Fiktiv oder nicht – das ist hier die Frage

Im Jahr 2018 läutete der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes mit seiner Rechtsprechungsänderung einen Streit mit dem V. Zivilsenat ein, der mit Urteil vom 12.02.2021 – V ZR 33/19 des V. Zivilsenates nun sein Ende fand.

Was war passiert?

Der V. und der VII. Zivilsenat waren sich in der Vergangenheit einig, dass der sog. kleine Schadenersatz (Schadenersatz neben der Leistung) sowohl im Kaufrecht als auch im Werkvertragsrecht fiktiv berechnet werden kann. Das heißt, der Käufer / Besteller konnte die voraussichtlich anfallenden, aber noch nicht aufgewandten Kosten verlangen. Allerdings gab der für das Werkvertragsrecht zuständige V. Zivilsenat diese Rechtsprechung im Jahr 2018 auf. Schadenersatz für die Beseitigung von Mängeln gibt es seitdem nur noch, wenn der Mangel auch tatsächlich beseitigt worden ist – also erst im Nachgang. Denn häufig – so der Bundesgerichtshof – handele es sich um Mängel, mit denen der Besteller eigentlich gut leben kann, die aber hohe Mangelbeseitigungskosten hervorriefen. Würden diese fiktiv ersetzt, führe dies zu einer unverhältnismäßigen Überkompensation. Teilweise sei dies als weitere Finanzierungsquelle genutzt worden. Dem schob der V. Zivilsenat einen Riegel vor. Der für das Kaufrecht zuständige VII. Zivilsenat wollte dem nicht folgen. Der Käufer sollte weiterhin das Recht haben, auch vor der Mangelbeseitigung Geld zu verlangen.

Nun sollte man meinen – dann soll der V. Zivilsenat doch einfach anders entscheiden. So einfach ist es jedoch nicht. Eine Rechtsfrage kann nicht unterschiedlich beantwortet werden. Will daher ein Senat von der Rechtsprechung eines anderen Senates abweichen, so muss er bei dem anderen Senat zunächst anfragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhalten will. Ist dies der Fall, ist der sog. Große Senat zur Entscheidung berufen. Hier kommen die Präsidentin des Bundesgerichtshofes und je ein Vertreter aller Zivilsenate zusammen und es wird eine verbindliche Entscheidung der Rechtsfrage getroffen.

Und was passierte hier?

Jedenfalls gab es keine Entscheidung des Großen Senates, obwohl der VII. Zivilsenat eine Anfrage an den V. Zivilsenat stellte (Beschluss vom 13.03.2020 – V ZR 33/19) und der V. Zivilsenat an seiner gerade erst geänderten Rechtsprechung festhielt (Beschluss vom 08.10.2020 – VII ARZ 1/20).

Aber wie kann das sein?

Es zeigte sich, dass die Senate gar nicht unterschiedlicher Auffassung bezüglich einer Rechtsfrage waren. Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche Rechtsfragen, denn Kaufrecht und Werkvertragsrecht unterscheiden sich an wesentlichen Stellen. Die Besonderheiten des Werkvertragsrechts (z.B. Recht auf einen Vorschuss zur Mangelbeseitigung, keine Begrenzung des Schadenersatzanspruches) veranlassten den V. Zivilsenat daher auch zu seiner Rechtsprechungsänderung.

Und was heißt das jetzt?

Im Kaufrecht können Käufer noch immer die fiktiven Mangelbeseitigungskosten geltend machen. Das bedeutet, der Käufer kann den Betrag verlangen, der für die Mangelbeseitigung anfallen würde, beheben muss er den Mangel nicht. Umsatzsteuer gibt es aber nur, wenn der Schaden auch tatsächlich beseitigt wurde. Im Wesentlichen begründet der V. Zivilsenat seine Entscheidung damit, dass der Käufer nicht verpflichtet ist, die Mangelbeseitigung vorzufinanzieren und daher auch schon vorher einen Anspruch gegen den Verkäufer hat. Denn einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses kennt das Kaufrecht nicht.

Und im Werkvertragsrecht? Da gibt es grundsätzlich nur Geld für die Schadenbeseitigung, wenn der Mangel auch tatsächlich beseitigt wurde. Denn hier ist der Besteller durch den Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses vor einer Vorleistungspflicht geschützt.

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