Corona: Fortgang der Verwaltungsverfahren in Zeiten von Corona

In den Zeiten der Corona-Pandemie ist man geneigt zu glauben, dass die Frage ob, wie und wann Verwaltungsverfahren fortgeführt werden können, zweitrangig ist. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Infrastrukturprojekte der Daseinsvorsorge müssen fortgeführt werden. Die Corona-Pandemie zeigt, wie wichtig eine funktionsfähige Infrastruktur ist. Das gilt für das Gesundheitssystem und die Lebensmittelversorgung und ebenso für die Grundbausteine der Versorgung, zu denen etwa Energie, Strom sowie Rohstoffe gehören.

Infrastrukturprojekte sind typischerweise planfeststellungs- und zudem oftmals UVP-pflichtig. Das bedeutet, dass im Zulassungsverfahren eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen ist. Die Antragsunterlagen sind zur öffentlichen Einsichtnahme in öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten, oftmals Rathäusern oder Ämtern, auszulegen. Jedermann kann dort ohne Zugangsbeschränkungen für die Dauer eines Monats Einsicht in die Antragsunterlagen nehmen. Betroffene können Einwendungen erheben. Über die Einwendungen ist ein Erörterungstermin durchzuführen, der im Immissionsschutzrecht als öffentlicher Termin, im Planfeststellungsverfahren als nicht öffentlicher Termin aber mit Teilnahmerecht aller Einwender und Betroffenen geregelt ist.

Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist derzeit nicht ohne Veränderungen durchführbar. Schon die Auslegung von Antragsunterlagen mit der Möglichkeit der Einsichtnahme durch Jedermann ist jedenfalls solange die Amtsstuben für den Publikumsverkehr geschlossen sind, nicht möglich. Und selbst bei Wiederöffnung der Amtsstuben dürfte die Benutzung von Papierunterlagen durch mehrere, ggf. viele Personen derzeit kaum wünschenswert sein. Ein Erörterungstermin mit einer unbeschränkten Teilnehmerzahl bei öffentlicher Durchführung und auch bei nichtöffentlicher Durchführung einem potentiell großen Teilnehmerkreis ist aktuell völlig ausgeschlossen.

Es lässt sich argumentieren, dass bereits auf Grundlage der aktuellen verordnungsrechtlichen Verbote von Zusammenkünften und Ansammlungen von mehr als zwei Personen im öffentlichen Raum die Auslegung von Antragsunterlagen in Papierform und die Durchführung von Erörterungsterminen entbehrlich, d.h. dispensiert ist. Denn die Verfahren sind nicht durchführbar. Die Zugänglichmachung von Antragsunterlagen kann auf elektronischem Wege im Internet erfolgen, wie in § 27a Abs. 1 S. 3 VwVfG bereits seit längerem additiv zur öffentlichen Auslegung in Papierform geregelt. Der Erörterungstermin muss ersatzlos entfallen.

Aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine gesetzliche Regelung, wie mit der Öffentlichkeitsbeteiligung während der Corona-Pandemie umgegangen werden soll, erforderlich. Hier muss der Gesetzgeber schnell handeln. Denn der Fortgang öffentlichkeitsbeteiligungspflichtiger Verfahren kann nicht warten, auch und erst recht nicht bis zu dem aktuell nicht absehbaren Ende der Corona-Pandemie. Die Versorgung mit Gütern der Daseinsvorsorge muss weiterhin sichergestellt werden.

Das Verfahren der Unterlagenauslegung für die öffentliche Einsichtnahme muss ausschließlich auf den elektronischen Weg verlegt werden. In § 27a Abs. 1 S. 3 VwVfG ist bereits seit längerem der Zugang zu auszulegenden Unterlagen auch über das Internet geregelt. Dies muss jetzt der einzige Weg der Zugänglichmachung werden und kann durchaus auch nach dem Ende der Corona-Pandemie der einzige Weg der Zugänglichmachung bleiben. Die Auslegung von Papierunterlagen – mit oftmals erheblichem Umfang – ist bereits seit langem veraltet und stellt die Verwaltungen ganz unabhängig von Corona vor überflüssige Herausforderungen der Organisation von Räumlichkeiten, der Versendung und Verwaltung von Papiermassen und der Schaffung von Kopiermöglichkeiten. Dies alles ist aufgrund des Internets seit langem nicht mehr erforderlich, aber gesetzlich noch geregelt. Mit dem Gesetz zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus vom 13.05.2019 wurde in § 22 Abs. 3 S. 2 NABEG eine erste Aufweichung der bisherigen Regelung eingefügt, wonach die Planfeststellungsbehörde in Verfahren, die dem NABEG unterliegen, eine elektronische Auslegung der Antragsunterlagen an der Auslegungsstelle verfügen kann. Dies muss jetzt für alle Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung, d.h. für das Planfeststellungsverfahren in §§ 72 ff. VwVfG, für Planfeststellungsverfahren, die in Spezialgesetzen, wie etwa dem NABEG, geregelt sind, für das förmliche immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren, für Verfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung und auch für das Bauleitplanverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren konsequent zu Ende gedacht und auf eine alleinige Zugänglichmachung über das Internet außerhalb der Auslegungsstellen, d.h. über die privaten Computer potentiell Betroffener ausgeweitet werden. Der elektronische Rechtsverkehr ist Stand der Technik und jedenfalls derzeit der einzige Weg zur Fortführung von Verwaltungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung.

Der sich an die Auslegung anschließende Erörterungstermin ist in einzelnen Spezialgesetzen bereits fakultativ als Ermessensentscheidung der Planfeststellungsbehörde geregelt (§ 17a Nr. 1 FStrG, § 18a Nr. 1 AEG, § 14a WaStrG). Mindestens eine fakultative Regelung des Erörterungstermins muss jetzt für alle Planfeststellungsverfahren im VwVfG geregelt werden, womit dies aufgrund Verweis auf die Regelungen des Planfeststellungsverfahrens in § 18 Abs. 1 S. 4 UVPG auch für UVP-pflichtige Vorhaben, die nicht planfeststellungspflichtig sind, gälte. Dies widerspricht auch nicht europarechtlichen Regelungen, da ein Erörterungstermin auf Grundlage der UVP-Richtlinie ohnehin nicht erforderlich ist. Eine rein fakultative Regelung des Erörterungstermins wäre ohnehin und unabhängig von der Corona-Pandemie grundsätzlich wünschenswert und sinnvoll. Während der Dauer der Corona-Pandemie ist eine solche Regelung unentbehrlich, um eine Stagnation der Verfahren zu verhindern. Ebenso möglich wäre eine gesetzliche generelle Aussetzung von Erörterungsterminen während der Corona-Pandemie, womit eine behördliche Ermessensentscheidung entbehrlich würde. Wichtig ist, dass die Entscheidung von einem Erörterungstermin abzusehen, während der Dauer der Corona-Pandemie mit Wirkung auch für die Zeit danach getroffen wird, d.h. ein Erörterungstermin nicht nach dem Ende der Corona-Pandemie nachgeholt werden muss, wenn bis dahin noch keine Zulassungsentscheidung erlassen wurde. Anderenfalls, bei einem reinen Aufschub des Erörterungstermins, wäre zeitlich nichts gewonnen. Vorhaben, die „normalerweise“ während der Corona-Pandemie erörtert worden wären, müssen auch bei einem fehlenden Abschluss des Zulassungsverfahrens nach der Corona-Pandemie ohne das Erfordernis einer Erörterung fortgesetzt und beendet werden können. Soweit die Auslegung von Antragsunterlagen bereits vor der Corona-Pandemie durchgeführt wurde und Einwender auf der bisherigen gesetzlichen Grundlage davon ausgehen konnten, dass ihre Einwendungen auch noch mündlich erörtert werden, ist zu überlegen, diesen Personen als Ersatz des Erörterungstermins eine nochmalige kurze Frist zur Erläuterung bzw. Vertiefung ihrer Einwendungen einzuräumen.

Der Gesetzgeber ist in diesen Zeiten stark gefordert und den Politikern gilt aller Respekt bei der Bewältigung der Krise. Aber die Arbeit ist noch lange nicht getan und das Verwaltungsverfahren darf nicht vergessen werden.

Autorin

  • Öffentliches Wirtschaftsrecht
  • Umwelt- und Planungsrecht