Erst abgesägt, dann abgesegnet – die STIHL-Wettbewerbsverbote

Der Händler verpflichtet sich, für die folgenden Produktgruppen ausschließlich Waren der Vertragspartei zu vertreiben: (…).

So oder so ähnlich formulierte Klauseln haben die Verträge enthalten, die das Unternehmen STIHL mit zahlreichen Fachhändlern abgeschlossen hatte und die nun im Mittelpunkt eines lesenswerten Beschlusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf standen (28. August 2024, Kart 4/22 (V)).  

Was war passiert?

STIHL vertreibt sein Warenangebot, u.a. die bekannten Motorsägen, in Deutschland zu einem überwiegenden Teil über unabhängige Fachhändler im Wege eines selektiven Vertriebssystems. Den Fachhändlern gewährte STIHL Konditionenvorteile, wenn diese sich bzgl. diverser Produktkategorien dazu verpflichteten, das eingangs formulierte Wettbewerbsverbot (auch Alleinbezugsvereinbarung genannt) zu unterzeichnen – und damit keine Ware von konkurrierenden Anbietern zu vertreiben.

Bundeskartellamt: Verstoß gegen das Kartellrecht

Am 31. Mai 2022 erließ das Bundeskartellamt einen Beschluss, in dem es die Kartellrechtswidrigkeit des Wettbewerbsverbots feststellte, da dieses Marktzutrittsschranken zulasten anderer Anbieter errichten würde. Diesen sei es nicht möglich, für den Vertrieb ihrer Produkte auf die durch die Klausel gebundenen Händler zuzugreifen. Eine Freistellung nach der Vertikal-GVO schied aufgrund der hohen Marktanteile von STIHL aus (vgl. auch den komprimierten Fallbericht).

Das Besondere: STIHL hatte die Verwendung der Klausel bereits im Juni 2021, also rund ein Jahr zuvor, eingestellt. Die Notwendigkeit dieser – nicht alltäglichen – nachträglichen Feststellung begründete das Bundeskartellamt mit der damit verbundenen Signalwirkung für andere Vertriebsverträge.

OLG Düsseldorf: Kein Verstoß gegen das Kartellrecht

Anders das OLG Düsseldorf: Nach Ansicht des Senats liege kein Kartellverstoß vor.

Zunächst stelle das Wettbewerbsverbot nach ständiger Rechtsprechung keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung dar.

Das Vorliegen einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung sei im Einzelfall denkbar. Dafür seien jedoch hohe Hürden in Gestalt einer zweistufigen Prüfung zu erfüllen:

1. Geeignetheit des Vertrags zur Beeinflussung des Marktzutritts Dritter

Zunächst müsse der Vertriebsvertrag – ggf. in Kombination mit gleichartigen Verträgen – geeignet sein, den Marktzugang von Wettbewerbern zu beeinträchtigen. Entscheidende Aspekte:

  • die Anzahl der durch das Wettbewerbsverbot gebundenen Händler im Verhältnis zur Anzahl der nicht gebundenen Händler,
  • die Dauer des Wettbewerbsverbots,
  • die durch das Wettbewerbsverbot erfasste Menge sowie
  • das Verhältnis der erfassten Menge im Verhältnis zur nicht erfassten Menge.

Erfreulicherweise entwickelt der Senat aus diesem bunten Strauß an Merkmalen anschließend eine griffige Formel:

Damit ein Wettbewerbsverbot den Marktzutritt Dritter wesentlich beeinflusst, sei im Grundsatz erforderlich, dass

a) der Lieferant einen Marktanteil von über 40 % aufweist und

b) der Bindungsgrad bezogen auf die Marktanteile 30 % übersteigt und

c) der Bindungsgrad bezogen auf die gebundenen Verkaufsstellen 30 % übersteigt.

2. Vorliegen erheblicher Marktzutrittsschranken

Zusätzlich müssten erhebliche Marktzutrittsschranken im Einzelfall jedoch auch tatsächlich errichtet worden sein. Festzustellen sind dafür die Möglichkeiten für Wettbewerber, sich ein eigenes Vertriebsnetz aufzubauen. Kernelemente dieser Betrachtung sind die Quote der gebundenen Händler, denkbare Sogwirkungen aufgrund der gewährten Rabatte oder potenziell erdrückende Sortimentsabnahmeverpflichtungen.

Bezogen auf STIHL konnte der Senat die Errichtung solcher Schranken nicht feststellen.

Praxisfolgen

Die Ausführungen des OLG zu Wettbewerbsverboten sind aus zwei Gründen erfreulich: Zum einen werden der Praxis greifbare Kriterien für deren Beurteilung an die Hand gegeben. Zum anderen gibt der Senat zu erkennen, dass die kartellrechtliche Bewertung sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat – und dabei die Marktanteile der Beteiligten eben nur einen von vielen Aspekten darstellen.

Zum nachträglichen Vorgehen des Bundeskartellamts stellte der Senat zudem folgendes fest: Das dafür in § 32 Abs. 3 GWB geforderte „berechtige Interesse“ kann nicht mit einer generalpräventiven Signalwirkung begründet werden. Der Grund: der Beschluss gegenüber STIHL sage „nichts über die Zulässigkeit von möglichen Wettbewerbsverboten anderer Wettbewerber“ aus, da diese von einer Vielzahl von Faktoren abhänge (siehe oben). Auch hier wird also deutlich: es kommt auf den Einzelfall an.

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