"Generationengerechtigkeit“ vermag Ungleichbehandlung zu rechtfertigen

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Bochum sowie des Landesarbeitsgerichts Hamm, muss eine schwerbehinderte Person, die die Regelaltersgrenze bereits erreicht hat, nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Dies galt im entschiedenen Fall, obschon der öffentliche Arbeitgeber nach § 165 S. 3 SGB IX grundsätzlich verpflichtet gewesen wäre, den schwerbehinderten Bewerber zumindest zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

Geltend gemachte Diskriminierung wegen Schwerbehinderung und Alters

Der 67-jährige Kläger, der die Regelaltersgrenze bereits überschritten hat, machte erstinstanzlich eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Diesen Anspruch begründete er damit, dass er wegen seiner Schwerbehinderung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei. Sofern die Beklagte angeführt hat, dass der Kläger aufgrund seines Alters im Bewerbungsverfahren nicht berücksichtigt worden sei, stelle dies eine weitere Diskriminierung dar. Das Arbeitsgericht Bochum wies die Klage ab (ArbG Bochum, Urt. v. 01.02.2024 – 1 Ca 1036/23). Die daraufhin eingelegte Berufung wies das Landesarbeitsgericht Hamm zurück (LAG Hamm, Urt. v. 06.08.2024 – 6 SLa 257/24). Die Revision wurde zugelassen.

Keine unzulässige Ungleichbehandlung wegen des Alters

Zwar habe der Kläger aufgrund seines Alters eine Ungleichbehandlung im Sinne des AGG erfahren. Diese Ungleichbehandlung sei jedoch nach § 10 S. 1, 2 AGG zulässig. Danach ist eine Ungleichbehandlung aufgrund eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Weiter müssen die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sein.

Ein derart legitimes Ziel sei nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm unter Verweis auf Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur von jüngeren und älteren Beschäftigten im Betrieb des Arbeitgebers. Diese „Generationengerechtigkeit“ sei auch im zugrundeliegenden Tarifvertrag (TVöD-V) angelegt. Dieses legitime Ziel könne auch die Verweigerung der Wiedereinstellung eines aufgrund einer Altersgrenze bereits ausgeschiedenen Beschäftigten rechtfertigen (BAG, Urt. v. 25.04.2024 – 8 AZR 140/23).

Erst recht bestehe ein legitimes Interesse des Arbeitgebers nicht nur für die Verweigerung einer Wiedereinstellung, sondern auch für die Verweigerung einer Neueinstellung wegen des Überschreitens der Regelaltersgrenze. Das Landesarbeitsgericht Hamm entnimmt diese Wertung unter anderem einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 02.04.2020 – C-670/18 (CO / Comune di Gesturi)), nach der die beschäftigungspolitische Zielsetzung der Verjüngung der erwerbstätigen Bevölkerung legitim sei und nach vernünftigem Ermessen beabsichtigt werden könne, die Einstellungen von Personen im Ruhestand abzulehnen, um die Vollbeschäftigung der erwerbstätigen Bevölkerung oder den Zugang zum Arbeitsmarkt für Jüngere zu fördern.

Die Nichtberücksichtigung im Bewerbungsverfahren sei vorliegend auch als Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich gewesen. Dies ergäbe sich daraus, dass der Kläger bereits die Regelaltersgrenze überschritten habe. Nach dem zugrundeliegenden Tarifvertrag (§ 33 TVöD-V) enden die Arbeitsverhältnisse, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersgrenze vollendet hat. Eine altersbedingte Ablehnung eines Bewerbers sei dann gerechtfertigt, wenn der Tarifvertrag eine Altersgrenze vorsehe, der Bewerber diese überschritten habe und andere geeignete Bewerber vorhanden seien, die die Altersgrenze noch nicht erreicht haben.

Somit war die Ungleichbehandlung aufgrund des Alters nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts zulässig.

Einladung zum Vorstellungsgespräch bloße „Förmelei“

Eine entschädigungspflichtige Diskriminierung ergab sich nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Hamm auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger trotz seiner Schwerbehinderung nicht gemäß § 165 S. 3 SGB IX zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Zwar konstituiert diese Norm eine Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Sinn und Zweck dieser Norm sei, dem schwerbehinderten Bewerber eine Chance zu geben, den Arbeitgeber von seiner Eignung im weiteren Sinne zu überzeugen. Wenn jedoch aufgrund anderer Umstände (hier aufgrund des Überschreitens der Regelaltersgrenze) eine Beschäftigung des schwerbehinderten Bewerbers ausgeschlossen sei, so handele es sich um eine bloße „Förmelei“ den Bewerber zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen, wenn er keine Aussicht auf eine Beschäftigung habe.

Revision zugelassen

Das Landesarbeitsgericht setzt mit dieser Entscheidung die von ihm zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes sowie des Bundesarbeitsgerichts konsequent fort. Im Hinblick auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen, das noch 2018 die Auffassung vertrat, dass eine entsprechende Ungleichbehandlung diskriminierend sei und eine Entschädigungspflicht nach § 15 Abs. 2 AGG auslösen könne, hat das Landesarbeitsgericht Hamm die Revision zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht könnte nun endgültig darüber entscheiden müssen, ob eine Ungleichbehandlung aufgrund des Erreichens der Regelaltersgrenze eine zulässige Ungleichbehandlung darstellt. Es steht zu vermuten, dass das Bundesarbeitsgericht sich auch als dritte Instanz den überzeugenden Ausführungen der Beklagten in einem zu erwartenden Revisionsverfahren anschließen wird. Insbesondere im Hinblick auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, handelte es sich bei der vorliegenden Entscheidung lediglich um eine Fortführung derer und eine Anknüpfung daran.

Praktische Auswirkungen

Falls das Bundesarbeitsgericht über diesen Sachverhalt abschließend entscheidet, wird Klarheit hinsichtlich der Ungleichbehandlung aufgrund des Erreichens der Altersgrenze herrschen. Wünschenswert wäre es zudem, wenn das Bundesarbeitsgericht über die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob § 165 S. 3 SGB IX nach Erreichen der Regelaltersgrenze überhaupt noch Anwendung finden kann, entscheidet. Nach Auffassung der Beklagten kann diese Norm, die der Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsmarkt dient, ihren Zweck nicht mehr erreichen, wenn die schwerbehinderte Person aufgrund des Erreichens der Regelaltersgrenze nach der gesetzgeberischen Wertung gar kein zwingender Bestandteil des Arbeitsmarktes sein soll, sondern nur noch freiwillig arbeitet. Eine abschließende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in dieser Sache bleibt mit Spannung zu erwarten. Zwischenzeitlich sind öffentliche Arbeitgeber jedoch gut beraten, auch Bewerber, die die Regelaltersgrenze bereits überschritten haben und schwerbehindert sind zum Vorstellungsgespräch einzuladen, um einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG von vornherein ausschließen zu können.