Die Kommission hat kürzlich ihren Abschlussbericht zu der von ihr durchgeführten Sektoruntersuchung „zum Internet der Dinge für Verbraucher“ vorgestellt (siehe hier). Die Sektoruntersuchung wurde im Juli 2020 aufgenommen und richtete sich an verschiedene Stakeholder, u.a. die Hersteller von Smart Home Geräten, die Anbieter von Sprachassistenzsystemen, die Anbieter von IoT-Dienstleistungen usw. Diese konnten im Rahmen eines ausführlichen Fragenkatalogs zu verschiedenen Aspekten der Thematik Stellung nehmen.
Worum geht es?
Hinter dem schillernden Begriff des „Internets der Dinge“ verbirgt sich das schlichte Phänomen der zunehmenden Vernetzung von Produkten, Dienstleistungen und Lebensbereichen, auch und gerade im Verbraucherumfeld. Sinnbild dieses Phänomens ist der Sprachsteuerungsassistent von Amazon, Alexa, mit dessen Hilfe sich nicht nur die Musik leiser stellen lässt, sondern auch Bestellungen durchgeführt werden können („Alexa, kaufe eine Dose Ravioli!“). Genau an dieser Stelle wird es nun auch kommerziell interessant, denn schließlich gibt es eine Menge Ravioli-Anbieter, die uns gerne eine Dose Ravioli verkaufen möchten – und vielleicht würde sich der eine oder andere von uns sogar für ein Ravioli-Abo entscheiden…
Die Ravioli-Anbieter haben nun lediglich noch ein, ggf. allerdings ganz erhebliches, Problem: Sie müssen sicherstellen, dass Alexa (also Amazon) oder deren einschlägiges Pendant, ihr Angebot so platziert, dass sich der betreffende Verbraucher gerade für ihr Ravioli-Angebot entscheidet.
Es geht also um die Frage, ob und inwieweit die regelmäßig vertikal integrierten Anbieter einer technischen anspruchsvollen Infrastruktur wie Sprachsteuerungsassistenten und regelmäßig damit gekoppelten vielfältiger Angebote und Dienstleistungen (sog. Ökosysteme), auf andere Anbieter Rücksicht nehmen müssen, die auf nachgelagerten und angrenzenden Märkten tätig sind. Umgekehrt stellt sich die Frage, ob und inwieweit die betreffenden Infrastruktur-Anbieter dazu verpflichtet sind, Schnittstellen zu öffnen, Zugang zu gewähren und/oder Fremd-Angebote mit den eigenen Angeboten und/oder untereinander gleich zu behandeln.
Der Sektorbericht verdeutlicht, dass sich die Kommission der Thematik bewusst ist. Die von ihr identifizierten möglichen wettbewerblichen Bedenken sind die folgenden:
- Müssen die Assistenz-Angebote operabel sein? Muss ein Zustand faktischer Standardisierung, der über die wenigen wichtigen Sprachsteuerungsassistenten bspw. bei Fragen der Lizensierung „vorgegeben wird“, hingenommen werden?
- Ein weiterer zentraler Punkt ist das Thema „Daten“ (Umgang mit personenbezogenen Daten, Umgang mit und Zugang zu den gewonnen großen Datenmengen).
- Ferner wird aus Sicht der Kommission zu klären sein, ob und inwieweit Sprachsteuerungsassistenten auf Endgeräten (bspw. Handys) vorinstalliert sein dürfen bzw. inwieweit Ausschließlichkeitsbindungen mit Mobilgeräte-Anbietern zulässig sind.
- Schließlich sieht die Kommission die Gefahr, dass Produkteanbieter zunehmend den Kontakt zum Verbraucher verlieren, da der Assistenzanbieter als „Gatekeeper“ zwischen den Verbraucher und das Produkte- und Dienstleistungsangebot tritt.
Und der Verbraucher? – Auswahl ist anstrengend…
Nimmt man bezüglich des zuletzt genannten Punkts die Einzelhandels- oder Endkundenebene in den Blick, wird die hohe Komplexität des Themas deutlich: Tatsächlich dürften vorliegend nämlich durchaus Umstände gegeben sein, die einem Marktversagenstatbestand nahekommen. Denn wer über einen Sprachsteuerungsassistenten eine Bestellung tätigt („Alexa, kaufe eine Dose Ravioli!“), möchte im Zweifel keine große Auswahl an Produkteanbietern vorgestellt bekommen – man stelle sich nur vor, wie viel Zeit das Vorlesen einer Trefferliste von zehn Anbietern zum Thema „Ravioli“ in Anspruch nehmen würde. Im Zweifel möchte der Bestellende schlicht einen lästigen Alltagsvorgang zügig abwickeln. Gewisse Preisschwankungen oder ein „nur“ mediokres Ergebnis wird er im Interesse einer raschen Erledigung häufig bewusst in Kauf nehmen (rationale Apathie)! Mit anderen Worten: Der typische Nutzer wird künftig durchaus wollen, dass ihm innerhalb bestimmter Randbedingungen die Entscheidung für die konkrete Produktauswahl und den Vertragspartner vollständig oder so weit als möglich abgenommen wird – dies gilt jedenfalls bezüglich sich ständig wiederholender, alltäglicher Vorgänge. Mit dem hergebrachten Verständnis eines im Wettbewerb zustande gekommenen Verhandlungsergebnisses oder der zivilrechtlichen Grundidee des Vertragsschlusses hat dies freilich nur noch wenig zu tun.
Dem „Ranking“ der Produkte kommt damit bei der Nutzung von Sprachsteuerungsassistenten eine ungleich höhere Bedeutung zu als bei der herkömmlichen visuellen Anzeige von Trefferlisten auf einer Vermittlungsplattform oder bei einer Internetsuche. Und auch hier ist die Thematik, insbesondere unter dem Stichwort der Selbstbevorzugung, schon höchst brisant. Man denke nur an das Google-Shopping-Verfahren der Kommission, in welchem die Kommission Google mit einem Bußgeld in Höhe von 2,42 Mrd. € belegt hat (siehe hier).
Damit rückt die Bedeutung der Infrastrukturanbieter (häufig GAFA) aber noch mehr in den Vordergrund. Denn schlussendlich wird es darum gehen, wer künftig (weitgehend) an Stelle des Verbrauchers die konkrete Produkt(vor)auswahl treffen kann und welche Maßstäbe dabei zu beachten sind. Wie diese Thematik im Ergebnis aufzulösen ist, ist noch völlig offen.