Innerhalb einer flexiblen Arbeitswelt muss flexibel reagiert werden. Im Arbeitsalltag kommt es aufgrund spontaner Dienständerungen, etc. oftmals zur Leistung von Überstunden. Diese Überstunden sind regelmäßig Teil von gerichtlichen Auseinandersetzungen. Arbeitgeber hatten bisher den Vorteil, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung die Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitnehmer zugewiesen hat. Konnte der Arbeitnehmer nicht nachweisen, an welchen Tagen er über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat und dass das Ableisten von Überstunden vom Arbeitgeber gebilligt worden ist, verlor er den Rechtstreit.
Diese arbeitgebergünstige Sicht hat das BAG nun mit seinem Urteil vom 04.05.2022, Az. 5 AZR 359/21, bestätigt. Dort stritt ein Auslieferungsfahrer mit seinem ehemaligen Arbeitgeber. Er war jedoch nicht in der Lage darzulegen, dass er mehr Stunden als üblich gearbeitet hat.
I. Überraschung in der ersten Instanz
In der ersten Instanz hatte das ArbG Emden (Urteil vom 09.11.2020, Az.: 2 Ca 399/18) dem Lieferfahrer die Vergütung von Überstunden zugesprochen. Das ArbG nutzte dafür die berühmte „Stechuhr-Entscheidung“ des EuGH (Urteil vom 14.05.2019, Az. C-55/18, eine ausführliche Erläuterung finden Sie z.b. unter https://www.kuemmerlein.de/aktuelles/einzelansicht/zwingende-erfassung-der-arbeitszeit-notwendig?amp%3BcHash=bea62e4d0db28b6bbf76f9e03163ff07&cHash=b775d70b8075697eab323b48ebc391e6), um aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, vgl. § 618 BGB, eine unionsrechtkonforme Verpflichtung des Arbeitgebers zur Messung, Aufzeichnung und Kontrolle der Arbeitszeiten abzuleiten. Geschehe dies nicht, so sei dies als Beweisvereitelung des Arbeitgebers und somit als Beweislastumkehr zu werten.
II. Aufatmen bei Arbeitgebern
Dieses Ergebnis hätte zweifelsohne zu einer enormen Prozesswelle geführt. Arbeitnehmer hätten sich weitgehend pauschal auf Überstunden berufen können und so Unternehmen ohne entsprechende Zeiterfassung in Schwierigkeiten bringen können. Dies haben auch sowohl das LAG Niedersachsen in der zweiten Instanz (Urteil vom 06.05.2021, Az.: 5 Sa 1292/20), als nun auch das Bundesarbeitsgericht so gesehen. Die Vorgaben des EuGHs zur Zeiterfassung dienten dem Gesundheitsschutz und nicht der Abgeltung von Überstunden. Eine direkte Pflicht zur Umkehr der Beweislast könne sich nicht aus dem Urteil des EuGHs ergeben, sodass auch keine Änderung der aus dem deutschen Prozessrecht entwickelten Darlegungs-und Beweislast geboten sei. Der Lieferfahrer, der nicht in der Lage war konkret darzulegen, dass das Durcharbeiten in den Pausenzeiten erforderlich war, blieb somit beweisfällig, sodass seine Revision als unbegründet abgewiesen wurde.
Somit können Arbeitgeber zunächst einmal aufatmen. Das generelle Thema der Zeiterfassung bedarf nach der „Stechuhr-Entscheidung“ des EuGHs jedoch weiterhin der Klärung durch den deutschen Gesetzgeber. Das Bundesarbeitsgericht hat zwar eine Übertragung auf die Grundsätze der Vergütung abgelehnt, die generelle Notwendigkeit der Zeiterfassung wurde jedoch nicht thematisiert. Diesbezüglich bleibt die weitere Entwicklung also zunächst abzuwarten.