Fairer Datenzugang und Interoperabilität – nicht nur ggü. „Big Techs“…

Bekanntlich gibt es seit jüngerer Zeit diverse gesetzgeberische Initiativen, die bestimmte Geschäftspraktiken der sog. „Big Techs“ adressieren. Wichtige Gesichtspunkte sind die Erleichterung des Zugangs zu Daten, die auch für die Geschäftsmodelle anderer Unternehmen relevant sind sowie die Gewährleistung von Interoperabilität.

Gesetzliche Ansatzpunkte gegen das Verhalten „großer Player“ im Digitalbereich

  • Im Januar 2021 hat der deutsche Gesetzgeber § 19a GWB eingeführt. Die Vorschrift erlaubt es dem BKartA, in einem zwei-schrittigen Verfahren gegen Unternehmen mit besonderer marktübergreifender Bedeutung vorzugehen. Sie zielt nur auf einen kleinen Kreis von Unternehmen, nämlich auf die „Gatekeeper digitaler Ökosysteme“. Wir haben hierzu bereits berichtet (siehe hier). Das BKartA hat § 19a GWB bereits verschiedentlich zur Anwendung gebracht, zuletzt etwa gegen Google bezüglich Datenverarbeitungskonditionen (siehe hier).
  • Ende letzten Jahres hat der Europäische Gesetzgeber zudem den Digital Market Act (siehe hier) in Gestalt einer EU-Verordnung erlassen. Ab Mai 2023 soll sie näher definierte Gatekeeper unter engen Voraussetzungen zur Einhaltung näher bezeichneter Spielregeln im Verhältnis zu deren Geschäftspartnern zwingen. Voraussetzung ist u.a. ein EU-weiter Umsatz von € 7,5 Mrd. Auch hier spielen Aspekte des Datenzugangs und der Interoperabilität eine wichtige Rolle.

Beide Regelungsansätze haben jedoch – freilich mit erheblichen Unterschieden im Detail – einige Nachteile.

  • Zum einen treffen die besonderen Verhaltensanforderungen die Unternehmen im Digitalbereich nicht unmittelbar, sondern es Bedarf einer Mitwirkung der Kartellbehörde. So verlangt § 19a GWB, dass das BKartA im ersten Schritt die marktübergreifende Bedeutung feststellt und sodann im zweiten Schritt bestimmtes Verhalten untersagt. Der DMA sieht vor, dass die betreffenden Unternehmen ihre „Gatekeeper“-Eigenschaft bei der Kommission melden. Die Kommission prüft sodann die Voraussetzungen und benennt das Unternehmen als Gatekeeper. Erst dann treffen das Unternehmen die im DMA näher bezeichneten Verpflichtungen.
  • Zum anderen zielen beide Gesetze nur auf das Verhalten von Unternehmen mit (vermuteter) erheblicher Marktmacht bzw. von Großkonzernen.

Gesetzliche Ansatzpunkte gegen das Verhalten anderer Player im Digitalbereich

Es sind jedoch weitere Fallgestaltungen vorstellbar, in denen Unternehmen bspw. auf die Daten eines anderen Unternehmens angewiesen sind, ohne dass dieses andere Unternehmen zu den „Big Techs“ zählt.

Auch für diese Fallgestaltung hat der deutsche Gesetzgeber bereits im Januar 2021 Vorkehrungen getroffen. Die deutsche Missbrauchsaufsicht gilt nämlich nicht nur ggü. Unternehmen, die absolut marktbeherrschend (§ 19 GWB) sind, eine marktübergreifende Bedeutung haben (§ 19a GWB) oder – wie der DMA – bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Sie gilt vielmehr – mit Einschränkungen – auch, wenn ein Unternehmen von einem anderen „nur“ abhängig ist (sog. relative Marktmacht). Bis vor kurzem konnten sich nur kleine und mittlere Unternehmen (KMU) auf die Vorschrift (§ 20 Abs. 1 GWB) zur relativen Marktmacht berufen. Sie gilt seit Januar 2021 jedoch auch zugunsten von Großunternehmen. Siehe dazu bereits unseren Blogbeitrag vom 3. März 2021.

Voraussetzungen für relative Marktmacht im Digitalbereich

Relative Marktmacht ist gegeben, wenn eine Abhängigkeit in der Weise besteht, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf dritte Unternehmen auszuweichen, nicht gegeben ist und ein deutliches Ungleichgewicht zur Gegenmacht des anderen Unternehmens vorliegt. Entscheidend ist also eine deutliche Asymmetrie der wechselseitigen Abhängigkeiten. Dies kann bspw. der Fall sein, wenn das „mächtige“ Unternehmen aufgrund der Vielzahl seiner Geschäftsbeziehungen, nicht auf die Vertragsbeziehung zu dem „abhängigen“ Unternehmen angewiesen ist.

Eine solche Asymmetrie soll nach dem Gesetzgeber auch vorliegen, wenn ein Unternehmen speziell auf die Vermittlungsleistung eines anderen Unternehmens zwingend angewiesen ist, bspw. um seine Produkte überhaupt absetzen zu können (§ 20 Abs. 1 S. 2 GWB i.V.m. 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. GWB).

Speziell bezüglich des hier interessierenden Datenzugangs ist eine weitere Neuregelung in § 20 GWB relevant. Eine Abhängigkeit kann sich neuerdings nämlich auch daraus ergeben, dass „ein Unternehmen für die eigene Tätigkeit auf den Zugang zu Daten angewiesen ist, die von einem anderen Unternehmen kontrolliert werden“. Weiter heißt es „die Verweigerung des Zugangs zu solchen Daten gegen angemessenes Entgelt kann eine unbillige Behinderung … darstellen“. Dies soll selbst für den Fall gelten, dass ein Geschäftsverkehr für diese Daten bislang nicht eröffnet ist (§ 20 Abs. 1a GWB). Gerade auch die Angewiesenheit eines Unternehmens auf die Daten eines anderen Unternehmens kann also bereits ausreichen, um eine relative Marktmacht zu begründen.

Denkbar sind etwa die folgenden Fallgestaltungen:

Variante 1: Ein Unternehmen ist auf die Daten eines anderen Unternehmens – ähnlich wie bei einem körperlichen Vorprodukt – angewiesen, etwa auf Unternehmens-, Finanz-, oder Immobiliendaten. Auch Sensordaten könnten zunehmend eine Rolle spielen. Das Unternehmen tritt insoweit als direkter Nachfrager dieser sog. Primärdaten auf, die es entweder für ein eigenes Produkt- oder Service-Angebot weiterverwendet oder handelt.

Variante 2: Vorstellbar ist auch, dass ein Unternehmen Zugang zu Daten benötigt, die ein anderes Unternehmen generiert, mit dem (derzeit) keine Vertragsbeziehung besteht. Denkbar wäre etwa, dass nicht nur der Hersteller eines Flugzeugtriebwerks Interesse an den „Einsatzdaten“ des Triebwerks hat, sondern auch der Flugzeughersteller, die Fluggesellschaft oder ein Wartungsunternehmen. Ebenso ist vorstellbar, dass nicht nur ein PKW-Hersteller Interesse an Nutzungsdaten eines bestimmten PKW hat, sondern auch ein Fuhrparkbetreiber.

In all diesen Fallvarianten können sich Ansprüche aus § 20 Abs. 1, Abs. 1a GWB ergeben. 

Gegen welche missbräuchlichen Praktiken kann vorgegangen werden?

Als missbräuchliche Praktiken kommen bspw. die folgenden, nicht abschließend gemeinten, Verhaltensweisen in Betracht:

  • Der Partner verweigert den Zugang zu für Ihren Geschäftsbetrieb erforderlichen Daten oder erschwert den Zugang.
  • Er bietet Produkte unnötigerweise nur in einem für Ihr Unternehmen unbrauchbarem Bündel an.
  • Er verwendet Geschäftspraktiken, die Sie in obigem Zusammenhang in sonstiger Weise als behindernd oder unfair empfinden.

In diesen Varianten kann je nach Fallgestaltung ein Zugangsanspruch (gegen angemessenes Entgelt), ein Anspruch auf Abstellung des behindernden Verhaltens sowie ggf. auf Schadenersatz bestehen.

§ 20 GWB kann auf dem Zivilrechtsweg verfolgt werden. Auch ein Einschreiten des BKartA ist möglich.

Wie festgestellt, geht es hier um einen in der Praxis durchaus häufigen „Graubereich“, nämlich um Situationen, in denen Unternehmen (gleich welcher Größe!) einem für sie wichtigen Player insbesondere aus dem Digital- oder Plattformbereich gegenüberstehen, ohne dass klar ist, ob das Gegenüber als „Big Tech“ im Sinne der obigen Vorschriften oder als (absolut) marktbeherrschend (§ 19 GWB, Art. 102 AEUV) zu qualifizieren ist. Gleichzeitig besteht aufgrund der Art des Geschäftsmodells eine besondere Abhängigkeit von der anderen Partei, welcher im Regelfall nicht durch einen schlichten Wechsel des Vertragspartners begegnet werden kann.

Interessante News zum Kartellrecht finden Sie auch hier (Link: www.kartellrecht-im-ruhrgebiet.de).