Das Kartellverbot gilt auch auf Einkaufsseite

Die Europäische Kommission hat im Juli 2020 gegen die drei Abnehmer von Ethylen Orbia, Clariant und Celanese Bußgelder in Höhe von insgesamt EUR 260 Mio. verhängt. Einem vierten Unternehmen, Westlake, wurde das Bußgeld nach der Kronzeugenregelung erlassen. Es handelte sich um ein Preiskartell, dass sich aber nicht auf die Verkaufsseite bezog, sondern auf die Einkaufspreise.

Da die Preise für Ethylen sehr volatil sind, hat sich auf dem Markt für Ethylen eine Preisformel eingebürgert, die sich unter anderem aus einem „Monthly Contract Price“ („MCP“) zusammensetzt. Dieser MCP wird durch Marktinformationsdienste berechnet. Hierzu übermitteln die Anbieter und Käufer von Ethylen den Diensten jeweils die zwischen Ihnen für den kommenden Monat geschlossenen Verträge. Sobald einem Dienst zwei derartige bilaterale Verträge vorliegen, in denen derselbe Preis vereinbart wurde, die aber jeweils zwischen unterschiedlichen Anbietern und Käufern geschlossen wurden (sog. „2+2-Regel“), veröffentlicht der Dienst diesen Preis als MCP.

Die Kartellmitglieder versuchten, diese MCP zu ihren eigenen Gunsten zu beeinflussen, indem sie ihre Strategien für die Preisverhandlungen mit den Ethylenverkäufern abstimmten und Informationen austauschten, die Grundlage für die Berechnung dieser MCP waren. Hierdurch erhofften sie sich niedrigere Einkaufspreise für das Ethylen.

Die Kommission erkannte hierin einen Verstoß gegen das Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV. Einkäuferkartelle sind zwar weitaus seltener Gegenstand von Kartellbußgeldverfahren als Kartelle zwischen den Anbietern von Waren oder Dienstleistungen. Der vorliegende Fall zeigt aber, dass die Kartellbehörden auch gegen derartige Kartelle vorgehen. Die Kommission nahm den Fall zum Anlass, hierauf ausdrücklich hinzuweisen.

Zudem zeigt dieser Fall, dass ein Preiskartell nicht nur darin bestehen kann, den Endpreis einer Ware oder Dienstleistung abzustimmen, sondern auch einzelne Faktoren einer Preisformel. Aus der Veröffentlichung geht aber nicht hervor, dass die Kommission Einwände gegen die einheitliche Preisformel als solche hatte. Sie ging lediglich gegen die zur Erreichung eines möglichst niedrigen MCP gerichteten Verhaltensweisen vor.

Interessant ist schließlich folgender Aspekt der Bußgeldzumessung: Grundsätzlich geht die Kommission bei der Berechnung der Geldbuße im ersten Schritt vom Wert der durch das betroffene Unternehmen im EWR verkauften Waren oder Dienstleistungen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr aus. Da es sich im Fall der Ethylenabnehmer aber um ein Einkaufskartell handelte, legte die Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen nicht den Verkaufsumsatz, sondern den Wert der Einkäufe zugrunde. Eine schlicht auf den Einkaufspreis abstellende Bußgeldzumessung würde aber wahrscheinlich zu einer zu geringen Geldbuße führen, weil das Kartell gerade das Ziel hatte, die Einkaufspreise niedrig zu halten. Die Unternehmen hätten also im Rahmen der Bußgeldzumessung wiederum vom eigenen Kartell profitiert. Daher erhöhte die Kommission die Geldbußen um jeweils 10%.

Schließlich wird in diesem Fall einmal mehr die Bedeutung von Kronzeugenanträgen deutlich, sowohl für die Kartellbehörden als auch für die Unternehmen. Während ein Großteil der Preiskartelle durch Kronzeugenanträge aufgedeckt wird, beträgt der Bußgeldrahmen nach Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 10% des weltweiten Jahresumsatzes der gesamten Unternehmensgruppe. Während Westlake einem Geldbuße von EUR 190 Mio. entging, wurden gegen die anderen drei Unternehmen trotz Bußgeldermäßigungen nach der Kronzeugenregelung und wegen eines sog. Settlements empfindliche Geldbußen im zwei- bzw. dreistelligen Millionenbereich verhängt.

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