Die Einführung der verpflichtenden nichtfinanziellen Erklärung in die handelsrechtlichen Vorschriften über den Lagebericht vor knapp zwei Jahren, ausgelöst durch die europäische CSR-Richtlinie 2014/95/EU, war von kritischen Stimmen begleitet worden. Ein erstes Zwischenfazit zeigt: Große Dramen sind bislang ausgeblieben, aber Unsicherheiten und neuer Aufwand sind entstanden.
In einem Kommentar zum Gesetzentwurf hatte ich darauf hingewiesen, dass die Europäische Union und der deutsche Gesetzgeber meines Erachtens einen Steuerungsansatz verfolgen, der rechtlich diskutabel ist: Sie setzen auf den Druck der öffentlichen Meinung, um Verhaltensweisen durchzusetzen, die als solche nicht ohne weiteres angeordnet werden könnten. Noch bedenklicher erscheint mir, dass das erwünschte Verhalten nicht mit den üblichen justiziablen staatlichen Zwangsmitteln befördert wird, sondern dadurch, dass Investoren und der sonstigen Öffentlichkeit zwangsweise Angaben zur Verfügung gestellt werden, die einigermaßen erwartbar die Grundlage für wütende Anklagen sein können - vor dem Hintergrund theoretisch unendlicher Forderungen. Eine inhaltliche Grenze zieht die CSR-Berichtspflicht nämlich genausowenig, wie sie klare Maßstäbe dafür liefert, worauf und in welcher Detailtiefe sich die nichtfinanzielle Erklärung erstrecken muss. Genannt werden lediglich Themenfelder und beispielhafte Inhalte.
Wenig beachtet wird sowohl in der Literatur als auch in der Praxis, dass die CSR-Berichterstattung durchaus unmittelbaren Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen kann, und das ist der Grund, weshalb man sie zu Recht als neue Facette der immer weiter ausgreifenden Compliance-Pflichten begreift. Fördert die Berichterstattung bedenkliche Umstände zu Tage, dann muss die Unternehmensführung prüfen, ob sie Anlass zum Gegensteuern hat. Das gilt nach allgemeinen Regeln immer, aber aus der Pflicht zur CSR-Berichterstattung wird auf diese Weise mittelbar eine Pflicht zur aktiven Suche nach Problemen.
Wirklich problematisch ist aber, dass "unrichtige" oder "verschleiernde" Darstellungen in der nichtfinanziellen Erklärung strafbar sind (§ 331 Nr. 1 HGB). Nun gut, das ist nun einmal in der Berichterstattung so und grundsätzlich auch zu begrüßen. Das Problem ist aber, dass es für eine richtige oder falsche nichtfinanzielle Berichterstattung keine hinreichend bestimmten inhaltlichen Maßstäbe gibt. Die Strafbarkeit falscher Angaben in der Lageberichterstattung ist für finanzielle Angaben konstruiert, die man nach sehr viel klareren Begriffen als zutreffend oder unzutreffend kategorisieren kann, und in Bezug darauf leuchtet auch eine Strafandrohung ein. Auf die CSR-Berichterstattung passt diese Konstruktion bestenfalls teilweise. Wenn beispielsweise in der nicht finanziellen Erklärung Aussagen zum Prozesswasserverbrauch getroffen werden (so eines der Beispiele in § 289c Abs. 2 Nr. 1 HGB), dann kann man diese Angabe als zutreffend oder unzutreffend hinterfragen. Fatal könnte es aber werden, wenn man sich vorstellt, Begriffe und Wendungen wie "Arbeitsbedingungen", "sozialer Dialog" oder "Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen" könnten durch die Staatsanwaltschaft hinterfragt werden. Das wird noch schlimmer, weil man im Bilanzstrafrecht unter "verschleiern" all das versteht, was man umgangssprachlich als Bilanzkosmetik bezeichnet.
Auf den Punkt gebracht: Macht sich die Führungsetage strafbar, wenn die CSR-Berichterstattung einen ungünstigen Umstand weglässt? Und ergibt sich so aus der auf den ersten Blick teuren, aber harmlosen Lageberichtsergänzung eine Pflicht zur Selbstkasteiung?
Die eigentliche Frage der CSR-Compliance könnte also in einigen Jahren nicht mehr lauten, was man in den Bericht schreibt, sondern was man weglassen kann. Aus der Kombination von empörter Öffentlichkeit und Strafandrohung mag schlimmstenfalls ein Druck zur vorauseilenden Anpassung entstehen.
Der trifft nicht nur größere Unternehmen als die eigentlichen Adressaten der CSR-Berichtspflicht. Denn diese sind auch zum Bericht über ihre Zulieferer gezwungen (§ 289c Abs. 3 Nr. 4 HGB). Der Gesetzgeber hat zwar zu Augenmaß aufgerufen (Bundestags-Drucksache 18/9982, S. 47), aber gleichzeitig das Risiko geschaffen, einen ungenügenden Bericht abzugeben. Der Effekt war vorhersehbar - natürlich wählt jeder den für sich sichersten Weg. In der Praxis berichten dementsprechend unterschiedliche Partner die gleiche Botschaft. Auch von kleinen und mittleren Unternehmen wird zunehmend eine CSR-Berichterstattung verlangt, und zwar durch entsprechende Vertragsklauseln. Zum Teil werden bereits Dienstleister eingesetzt, die in standardisierten Formularen per Internetportal Informationen abfragen. Dass dies all die Sorgen hervorrufen muss, die mit der Weitergabe von Geschäftsinformationen verbunden sein muss, erst recht in einer Zeit gewachsener technischer Möglichkeiten in der Analyse solcher Daten, versteht sich von selbst. Entziehen werden sich kleinere und mittlere Unternehmen den Forderungen ihrer Abnehmer schwerlich.
Die CSR-Berichterstattung weckt also gemischte Gefühle. Aus Sicht derjenigen, die sich gut aufgestellt sehen, erlaubt sie ihnen, sich ohne schlechtes Gewissen selbst zu loben. Pessimisten werden sie als Einladung für Tugendwächter verstehen. So oder so: Unternehmen müssen damit umgehen. Sprechen Sie uns gerne an!