingungen durch ein marktbeherrschendes Unternehmen ist dann anzunehmen, wenn sich die Geschäftsbedingungen aufgrund einer Interessenabwägung unter Einbeziehung der Wertung des GWB sowie ggf. auch außer kartellrechtlicher Norm als nicht mehr interessengerecht darstellen. Für das hier maßgebliche AGB-Recht ist dabei zu berücksichtigen, dass diesem auch ein verfassungsrechtlicher Schutzauftrag zukommt. Hiernach war aus Sicht des Bundeskartellamts nicht jede für die Händler potentiell nachteilige oder sie möglicherweise sogar stark belastende Klauseln in den Geschäftsbedingungen kartellrechtlich zu beanstanden. Entscheidend war vielmehr, ob die Händler bei einer Gesamtbetrachtung durch die Verwendung der jeweiligen Geschäftsbedingungen in ihrer wettbewerblichen Betätigung auf dem Marktplatz erheblich gefährdet werden oder ihnen diese unmöglich gemacht wird.

Einstellung des Verfahrens gegen Amazon

Angesichts der von Amazon zugesicherten Verbesserungen insbesondere in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Marktplatzes hat es das Bundeskartellamt nicht für angemessen erachtet, das Missbrauchsverfahren fortzuführen, da die Zugeständnisse den Missbrauchsvorwurf in diesem Verfahren weitestgehend entfallen lassen. Sollte Amazon seine Zusicherungen allerdings nicht einhalten, kann das Bundeskartellamt das Missbrauchsverfahren wiederaufnehmen.

Erwähnenswert ist, dass Amazon die Änderungen in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nur für den deutschen Marktplatz, sondern auch für alle europäischen Marktplätze sowie weltweit auf allen seinen Online-Marktplätzen einschließlich des US-amerikanischen und der asiatischen Marktplätze vornimmt.

Parallel zum Bundeskartellamt haben weitere nationale Kartellbehörden mit gleicher Zielrichtung wie das Bundeskartellamt die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Amazon untersucht und Missbrauchsverfahren geführt. Soweit ersichtlich, hat jedenfalls die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde aufgrund der Änderungen bzw. Zusagen von Amazon ihr Verfahren ebenfalls eingestellt (s. Pressemitteilung der BWB vom 17.07.2019).

Weiteres Verfahren der europäischen Kommission gegen Amazon

Ebenfalls seit 2018 untersucht die Europäische Kommission in einem gesonderten Verfahren Amazons europäische Marktplätze. Die Bedenken der Kommission unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung richten sich hierbei gegen die Praxis von Amazon, Transaktionsdaten von Händlern zu erheben und diese für das eigene Online-Handelsgeschäft zu nutzen. Die Kommission hat insoweit nunmehr ein förmliches Missbrauchsverfahren eröffnet (s. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 17.07.2019).

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