„Generalabsolution“ für Betriebsratsmitglieder wegen Neuwahl des Betriebsrats?

Dürfen sich Betriebsratsmitglieder vor Ende einer Amtsperiode des Betriebsrates die gröbsten Pflichtverstöße leisten, weil ihr Ausschluss aus dem Betriebsrat deshalb nicht mehr möglich ist, wenn vor dem rechtskräftigen Abschluss des meist langwierigen Ausschlussverfahrens der Betriebsrat und insbesondere auch das betreffende Betriebsratsmitglied neu gewählt worden sind?

Die arbeitsrechtliche Abteilung von KÜMMERLEIN Rechtsanwälte & Notarevertritt derzeit eine Mandantin, die gegen ein Betriebsratsmitglied vorgehen möchte, das auf einer Betriebsversammlung Informationen der Geschäftsführung preisgegeben hat, die der strengen Vertraulichkeit unterliegen und sie damit der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise zugänglich gemacht hat. Das betreffende Betriebsratsmitglied ist bei der anschließenden Neuwahl wiedergewählt worden.

Obwohl das Arbeitsgericht einen eindeutigen Verstoß gegen § 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gesehen hat, der an sich einen Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG rechtfertigen würde, hat es seinen Ausschluss deswegen verneint, weil für den Ausschlussantrag aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Neuwahl des Betriebsrates das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Das Arbeitsgericht ist damit einer sehr alten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29.04.1969 gefolgt, nach der der Ausschluss eines Betriebsratsmitgliedes nach Ablauf der Amtsperiode nicht mehr zulässig ist, selbst wenn das Betriebsratsmitglied in der folgenden Amtsperiode wieder gewählt worden ist. Das Bundesarbeitsgericht führte in seiner damaligen Entscheidung aus, dass sich aus der Systematik des Gesetzes ergebe, dass es in einem Anschlussverfahren gegen ein einzelnes Betriebsratsmitglied auf den Ablauf der Amtszeit ankomme, da auch die Auflösung des ganzen Betriebsrates nach Ablauf dessen Amtszeit nicht mehr möglich sei. Ferner sei in § 8 Abs. 1 BetrVG nicht geregelt, dass ein Wahlberechtigter seine Wählbarkeit verliere, wenn er rechtskräftig gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG aus dem bisher amtierenden Betriebsrat ausgeschlossen wurde. Der Gesetzgeber habe im Betriebsverfassungsgesetz bewusst keine Regelung über den Verlust oder die Entziehung der Wählbarkeit aufgenommen. Diese gesetzliche Wertung würde missachtet, wenn das wiedergewählte Betriebsratsmitglied, dessen Amtszeit inzwischen wegen Ablauf der Amtsperiode gemäß § 24 Nr. 1 BetrVG geendet hat, aus dem neu gebildeten Betriebsrat gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG wegen einer groben Pflichtverletzung, die er in der abgelaufenen Amtszeit begangen hat, ausgeschlossen werden könne.

Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wird von der Fachliteratur heftig kritisiert. Auch wir haben im Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf argumentiert, dass die Auffassung einer mit dem Wechsel der Amtszeit automatisch verbundenen „Generalabsolution“ auf erhebliche rechtspolitische Bedenken stößt. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 23 Abs. 1 BetrVG, der in der Gewährleistung der gesetzesmäßigen Amtsausübung des Betriebsrates sowie in der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem Betriebsrat und seinen Mitgliedern einerseits und dem Arbeitgeber andererseits liegt, sprechen unserer Ansicht nach gerade für ein Rechtsschutzbedürfnis eines Ausschlussantrages in der neuen Amtsperiode des Betriebsrates. Denn war die Amtspflichtverletzung eines Betriebsratsmitglieds so gravierend, dass die Vertrauensbeziehung zum Arbeitgeber nachhaltig gestört bleibt, eine sinnvolle Zusammenarbeit auch für den neuen Betriebsrat unzumutbar ist oder das Betriebsratsmitglied für die weitere Amtsausführung als untragbar anzusehen ist, kann die grobe Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten nicht dadurch irrelevant werden, dass der Betriebsrat neu gewählt wurde. Das muss insbesondere dann gelten, wenn die Amtspflichtverletzung kurz vor Beendigung der Amtszeit des bisherigen Betriebsrats begangen wurde. Die gegenteilige Auffassung führt zu dem absurden Ergebnis, dass sich ein Betriebsratsmitglied kurz vor Ende der bestehenden Amtsperiode alle (selbst die gravierendsten (!)) Amtspflichtverstöße erlauben kann, ohne – aufgrund der anstehenden Neuwahlen – mit jeglichen Konsequenzen rechnen zu müssen. Hiermit wird unserer Auffassung nach der oben beschriebene Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 BetrVG vollkommen ausgehebelt.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist unsrer Argumentation gefolgt und hat im Beschluss vom 23.01.2015 – 6 TaBV 48/14 entschieden, dass das betreffende Betriebsratsmitglied aus dem Betriebsrat unserer Mandantin ausgeschlossen wird. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat insoweit die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Das Bundesarbeitsgericht hat auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsratsmitglieds den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23.01.2015 – 6 TaEV 48/14 aufgehoben und damit wohl an seiner Rechtsprechung aus dem Jahre 1969 festgehalten. Wir warten nun gespannt auf die Gründe des Bundesarbeitsgerichts, über die wir weiter berichten werden.

Für KÜMMERLEIN tätig sind Herr Christian Althaus und Frau Dr. Ingrid Kohlmann.

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