Die Bundesregierung hat auch im Gesellschaftsrecht schnell auf die Coronakrise reagiert. Die Politik trägt den Bedürfnissen der Rechtspraxis nach Erleichterungen bei der Abhaltung von Gesellschafter- und Hauptversammlungen sowie im Bereich der Strukturmaßnahmen Rechnung. Am 23.03.2020 hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf „zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ verabschiedet, der heute im Bundestag beschlossen werden soll. Den Wortlaut dieses Gesetzentwurfs finden Sie hier:
Alle beabsichtigten Gesetzesänderungen im Gesellschaftsrecht verfolgen das Ziel, die Gesellschaften trotz weiterhin bestehender Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten in ihrer Handlungs- und Funktionsfähigkeit zu unterstützen und zu stärken. Insbesondere soll verhindert werden, dass die infektionsschutzrechtlichen Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten gesellschaftsrechtliche Beschlussfassungen für geraume Zeit verhindern.
Aktiengesellschaft: Startschuss für die virtuelle Hauptversammlung
Noch in der letzten Woche haben wir an dieser Stelle (https://www.kuemmerlein.de/aktuelles/einzelansicht/corona-corona-sprengt-die-hauptversammlungssaison/) von den Absagen der Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften im Zuge der Corona-Krise berichtet. Die derzeitigen Versammlungsverbote hätten bei unveränderten rechtlichen Rahmenbedingungen die Durchführung von Hauptversammlungen auf unbestimmte Zeit verhindert. Dadurch wären nicht nur die Auszahlungen von Dividenden, sondern auch dringend erforderliche Personal- und Strukturmaßnahmen auf unbestimmte Zeit unterbunden worden.
Der Regierungsentwurf begegnet diesen Problemen im Aktienrecht mit folgenden Maßnahmen:
- Die Frist, innerhalb derer eine HV durchgeführt werden muss, wird verlängert: Die HV muss irgendwann innerhalb des Geschäftsjahres (und nicht wie bisher innerhalb der ersten acht Monate des auf den Bilanzstichtag folgenden Geschäftsjahres) durchgeführt werden.
- Die Mindesteinberufungsfrist für eine HV wird von 30 auf 21 Tage verkürzt.
- Die elektronische Teilnahme von Aktionären an der HV und die elektronische Stimmabgabe sowie die Teilnahme von Aussichtsratsmitgliedern an einer HV durch Bild- und Tonübertragung (i.S.v. § 118 AktG) kann auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage vom Vorstand ermöglicht werden.
- Völliges Novum: Eine HV muss – anders als nach geltendem Aktienrecht – nicht zwingend als Präsenzversammlung mit physischem Teilnahmerecht eines jeden Aktionärs stattfinden. Der Vorstand kann vielmehr entscheiden, dass die HV als „virtuelle Hauptversammlung“, d. h. als Online-Hauptversammlung, abgehalten wird.
- Außerdem kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung durch die Satzung entscheiden, einen Abschlag auf den Bilanzgewinn an die Aktionäre zu zahlen.
Alle vorstehenden Maßnahmen bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats, die auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage ohne physische Anwesenheit der Aufsichtsratsmitglieder schriftlich oder telefonisch erteilt werden kann.
Die geplanten Gesetzesänderungen gelten auch für die Europäische Aktiengesellschaft (SE) allein mit der Maßgabe, dass wegen der europarechtlichen Vorgabe eine Verlängerung der dort gültigen Sechs-Monats-Frist für die Abhaltung der Hauptversammlung durch bundesgesetzliche Regelungen nicht möglich ist.
GmbH: Erleichterte Gesellschafterbeschlüsse ohne Versammlung
Bei der GmbH regelt häufig der Gesellschaftsvertrag, auf welche Weise Gesellschafterbeschlüsse gefasst werden können, ohne dass eine Gesellschafterversammlung stattfinden muss. Besteht keine hiervon abweichende Satzungsregelung gestattet § 48 Abs. 2 GmbHG schriftliche Gesellschafterbeschlüsse nur, wenn sich alle Gesellschafter mit diesem Verfahren einverstanden erklären oder sich an der Abstimmung beteiligen. Das Gesetz erlaubt Beschlüsse außerhalb Gesellschafterversammlungen also nur mit Einverständnis aller Gesellschafter.
Dies wird durch den vorgelegten Gesetzesentwurf nun geändert. Hiernach können Gesellschafterbeschlüsse in Textform außerhalb von Versammlungen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden. Im Hinblick auf die Versammlungsbeschränkungen in der Coronakrise ist die Liberalisierung zwar zu begrüßen. Die knappe apodiktische Regelung wirft allerdings viele Fragen auf: Wie soll ein Gesellschafterbeschluss zustandekommen, wenn eben nicht alle Gesellschafter mitwirken? Muss der Beschluss zumindest mit der Mehrheit aller in der Gesellschaft vorhandenen Stimmrechte erfolgen? Genügt es, wenn auf die Aufforderung zur Stimmabgabe eines nur gering beteiligten Gesellschafters kein Mitgesellschafter innerhalb einer vom Initiator gesetzten Frist reagiert?
Fragen zum Beschlussverfahren stellen sich im Falle des Einverständnisses aller Gesellschafter mit dem Beschlussverfahren nicht. Obwohl auf das Einverständnis nun verzichtet wird, lässt der Regierungsentwurf die Fragen zum Verfahren leider unbeantwortet.
In der Praxis sollte zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit möglichst auf Einverständnis aller Gesellschafter mit dem beabsichtigten Beschlussverfahren hingewirkt werden. Sollte dies nicht möglich sein, dürfte ein wirksamer Beschluss jedenfalls dann zustandekommen, wenn der Beschlussvorschlag allen Gesellschaftern zugeleitet wird und die Mehrheit aller in der Gesellschaft vorhandenen Stimmrechte dem Beschlussvorschlag die Zustimmung erteilt. Ergänzend kann man für die Beschlussfassung außerhalb einer Versammlung die entsprechende Anwendung der Bestimmungen über die Gesellschafterversammlung in Betracht ziehen. So könnten das Recht zur Beschlussankündigung (§ 50 Abs. 2 GmbHG), die Einberufungsfrist von einer Woche (§ 51 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) sowie die Satzungs- und Gesetzesbestimmungen zur Beschlussfähigkeit und zur erforderlichen Beschlussmehrheit entsprechend auf schriftliche Gesellschafterbeschlüsse auf Grundlage des neuen Rechts angewandt werden. Hieran kann man sich bei Zweifelsfragen zum Verfahren jedenfalls orientieren.
Umwandlungsrecht: Frist für Schlussbilanz verlängert
Um umwandlungswilligen Gesellschaften mehr Zeit zu verschaffen, hat der Gesetzgeber auch eine sehr praxisrelevante Frist im Umwandlungsrecht verlängert: Die Schlussbilanz, die nach § 17 Abs. 2 UmwG von jedem übertragenden Rechtsträger im Sinne des Umwandlungsrechts bei der Anmeldung eines Umwandlungsvorgangs zum Handelsregister vorzulegen ist, darf im Zeitpunkt der Anmeldung aufgrund des Gesetzesentwurfs in diesem Jahr bis zu 12 Monate alt sein (ansonsten gilt auch hier die 8-Monats-Frist).
Dies wird die Situation entspannen, wenn Gesellschaften für geplante Umwandlungsmaßnahmen noch auf die Bilanz des Geschäftsjahrs 2019 zurückgreifen müssen. Die Neuerung wird dabei helfen, eine Überlastung der Handelsregister Ende August 2020 zu verhindern.
Befristung aller Regelungen
Alle vorstehend dargestellten Gesetzesänderungen gelten nur bis zum 31.12.2020, können allerdings durch Rechtsverordnung bis zum 31.12.2021 verlängert werden.