Cartel Leniency: Das Rennen geht auch nach der 10. GWB-Novelle weiter!

Neben einer Vielzahl weiterer Änderungen des GWB ist der Gesetzgeber im Zuge des umfangreichen Projekts der 10. GWB-Novelle auch im Bereich der Kronzeugenbehandlung tätig gewesen. Die neuen Regelungen sind im Vergleich zu den früheren Bonusregelungen im Detail überarbeitet und ergänzt worden. Zudem haben sich viele Begriffe geändert. Insbesondere ist kein „Bonusantrag“ mehr zu stellen, sondern ein „Antrag auf Kronzeugenbehandlung“.

Hintergrund

Kronzeugenprogramme waren bisher in Bonusregelungen des Bundeskartellamtes sowie der Landeskartellbehörden geregelt. Vor dem Hintergrund der Richtlinie (EU) 2019/1 (ECN+-Richtlinie), die die Mitgliedstaaten in Art. 17 Abs. 1 dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden über Kronzeugenprogramme verfügen, hat sich der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der 10. GWB-Novelle dazu entschlossen, das Kronzeugenprogramm für das Bundeskartellamt und die Landeskartellbehörden in §§ 81h ff. GWB einheitlich gesetzlich zu regeln.

Am Grundprinzip des Kronzeugenprogramms hat sich durch die Überführung der Bonusregelungen in formelles Recht nichts geändert: Dem ersten Teilnehmer eines Kartells zwischen Wettbewerbern, der einen entsprechenden Antrag stellt, winkt ein Erlass der Geldbuße für die gesamte Unternehmensgruppe, während alle anderen Kartellteilnehmer (in der Regel nur) eine Ermäßigung erhalten können, die der Höhe nach insbesondere (wenn auch nicht ausschließlich) von der Reihenfolge der Anträge abhängt. Das berühmte „Windhundrennen“ findet also weiterhin statt. Allerdings hat der Gesetzgeber der 10. GWB-

Novelle die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Behandlung als Kronzeuge an die Vorgaben der ECN+-Richtlinie angepasst.

Allgemeine Voraussetzungen für die Kronzeugenbehandlung

Sowohl für einen vollständigen Erlass als auch für eine Ermäßigung der Geldbuße muss der Antragsteller die allgemeinen Voraussetzungen für die Kronzeugenbehandlung nach § 81j GWB erfüllen. Diese sind gegenüber den früheren Kooperationspflichten nach der Bonusregelung wesentlich ausführlicher geregelt und bestehen darin, dass der Antragsteller

  • die Kenntnis vom Kartell und der Beteiligung offenlegt bzw. als Kartellbeteiligter in einem zu seinen Gunsten geltenden Antrag umfassend an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt,
  • die Beteiligung am Kartell sofort abstellt, soweit nicht einzelne Handlungen nach Auffassung der Kartellbehörde möglicherweise erforderlich sind, um die Integrität ihrer Untersuchung zu wahren,
  • ernsthaft, fortgesetzt und zügig mit der Kartellbehörde kooperiert; dies beinhaltet insbesondere, dass er (a) unverzüglich alle ihm zugänglichen Informationen über und Beweise für das Kartell offenlegt, (b) jede Anfrage beantwortet, die zur Feststellung des Sachverhalts beitragen kann, (c) dafür Sorge trägt, dass Mitglieder der Aufsichts- und Leitungsgremien sowie sonstige Mitarbeiter für Befragungen zur Verfügung stehen, bzw. bei früheren Mitgliedern der Aufsichts- und Leitungsgremien sowie sonstigen früheren Mitarbeitern hierauf hinwirkt, (d) Informationen über und Beweise für das Kartell nicht vernichtet, verfälscht oder unterdrückt und (e) weder die Tatsache der Antragsstellung noch dessen Inhalt offenlegt, bis die Kartellbehörde ihn hiervon entbindet, sowie
  • während er die Stellung des Antrags erwogen hat, (a) Informationen über und Beweise für das Kartell weder vernichtet, noch verfälscht oder unterdrückt und (b) den beabsichtigten Antrag und dessen Inhalt nicht offenlegt.

Die Voraussetzung, dass bereits vor Antragstellung keine Informationen über oder Beweise für das Kartell vernichtet, verfälscht oder unterdrückt wurden, ist neu. Es kommt auch nicht darauf an, ob dies schuldhaft erfolgt.

Vollständiger Bußgelderlass

Wie bereits nach der Bonusregelung des Bundeskartellamtes setzt ein vollständiger Erlass der Geldbuße nach § 81k Abs. 1 GWB voraus, dass der Antragsteller als Erster Beweismittel vorlegt, die die Kartellbehörde erstmals in die Lage versetzt, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken. Ebenso sieht die Kartellbehörde nach § 81k Abs. 2 GWB weiterhin in der Regel von einem Bußgeld ab, wenn der Antragssteller als Erster Beweise vorlegt, die erstmals den Nachweis der Tat ermöglichen, sofern sie ohne den Antrag eines anderen Kartellbeteiligten bereits in der Lage war, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken.

Ähnlich wie bereits in der früheren Bonusregelung des Bundeskartellamtes darf der Antragsteller nach § 81k Abs. 3 GWB keine Schritte unternommen haben, um andere Kartellbeteiligte zur Beteiligung am oder zum Verbleib im Kartell zu zwingen. Unbeachtlich ist es nunmehr allerdings, wenn er der alleinige Anführer („ringleader“) des Kartells war.

Anders als nach der Bonusregelung setzt der Erlass der Geldbuße nicht mehr voraus, dass der Antragssteller tatsächlich auch den ersten Antrag gestellt hat. Es genügt vielmehr, dass sein Antrag als erster die Voraussetzungen für den Erlass der Geldbuße erfüllt hat.

Ermäßigung der Geldbuße

Eine Ermäßigung der Geldbuße setzt nach § 81l Abs. 1 Nr. 2 GWB voraus, dass der Antragsteller Beweismittel vorlegt, die im Hinblick auf den Nachweis der Tat gegenüber den Informationen und Beweismitteln, die der Kartellbehörde bereits vorliegen, einen erheblichen Mehrwert aufweisen. Dieser Mehrwert kann – ähnlich wie bereits nach der Bonusregelung vorausgesetzt – beispielsweise darin bestehen, dass die Informationen und Beweismittel bestehende Zusammenhänge verdeutlichen, oder den Nachweis bekannter Tatsachen bestärken. Wie bereits zuvor richtet sich der Umfang der Ermäßigung gem. § 81l Abs. 2 GWB nach dem Nutzen der Informationen und Beweismittel, während das Gesetz als weiteres Kriterium nunmehr auf den Zeitpunkt der Anträge anstatt die Reihenfolge der Anträge abstellt.

Ein Antragsteller, der eine Ermäßigung der Geldbuße erhält, wird nach § 81l Abs. 3 GWB zusätzlich privilegiert, wenn er als Erster stichhaltige Beweise übermittelt, die die Kartellbehörde zur Feststellung zusätzlicher Tatsachen heranzieht und zur Festsetzung höhere Geldbußen gegenüber anderen Kartellbeteiligten verwendet. Diese Tatsachen werden bei der Festsetzung der Geldbuße ihm gegenüber nicht berücksichtigt. Entsprechendes gilt, wenn ein Kartellbeteiligter bei einem Antrag zu seinen Gunsten an deren erstmaliger Übermittlung umfassend mitwirkt.

Anders als die Bonusregelung enthalten die gesetzlichen Regelungen nunmehr keine Beschränkung der Ermäßigung um höchstens 50%. Das Bundeskartellamt kann allerdings nach § 81h Abs. 3 GWB allgemeine Verwaltungsgrundsätze über die Ausübung seines Ermessens bei der Anwendung des Kronzeugenprogramms und der Gestaltung des Verfahrens festlegen, was es bis jetzt allerdings noch nicht getan hat.

Form des Antrags auf Kronzeugenbehandlung

Der Antrag ist gem. § 81i Abs. 3 GWB schriftlich oder elektronisch, sowie nach Absprache mit der Kartellbehörde auch mündlich oder in Textform zulässig. Er ist weiterhin in deutscher und englischer Sprache, darüber hinaus nach Absprache mit der Kartellbehörde aber auch in jeder anderen Sprache der Europäischen Union möglich. Bei einem Antrag in einer anderen Sprache als der deutschen, kann die Kartellbehörde vom Antragsteller verlangen, unverzüglich eine deutsche Übersetzung beizubringen.

Marker/Kurzantrag

§ 81m GWB ermöglicht es Kartellanten weiterhin, einen Marker zu setzen, nach dem sich der Rang des späteren Antrags bemisst. Für ihn gelten im Wesentlichen dieselben Formvorschriften wie für einen Antrag auf Kronzeugenbehandlung. Der Marker soll in Kurzform folgende Angaben enthalten:

  • den Namen und die Anschrift des Antragstellers,
  • die Namen der übrigen Kartellbeteiligten,
  • die betroffenen Produkte und Gebiete,
  • die Dauer und die Art der Tat, insbesondere betreffend die eigene Beteiligung und
  • Informationen über alle bisherigen oder etwaige zukünftigen Anträge auf Kronzeugenbehandlung im Zusammenhang mit dem Kartell bei anderen in- oder ausländischen Wettbewerbs- und Kartellbehörden.

Anders als nach der früheren Bonusregelung sieht § 81m Abs. 3 GWB keine Höchstfrist von acht Wochen mehr voraus, sondern spricht lediglich von einer angemessenen Frist.

Sofern der Antragsteller zugleich einen Antrag bei der Europäischen Kommission gestellt hat, ist nach § 81n GWB nunmehr kein Marker mehr zu setzen, sondern ein Kurzantrag, dessen Anforderungen sich weitgehend mit denen eines Markers decken.

Sonstiges

Der neue § 50d Abs. 2 GWB regelt ausdrücklich, dass das Bundeskartellamt Kronzeugenanträge an Wettbewerbsbehörden anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur übermitteln darf, wenn der Antragssteller dem zustimmt oder bei der anderen Wettbewerbsbehörde ein Antrag von demselben Antragsteller eingegangen ist, der sich auf dieselbe Zuwiderhandlung bezieht und die hierin enthaltenen Informationen nicht mehr zurückgezogen werden können. Für eine Übermittlung an die Europäische Kommission gelten keine Einschränkungen.

Die Übermittlung von Informationen über Kronzeugenanträge durch das Bundeskartellamt an Wettbewerbsbehörden außerhalb des European Competition Networks ist im GWB nicht vorgesehen, ist daher unzulässig und findet auch nicht statt.

Welcher Handlungsbedarf besteht für Unternehmen?

Unternehmen müssen sich über diese geänderten Anforderungen für den Erlass bzw. die Ermäßigung der Geldbuße bewusst sein, falls ein Antrag auf Kronzeugenbehandlung erforderlich sein sollte.