Corporate Social Responsibility: Transparenzzwang auch für kleine Mittelständler?

Der deutsche Gesetzgeber erarbeitet derzeit ein Gesetz zur Umsetzung der europäischen CSR-Richtlinie, durch welche in die europäische Bilanz-Richtlinie Anforderungen zur Berichterstattung auch über nichtfinanzielle Belange aufgenommen worden sind (siehe insbesondere Art. 19a der Bilanz-Richtlinie in der aktuell geltenden Fassung). Betroffene Unternehmen müssen demnach eine „Nichtfinanzielle Erklärung“ in den Lagebericht aufnehmen, die

diejenigen Angaben enthält, die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage des Unternehmens sowie der Auswirkungen seiner Tätigkeit erforderlich sind und sich mindestens auf Umwelt-, Sozial-, und Arbeitnehmerbelange, auf die Achtung der Menschenrechte und auf die Bekämpfung von Korruption und Bestechung beziehen.

Der Prozess zur Umsetzung in nationales, also auch deutsches, Recht muss bis Ende 2016 abgeschlossen sein, so will es das Europarecht. Einen ersten Überblick zu dem damals gerade veröffentlichten Referentenentwurf hatte ich im März auf diesem Blog gegeben. Im Kern geht es um Wirtschaftslenkung durch den Druck der öffentlichen Meinung, aber der Gesetzentwurf adressiert nur Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Nun liegen eine Reihe von Stellungnahmen verschiedener Verbände und Vereinigungen vor, und einige davon formulieren eine Sorge, die kleinere Mittelständler aufhorchen lassen sollte: Schafft das Gesetz womöglich mittelbar auch für Unternehmen unterhalb der offiziellen Größenschwelle gravierende Berichtspflichten?

Nominelle Zielgruppe sind große Unternehmen

Auf den ersten Blick überrascht diese Überlegung, denn der Entwurf aus dem Bundesjustizministerium formuliert den Adressatenkreis der neuen Pflichten recht klar (und übernimmt damit die Regelung in Art. 1 der CSR-Richtlinie). Die betreffende Regelung findet sich im geplanten neuen § 289b Abs. 1 Satz 1 HGB und lautet:

Eine Kapitalgesellschaft hat ihren Lagebericht um eine nichtfinanzielle Erklärung zu erweitern, wenn sie die folgenden Merkmale erfüllt:

  1. die Kapitalgesellschaft erfüllt die Voraussetzungen des § 267 Absatz 3 Satz 1,
  2. die Kapitalgesellschaft ist kapitalmarktorientiert im Sinne des § 264d und
  3. die Kapitalgesellschaft hat im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt.

Aus § 267 Abs. 3 Satz 1 HGB ergibt sich eine wirtschaftliche Untergrenze bei 20 Millionen Euro Bilanzsumme und 40 Millionen Umsatzerlösen in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag. Hinzu kommen gleich zwei Kriterien, welche eigentlich sicherstellen sollen, dass nur große Unternehmen von den neuen Berichtspflichten betroffen sind: Das fragliche Unternehmen muss im Durchschnitt des Geschäftsjahres mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt haben und „kapitalmarktorientiert“ sein, also – verkürzt gesagt – Wertpapiere auf einem organisierten Markt im Sinne des Wertpapierhandelsgesetz ausgeben (siehe § 264d HGB).

Risiko auch für kleinere Player

Wieso kann man angesichts dieses Wortlautes auf die Idee kommen, dass auch kleinere Unternehmen betroffen sein können? Das Problem kann aufgrund einer Formulierung entstehen, durch welche sowohl der deutsche als auch der europäische Gesetzgeber versuchen, den politisch gewünschten Inhalt der Erklärung über Corporate Social Resonsibility zu konkretisieren. Nach der zu Beginn dieses Beitrags zitierten Generalklausel geht Art. 19a der neuen Bilanz-Richtlinie auszugsweise nämlich wie folgt weiter:

eine nichtfinanzielle Erklärung (…), die diejenigen Angaben enthält, (…) einschließlich

a) einer kurzen Beschreibung des Geschäftsmodells des Unternehmens;

b) einer Beschreibung der von dem Unternehmen in Bezug auf diese Belange verfolgten Konzepte, einschließlich der angewandten Due-Diligence-Prozesse;

c) der Ergebnisse dieser Konzepte;

d) der wesentlichen Risiken im Zusammenhang mit diesen Belangen, die mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens — einschließlich, wenn dies relevant und verhältnismäßig ist, seiner Geschäftsbeziehungen, seiner Erzeugnisse oder seiner Dienstleistungen — verknüpft sind und die wahrscheinlich negative Auswirkungen auf diese Bereiche haben werden, sowie der Handhabung dieser Risiken durch das Unternehmen;

e) der wichtigsten nichtfinanziellen Leistungsindikatoren, die für die betreffende Geschäftstätigkeit von Bedeutung sind.

Ein mittelbarer Zwang für kleinere Unternehmen könnte sich – so die Befürchtung in einigen Stellungnahmen – aus Buchstabe d) ergeben. Dieser verpflichtet die Adressaten der CSR-Richtlinie (also große Unternehmen) unter anderem zum Bericht über nichtfinanzielle Risiken, also (siehe den Beginn des Artikels)

Auswirkungen seiner Tätigkeit (…) mindestens auf Umwelt-, Sozial-, und Arbeitnehmerbelange, auf die Achtung der Menschenrechte und auf die Bekämpfung von Korruption und Bestechung

soweit diese mit

Geschäftsbeziehungen (…) verknüpft sind.

Der deutsche Gesetzgeber will dies in etwas anderen Worten in den geplanten neuen § 289c Abs. 3 Nr. 5 HGB übernehmen und die Berichtspflicht unter anderem auf

die wesentlichen Risiken

ausdehnen,

die mit den Geschäftsbeziehungen der Kapitalgesellschaft, ihren Produkten und Dienstleistungen verknüpft sind und die sehr wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen auf die in Absatz 2 genannten Aspekte haben [das sind die zu berichtenden Inhalte, bei welchen der deutsche Gesetzgeber noch etwas weiter greifen will als vom europäischen vorgegeben, Anm. d. Verf.] oder haben werden, soweit die Angaben von Bedeutung sind und die Berichterstattung über diese Risiken verhältnismäßig ist, sowie die Handhabung dieser Risiken durch die Kapitalgesellschaft.

Auch hier tauchen also die Geschäftsbeziehungen wieder auf. Und damit steht das Problem im Raum. Was ist damit gemeint, und wie werden die großen Unternehmen möglicherweise einen Bericht über CSR-Risiken ihrer Geschäftsbeziehungen produzieren? Eine denkbare Antwort lautet: Indem sie ihren Up- bzw. Downstream betrachten und ihrerseits CSR-Berichte fordern, insbesondere von ihren Zulieferern und Dienstleistern. Marktmächtige Kunden könnten geneigt sein, den für sie einfachsten Weg zu gehen und von ihren Zulieferern schlicht ein umfassendes Berichtswesen zu den so genannten nichtfinanziellen Belangen fordern. Das würde den Kreis der CSR-Berichterstattung durch faktischen Druck weit über den eigentlichen Adressatenkreis der CSR-Richtlinie und der neuen Vorschriften im Handelsgesetzbuch hinaus ausdehnen.

Jedenfalls der deutsche Gesetzgeber scheint in diese Richtung zu denken, erwähnt er doch in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich (auf S. 46 oben):

Darüber hinaus sind auch Risiken zu berichten, die sich aus den eigenen Geschäftsbeziehungen der Kapitalgesellschaft zu anderen Unternehmen – auch außerhalb der eigenen Konzernstruktur – ergeben, etwa aus Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten.

Und etwas weiter (auf S. 47) heißt es:

In der öffentlichen Diskussion über die Wahrnehmung verstärkter Verantwortung durch Unternehmen spielt die Lieferkette eine zentrale Rolle. Denn häufig finden Verletzungen anerkannter Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards in Drittstaaten und durch Vertragspartner von berichtspflichtigen Unternehmen statt. Für die Allgemeinheit ist es daher wichtig, zu erfahren, ob die berichtende Kapitalgesellschaft aufgrund ihres Geschäftsmodells eine Lieferkette eingerichtet hat und bis zu welcher Tiefe der Lieferkette nichtfinanzielle Angaben gemacht werden. Diese Anforderung findet sich mit unterschiedlichen Akzenten in den meisten Rahmenwerken für die Berichterstattung.

Eine ganz neue Form staatlicher Eingriffe

Aus öffentlichrechtlicher Sicht ist die gesamte Vorgehensweise der CSR-Berichterstattung eine ganz neue Art staatlicher Belastungen, denn sie unternimmt einen geradezu interessanten Versuch, Wirtschaftslenkung zu erreichen, ohne sie an den klassischen rechtlichen Kategorien rechtfertigen zu müssen. Normalerweise würde man nämlich den politischen Wunsch, ein bestimmtes Verhalten von Unternehmen zu erreichen, daran messen, ob die aus dem Wunsch resultierenden Belastungen verhältnismäßig sind, also verkürzt gesagt, ob die Zweck-Mittel-Relation tragbar ist. Ein Gesetz, die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten oder besonders weitreichenden Dialog mit der besorgten Nachbarschaft zu führen (zwei willkürliche Beispiele) wäre also nicht ohne weiteres zulässig.

Das kann sich ändern, wenn der Gesetzgeber solche Pflichten nicht mehr ausdrücklich formuliert, sondern darauf setzt, dass Unternehmen unter dem Druck der öffentlichen Meinung schon tun werden, was diese für richtig hält. Dass damit Mechanismen herangezogen werden, die nicht immer einer rationalen Nachprüfung standhalten, ist eines der Probleme einer solchen Vorgehensweise. Aus juristischer Sicht setzt der Gesetzgeber Unternehmen damit einem Maßstab aus, den er selbst nicht anwenden dürfte – ein diskussionswürdiges Thema.

Erst recht bedenklich ist das, wenn der gerufene Geist nicht nur schwer zu beherrschen ist, sondern auch noch dort tätig wird, wo der Zauberlehrling ihn nicht haben wollte: Bei kleineren Unternehmen. Oder, und man fragt sich, welche Alternative die bessere der beiden schlechten ist, haben wir es mit einem Zaubermeister zu tun, der genau weiß, was er tut? Die offizielle Antwort (zu finden auf S. 47 des deutschen Gesetzentwurfs) lautet, dass die berichtspflichtige

Kapitalgesellschaft bei der Vorbereitung (vor allem bei der Informationsgewinnung) und bei der Durchführung der Berichterstattung über nichtfinanzielle Aspekte, die im Verantwortungsbereich eines anderen Unternehmens in der Lieferkette der Kapitalgesellschaft liegen, die Größenklasse dieses anderen Unternehmens angemessen berücksichtigen

solle. Das verlagert allerdings den Konflikt in die Lieferkette, und nicht alle Lieferanten können es sich leisten, den Wünschen ihrer Kunden zu widersprechen. Außerdem ist „sollen“ nicht „müssen“, und vor allem versucht der Gesetzgeber sich hier seinen Pflichten zu entziehen: Das Maß angemessener Belastung im Up- und Downstream muss er selbst festlegen. Das gehört zum Kern gesetzgeberischer Tätigkeit.

Schlussfolgerungen

Das Thema Corporate Social Responsibility wird Unternehmen in Zukunft immer stärker betreffen. Es hat sich von einer Art modisch-wünschenswerten Begleiterscheinung zu einer regulatorischen Anforderung gewandelt, die mit rechtlichem Zwang durchsetzbar sein wird. Umso wichtiger ist, dass man sich darauf einstellt, was zukünftig verlangt werden wird. Und sich ggf. in den politischen Prozess einbringt, solange die Möglichkeit noch besteht.

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