Der deutsche Gesetzgeber stärkt die Eingriffsbefugnisse gegen „Big Tech“s – zumindest ein bisschen …

Bekanntlich ist kürzlich die 10. GWB-Novelle in Kraft getreten, mit der ein fokus­siertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 geschaffen werden soll. (s. dazu schon unsere Blogbeiträge vom 20. Januar 2021 und vom 31. März 2020). Nachfolgend konzentrieren wir uns auf einen Einzelaspekt, nämlich auf die Einführung eines neuen Instruments der Missbrauchsaufsicht, das dem Bundes­kartellamt (BKartA) neue Eingriffskompetenzen gegen die sog. „Big Tech“s gibt (§ 19a GWB).

Hintergrund

Der Machtzuwachs bei wenigen großen Digitalkonzernen (wie google/alphabet, amazon oder facebook) wird auch seitens des Gesetzgebers als Problem identifiziert. Solche Unternehmen besetzen nicht selten entscheidende Absatz- oder Zugangskanäle („Gatekeeper“). Die in der Digitalwirtschaft typischen Netzwerkeffekte („wo viele sind, gehen schließlich alle hin“) befördern zudem die Machtkonzentrationen bei ihnen weiter. Schließlich können sie aufgrund ihrer Größe und Stellung erhebliche Datenmengen gewinnen und diese stetig weiter ausbauen. Eine schon bestehende starke Marktstellung kann so zementiert und auf weitere, angrenzende Bereiche erstreckt werden. Andere Marktteilnehmer bleiben ggf. auf der Strecke. Ein gesetzgeberisches Ziel besteht daher darin, diese 

neuartigen Machtformen gesetzlich besser zu greifen und bereits im Vorfeld einer möglichen Erweiterung dieser Macht entgegen zu wirken.

Vorhandenes Instrumentarium unzureichend

Das vorhandene Instrumentarium erlaubt bislang nur ein schleppendes Vorgehen der Bonner Behörde. Dies liegt vor allem daran, dass das BKartA bislang in jedem Einzelfall sowohl den Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung als auch den eines missbräuchlichen Verhaltens führen muss. Die Anforderungen an die Darle­gungslast sind dabei hoch. Untersagt die Behörde bestimmte Verhaltensweisen als missbräuchlich, kann sie sich regelmäßig auf mehrjährige, aufwändige Gerichtsverfahren einstellen. Ein präventives Vorgehen gegen „Big Tech’s“ war von vorne herein ausgeschlossen.

Dies belegt etwa der aufwendige Prozess des BKartA gegen Facebook bezüglich der Praxis Nutzer dazu anzuhalten, pauschal einer nahezu unbegrenzten Sammlung und Zuordnung von Daten zu ihrem Nutzerkonto zuzustim­men. Bekanntlich hatte sich das OLG Düsseldorf im vorläufigen Rechtsschutz zu­nächst gegen die damalige Abstellungsverfügung des BKartA gegen Facebook gestellt; erst der BGH gab dem BKartA im Ergebnis vorläufig recht.

Neue Eingriffsbefugnisse des BKartAs

Das BKartA soll nun in die Lage versetzt werden, wettbewerblich bedenkliche Entwicklungen insbesondere in der Digitalwirtschaft zügiger und effektiver abzustellen. Das neue Verfahren ist zweischrittig (wobei die Schritte auch verbunden werden können).

Im ersten Schritt muss das BKartA eine Feststellungsentscheidung treffen, wo­nach das betreffende Unternehmen ein solches mit „überragender marktüber­greifender Bedeutung“ (UümB) ist (§ 19a Abs. 1 GWB). Voraussetzung hierfür ist eine erhebliche Tätigkeit des betreffenden Unternehmens auf mehrseitigen Märkten, typischerweise Plattformen. Relevante Gesichtspunkte für die ümB sind etwa (i) die Marktposition des Unternehmens auf unterschiedlichen Märkten, (ii) seine Finanzkraft oder sein Zugang zu Ressourcen, (iii) seine Aktivität auf verbundenen Märkten, (iv) sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten sowie (v) Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeiten Dritter. Eine marktbeherrschen­de Stellung auf einem oder mehreren Märkten wird dagegen nicht ausdrücklich vorausgesetzt.

Im zweiten Schritt kann die Behörde dem UümB besonders schädliche und abschließend geregelte Verhaltensweisen verbieten (§ 19a Abs. 2 S. 1 GWB). Die betreffenden Verbote gelten (anders als bei der „normalen“ Missbrauchsaufsicht nach §§ 19, 20 GWB) also nicht unmittelbar, sondern erst nach einer Verfügung des BKartAs, die die vom Verbot erfassten Verhaltensweisen konkretisiert.

Demnach können exemplarisch folgende Verhaltensweisen untersagt werden:

  • Die Selbstbevorzugung von eigenen Angeboten im Verhältnis zu Wettbe­werbern beim Vermitteln des Zugangs zu Beschaffungs- und Absatzmärkten (vgl. EU Kommission, Entscheidung vom 27.6.23017 - Google Shopping),
  • die Behinderung anderer Unternehmen durch die Vorinstallation oder Integration von Angeboten des UümB, sofern dadurch andere Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit behindert werden oder bestimmte Formen der Angebotsbündelung;
  • Behinderungspraktiken des UümB, die mit der Datennutzung in Zusammen­hang stehen, bspw. wenn diese die Nutzung von Diensten davon abhängig machen, dass Nutzer der Verarbeitung uneingeschränkt zustimmen, ohne ausreichende Wahlmöglichkeiten zu haben (vgl. BKartA, Entschei­dung vom 7.2.2019 – Facebook);
  • die Interoperabilität von Produkten oder Leistungen oder die Portabilität von Daten zu verweigern oder zu erschweren;
  • andere Unternehmen unzureichend über den Umfang, die Qualität oder den Erfolg der erbrachten Leistung zu informieren oder ihnen sonst eine Beurteilung des Wertes dieser Leistung zu erschweren;
  • die Forderung von Vorteilen für die Behandlung von Angeboten eines anderen Unternehmens, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung stehen.

Zwar unterliegt das Handeln des BKartAs dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Anders als unter der „normalen“ Missbrauchsaufsicht muss die Behörde aber nicht den Nachweis eines konkreten Missbrauchs (im Sinne der §§ 19, 20 GWB) gerade durch diese Verhaltensweisen führen. Das Gesetz geht vielmehr (im Falle eines UümB) typisierend davon aus, dass die genannten Verhaltensweisen von einer hohen Schädlichkeit für den Wettbewerb sind und die marktübergreifende Machtstellung dieses Unternehmens weiter verfestigen können. Sie können daher „leichter“ untersagt werden. Entsprechend muss das UümB im Bedarfsfall umge­kehrt den Nachweis führen, dass die betreffenden Verhaltensweisen sachlich gerechtfertigt sind.

Was bringt dies den Betroffenen?

Eine schnelle Lösung etwaiger Schieflagen wird das neue Instrument wohl nicht ermöglichen. Insbesondere die initial notwendige Feststellungsverfügung (Vorlie­gen eines UümB) wird wohl erheblichen Aufwand erfordern. Denn diese Verfügung ist (selbstverständlich) gerichtlich angreifbar und wird seitens der betreffenden Unternehmen sicherlich nicht ohne heftigen Widerstand hingenommen werden. Es bleibt abzuwarten, welche Anforderungen die Gerichte an den diesbezüglichen Vortrag des BKartAs stellen werden. Wir werden berichten.

 

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