Corona: Corona sprengt die Hauptversammlungssaison

Das Coronavirus (COVID-19) hat Deutschland fest im Griff. Die Maßnahmen, die derzeit in allen Bundesländern ergriffen werden, bringen nicht nur massive Einschnitte für das Privatleben der Bürger und für das operative Geschäft vieler Unternehmen mit sich. Sie werden auch dazu führen, dass Versammlungen der Anteilseigner von Personen- und Kapitalgesellschaften nicht stattfinden können. Besondere Probleme ergeben sich für Aktiengesellschaften. Wegen Corona wird insbesondere die Hauptversammlungssaison 2020 verschoben. Mit Continental und Daimler haben Ende letzter Woche die ersten DAX-Unternehmen ihre Hauptversammlungen (HV) erst einmal abgesagt. Zu Beginn dieser Woche folgten weitere HV-Verschiebungen.

Absage der HV durch den Vorstand möglich und aktuell zwingend

Die Absage einer bereits einberufenen HV ist für das jeweilige Unternehmen – insbesondere bei großen börsennotierten Gesellschaften – wegen der aufwendigen und kostspieligen Vorbereitung ein bedauerlicher und möglichst zu vermeidender Schritt. Die Absage einer HV ist in rechtlicher Hinsicht aber verhältnismäßig unproblematisch. Theoretisch bis zum Beginn der HV kann der Vorstand einer Aktiengesellschaft die von ihm einberufene Aktionärsversammlung noch absagen (sog. Annexkompetenz).

Die Absagen aller für die nächsten Wochen einberufenen HVs sind momentan wegen der bestehenden infektionsschutzrechtlichen behördlichen Verfügungen sogar zwingend geboten. Auf Grundlage von § 28 Abs. 1 IfSG haben deutschlandweit die jeweils zuständigen Infektionsschutzbehörden Versammlungsverbote durch Allgemeinverfügung ausgesprochen. Teilweise greift das Versammlungsverbot erst ab einer bestimmten 

Mindestgröße von Zusammenkünften, die aber inzwischen selbst bei einer geringen Personenzahl erreicht ist (in Essen aktuell bei mehr als 15 Personen, Stand 17.03.2020). Von diesen Versammlungsverboten sind deshalb nicht nur die großen börsennotierten Aktiengesellschaften, sondern durchaus auch mittelgroße und kleine Aktiengesellschaften hinsichtlich der Durchführung der HV betroffen. Gleiches gilt für größere GmbHs und Personengesellschaften entsprechend (diesen stehen aber Alternativen offen).

Sofern nicht Vollversammlungen unter Mitwirkung aller Aktionäre stattfinden würden (was allenfalls bei kleineren Aktiengesellschaften in Betracht kommt), wären die Beschlüsse einer trotz bestehenden Versammlungsverbots durchgeführten Hauptversammlung mit höchster Wahrscheinlichkeit anfechtbar. Schon aus diesem Grund gebieten die die Vorstandsmitglieder treffenden Sorgfaltspflichten (§ 93 AktG), dass der Vorstand eine bereits einberufene Hauptversammlung im Hinblick auf ein Versammlungsverbot absagt. Hierzu sind die Vorstandsmitglieder auch schon wegen der aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG abzuleitenden Legalitätspflicht verpflichtet.

Konsequenzen bei Absage einer HV

Die wesentlichste Folge der Absage bzw. der Verschiebung einer HV dürfte darin bestehen, dass (vorerst) kein Ergebnisverwendungsbeschluss gefasst wird. Solange keine HV stattfindet, die über die Gewinnverwendung beschließt, steht den Aktionären kein Dividendenanspruch zu. In größerem Umfang beteiligte Aktionäre, die die Dividendenzahlung zu einem bestimmten Zeitpunkt fest eingeplant haben, fehlt dadurch mitunter wichtige Liquidität. Die Aktionäre haben jedenfalls ein Interesse an einer baldigen Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses, mithin an einer zügigen Nachholung der HV.

Andere Beschlüsse, die von der HV gefasst werden, sind weniger dringend (die Abschlussprüfer für das laufende Geschäftsjahr müssen erst Ende Dezember feststehen), ersetzbar (neue Aufsichtsratsmitglieder können ggfs. auch gerichtlich bestellt werden) oder ohne unmittelbare Rechtsfolge (Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat).

Wenn in einer HV hingegen dringend erforderliche Strukturmaßnahmen beschlossen werden sollten (z.B. Kapitalerhöhung oder Umwandlungsmaßnahmen) sind die Beteiligten auf eine baldige Nachholung unbedingt angewiesen.

Digitale HV als Alternative?

Wie ist nun nach der Absage einer HV zu verfahren? In Zeiten des Coronavirus wäre daran zu denken, ob nicht als Alternative eine vollständig „digitale Hauptversammlung“ in Betracht kommt, die nur virtuell im Internet stattfindet und bei der die Aktionärsrechte, insbesondere das Stimmrecht, nur digital ausgeübt werden können?

Im Ergebnis: Nein! Nach § 118 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AktG kann die Satzung der AG die Teilnahme an einer HV und die Ausübung der Aktionärsrechte auch ganz oder teilweise im Wege „elektronischer Kommunikation“ (d. h. insbesondere über das Internet) gestatten. Dies gilt insbesondere für die elektronische Stimmrechtsausübung. Die Einzelheiten kann dann der Vorstand bestimmen. Soweit die Satzung der Gesellschaft Derartiges nicht vorsieht, scheidet die virtuelle Teilnahme an der HV aber von vornherein aus. Einige Satzungen von DAX-Gesellschaften sehen elektronische Aktionärsrechte im Sinne von § 118 AktG vor. Bei der breiten Masse der Aktiengesellschaften (insbesondere bei älteren Satzungen und bei kleineren Gesellschaften) fehlt eine solche Satzungsgrundlage. Ganz gleich, ob die Satzung elektronische Aktionärsrechte vorsieht oder nicht, muss im Übrigen jede Hauptversammlung nach deutschem Aktienrecht zwingend als Präsenzversammlung stattfinden. Das unterscheidet die AG von der GmbH und den Personengesellschaften, bei denen auch schriftliche Beschlussverfahren im Gesellschaftsvertrag vorgesehen oder bei Einvernehmen der Gesellschafter angewandt werden können.

Die elektronische Wahrnehmung von Aktionärsrechten kann (bei entsprechender Satzungsgrundlage) allenfalls zusätzlich gestattet werden. Jedem Aktionär muss aber nach dessen Wahl die Teilnahme an der (physischen) Präsenzversammlung und die dortige Wahrnehmung seiner Aktionärsrechte (Stimmrecht, Auskunftsrecht) gestattet werden. Sofern dies nicht gewährleistet wäre, insbesondere kein freier Zutritt der Aktionäre zur Versammlung bestünde, wären mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Beschlüsse dieser HV fehlerhaft zustande gekommen und gerichtlich angreifbar.

Keine Aktiengesellschaft wird also bei Corona-bedingter Absage der HV um eine Nachholung der Präsenzversammlung umhinkommen. Sollte die Corona-Krise andauern, auch wenn keine Versammlungsverbote mehr die Abhaltung einer HV verbieten, empfiehlt es sich aber für die meisten Aktiengesellschaften, die Aktionäre verstärkt auf ihre Alternativen zur Teilnahme an der Präsenzversammlung hinzuweisen. Neben den in der Praxis noch weniger gebräuchlichen elektronischen Aktionärsrechten gilt dies vor allem in Bezug auf das Gebrauchmachen von Stimmrechtsvollmachten. Die Stimmrechtsvertretung 

dürfte vor allem für ältere, vom Coronavirus besonders bedrohte Aktionäre die sinnvollste Möglichkeit sein, um die persönliche Teilnahme an der Hauptversammlung zu vermeiden. Den Stimmrechtsvertreter kann der Aktionär frei wählen. Als „klassisches“ Instrument steht die Vollmacht an die Depotbank des Aktionärs zur Verfügung (wenngleich die Depotbanken sich in letzter Zeit breitflächig aus der Stimmrechtsvertretung zurückgezogen haben). Alternativ kommt das sog. Proxy-Voting in Betracht, bei dem der Aktionär eigenen Stimmrechtsvertretern der AG Vollmacht erteilt. Wichtig ist zu betonen, dass der Aktionär jedem Bevollmächtigten stets exakte Weisungen zur Ausübung des Stimmrechts erteilen kann und das Gebrauchmachen von seiner Stimme insofern auch bei Bevollmächtigung selbst in der Hand behält.

Frist für die Neuansetzung der Hauptversammlung

Der Hintergrund dafür, dass die meisten HVs börsennotierter AGs im Frühjahr (vor allem im April) stattfinden, ist die gesetzlich bestimmte Frist von vier Monaten nach Ende eines Geschäftsjahres für die Offenlegung des Jahres- und Konzernabschlusses bei kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften. Vielfach wird die Entgegennahme des Jahresabschlusses durch die HV vor dessen Offenlegung befürwortet. Dies ist indes nicht gesetzlich vorgeschrieben.

Das Aktienrecht bestimmt vielmehr in § 175 Abs. 1 Satz 2 AktG, dass die jährliche HV in den ersten 8 Monaten eines Geschäftsjahres stattzufinden hat. Bei einer Absage der HV wegen Corona muss der Vorstand dafür Sorge tragen, möglichst innerhalb dieses 8-Monats-Zeitraums die Hauptversammlung noch abzuhalten. Selbst eine Überschreitung dieser Frist würde allerdings nicht zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen führen, die in einer erst später einberufenen Hauptversammlung gefasst wurden. Zwar kann das Registergericht Zwangsgelder gegen einen Vorstand verhängen, der eine Hauptversammlung entgegen den Vorgaben des Aktiengesetzes nicht innerhalb der ersten acht Monate des Geschäftsjahres einberuft. Dies wird aber im vorliegenden Fall nicht geschehen, weil die Überschreitung der Frist zumindest aus wichtigem Grund zulässig ist, was bei Corona-bedingter Absage der Fall sein dürfte.

Fazit

Lässt es die Lage zu, sollte der Vorstand zu einer neuen HV für einen Termin bis spätestens zum 31.08.2020 einladen und bei den Aktionären im Interesse des Infektionsschutzes für die Möglichkeiten der Stimmrechtsvollmacht sowie ggfs. der elektronischen Teilnahme an der HV besonders werben.

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