Der „long tail“ des Verwaltungsrechts

Das Handelsblatt berichtet, das Oberlandesgericht Koblenz habe in einer Urteilsbegründung auf Bescheide des Kraftfahrt-Bundesamtes Bezug genommen. Aus diesen Bescheiden soll sich ergeben, dass das Kraftfahrzeug, um das es in dem Rechtsstreit ging, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet gewesen sei. Deshalb sei für den Streit um Schadensersatz keine weitere Beweiserhebung nötig. Ob das zutrifft, ist hier nicht Thema. Die rechtlichen Fragen, um die es bei der Zulässigkeit von elektronischen Steuerungseinrichtungen in Automobilen geht, sind komplex. Schwer macht es vor allem das Europäische Recht, das – um es zurückhaltend zu formulieren – nicht leicht erkennen lässt, was seine Verfasser genau regeln wollten.

Die Meldung weist aber auf ein Problem hin, das in meiner Praxis immer wieder eine Rolle spielt: Wichtige Fragen in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen können durch verwaltungsrechtliche Regelungen vorbestimmt sein. Das Thema der Regulatory Compliance gewinnt auf diese Weise eine weitere, unter Umständen schmerzhafte, Dimension. Verstöße gegen Rechtsvorschriften wirken sich nicht mehr an „nur“ im Verhältnis zur Aufsichtsbehörde aus (und führen womöglich zu strafrechtlicher Verfolgung), sondern können Unternehmen auch in wirtschaftlicher Hinsicht empfindlich treffen. Zunehmende Bedeutung haben auch Versuche, vor den Zivilgerichten Einschränkungen von Industriebetrieben durchzusetzen.

Einfallstore

Ansatzpunkte können sowohl gesetzliche Regelungen sein, die natürlich auch in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen zu beachten sind. So habe ich beispielsweise einen Rechtsstreit um Schadensersatz wegen vermeintlich falscher Kennzeichnung von gefährlichen Abfällen begleitet. Es ging darum, ob die komplizierten Vorschriften zur Kennzeichnung von Abfällen und die Angaben in Sicherheitsdatenblättern nicht dazu dienen, die Entsorgung zu planen: Ein Entsorgungsfachunternehmen wollte hohen Schadensersatz, weil es die fraglichen Laborabfälle unwissentlich in eine ungeeignete Einrichtung verbracht und diese beschädigt hatte - ohne vorher nach Einzelheiten zu fragen.

Aber auch konkrete behördliche Entscheidungen, sogenannte Verwaltungsakte, können Ausstrahlungswirkung in zivilrechtliche Verfahren haben. Prinzipiell können Verwaltungsakte nämlich nicht nur Handlungsanweisungen enthalten, sondern auch Feststellungen treffen, die von Gerichten zu beachten sind. Das spielt insbesondere im Bereich von Produkten eine große Rolle, wie vom Handelsblatt gemeldet. Lange vor "Dieselgate" habe ich das anhand eines Falles durchexerzieren müssen, in welchem der Hersteller mehrere zehntausend Exemplare eines inkriminierten Produktes im Markt hatte und sich einer Flut von Rückzahlungsansprüchen ausgesetzt sah - ein lebensbedrohliches Szenario für das Unternehmen.

Strategisch denken

Wenn es zu Problemen kommt, gilt immer wieder, dass eine abgestimmte Strategie erforderlich ist, die auf allen drei rechtlichen Handlungsfeldern (Zivil-, Straf- und Öffentliches Recht) die Situation und vor allem die gegenseitigen Beeinflussungen analysiert und berücksichtigt. Sprechen Sie mich frühzeitig an, wenn Sie eine Krise vermuten – oft hilft ein vertrauliches Gespräch, die Lage einzuschätzen und die richtigen Schritte einzuleiten.