Corona: Coronakrise und parlamentarische Beschlussfähigkeit
Bis zur letzten Woche wurden fortlaufend neue Gesetze zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und zur Abmilderung von deren Folgen verabschiedet. Sie werden in der parlamentarischen Demokratie von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Auch die Mitglieder dieser Häuser sind der Ansteckungsgefahr mit den Sars-CoV-2-Viren ausgesetzt und können krankheits- bzw. quarantänebedingt ausfallen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage der parlamentarischen Beschlussfähigkeit, wenn die Parlamente nach Ende der Osterpause wieder zusammentreten.
Bundestag
Die Beschlussfähigkeit des Bundestags als Volksvertretung ist in seiner Geschäftsordnung (GO-BT) geregelt. Gem. § 45 Abs. 1 GO-BT ist der Bundestag beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Am 25.03.2020 haben die Abgeordneten eine Änderung der Geschäftsordnung zur „besonderen Anwendung der Geschäftsordnung aufgrund der allgemeinen Beeinträchtigung durch Covid-19 sowie Änderung der Anlage 6 GO-BT“ (BT-Drs. 19/18126) angenommen. Im Rahmen dieser Änderung wird bis zum 30.09.2020 befristet ein neuer § 126a GO-BT eingefügt, der in seinem Absatz 1 das Quorum für die Beschlussfähigkeit des Plenums auf ein Viertel der Mitglieder absenkt. Aktuell ist das erforderliche Quorum also mit 178 anwesenden Mitgliedern erreicht. Angesichts der abgegebenen 527 Stimmen bei der letzten namentlichen Abstimmung am 25.03.2020 (BT-Drs. 19/18108) erscheint eine Unterschreitung dieses Quorums gegenwärtig unwahrscheinlich.
Gem. § 45 Abs. 2 S. 1 GO-BT können eine Fraktion oder 5 % der Mitglieder des Bundestags die Beschlussfähigkeit bezweifeln und die ausreichende Anwesenheit überprüfen lassen. Solange die Beschlussunfähigkeit nicht positiv festgestellt wurde, wird die Beschlussfähigkeit vermutet. Wenn nur noch weniger als 5 % der Mitglieder anwesend sind, nehmen einige Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur mit guten Gründen eine absolute Beschlussunfähigkeit an.
Bundesrat
Kein Bundesgesetz kommt ohne seine Befassung durch den Bundesrat zustande. Die Beschlussfähigkeit des Bundesrats als Ländervertretung ist gem. § 28 Abs. 1 seiner Geschäftsordnung (GO-BR) gegeben, wenn die Mehrheit seiner Stimmen vertreten ist. Die Stimmen bemessen sich dabei gem. Art. 51 Abs. 2 GG im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Länder, aktuell ist bei 35 Stimmen das Quorum erreicht. Die Beschlussunfähigkeit muss – insoweit anders als beim Bundestag – nicht positiv festgestellt werden. Stattdessen muss die Sitzung bei Beschlussunfähigkeit gem. § 28 Abs. 2 GO-BR vom Bundesratspräsidenten aufgehoben werden. Allerdings ist zu konstatieren, dass bereits ein Vertreter des Bundeslandes ausreicht, um die Stimmen seines Landes zu vertreten. Zudem können die jeweiligen Mitglieder des Bundesrats jeweils durch andere Mitglieder der jeweiligen Landesregierung vertreten werden, Art. 51 Abs. 1 S. 2 GG. Die Beschlussunfähigkeit des Bundesrats ist deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenfalls unwahrscheinlich.
Notstandsgesetzgebung?
Art. 115a Abs. 2 GG sieht für den Verteidigungsfall die Möglichkeit vor, die Gesetzgebung durch einen gemeinsamen Ausschuss von Bundestag und Bundesrat (2/3 BT-Mitglieder, 1/3 BR-Mitglieder) wahrzunehmen, welcher gem. § 1 Abs. 1 seiner Geschäftsordnung nur aus 48 Mitgliedern besteht. Für den Pandemiefall sieht das Grundgesetz eine solche Möglichkeit der „Notstandsgesetzgebung“ indes nicht vor. In diesem Zusammenhang wird verschiedenen Berichten zufolge aktuell die Einführung eines Art. 53b GG diskutiert, welcher die Möglichkeit eines „Notparlamentes“ auch im Falle einer Pandemie eröffnen soll. Angesichts der dafür notwendigen Grundgesetzänderung ist es bis dahin aber noch ein weiter Weg.
Fazit
In der gegenwärtigen Situation ist eine Beschlussunfähigkeit von Bundestag und/oder Bundesrat nicht zu befürchten. Die Funktionsfähigkeit der Parlamente wird insbesondere über die in der letzten Woche beschlossene Änderung der GO BT (BT-Drs. 19/18126) und die Vertretungsregelungen des Bundesrats gesichert.