Grenzen des Erdkabelverlangens – Kein Sanktionsinstrument für kleinere artenschutzrechtliche Planungsmängel eines Freileitungsvorhabens

Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Frau Neubaur wies am 10. Februar auf dem E-world SZ-Führungstreffen Energie 2025 auf die zu hohen Strompreise in Deutschland als zentralen Wettbewerbsnachteil unserer Industrieunternehmen hin. Als mögliche Lösung schlug der Präsident der Bundesnetzagentur Herr Müller vor, den Netzausbau zukünftig stärker in Form von kostengünstigeren Freileitungen anstelle von Erdkabeln voranzutreiben. Die Diskussion um Erdverkabelung versus Freileitungen hat jedoch nicht nur finanzielle, sondern auch artenschutzrechtliche Auswirkungen. In einem aktuellen Urteil befasste sich das Bundesverwaltungsgericht (Az.: 11 A 15/23) mit dem Spannungsfeld zwischen Artenschutz und dem Bau einer Höchstspannungsfreileitung.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine niedersächsische Gemeinde, wandte sich gegen die Planfeststellung einer Höchstspannungsfreileitung. Ein zentrales Argument der Klägerin war, dass die Planfeststellungsbehörde fehlerhaft ein Erdkabel abgelehnt habe, da sie Verstöße gegen artenschutzrechtliche Verbotstatbestände nicht beachtet habe. Die im Planfeststellungsbeschluss festgelegten Vermeidungs- und vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen, sog. CEF-Maßnahmen (measures to ensure the continued ecological functionality of breeding sites or resting places, EU-Kommission, 2021, S. 46 f.), seien unzureichend. Konkret rügte die Klägerin, der Planfeststellungsbeschluss gehe hinsichtlich der erforderlichen Ersatzlebensräume nur von vier Brutrevieren des Kiebitz unmittelbar an der Trasse aus, obwohl sechs bis sieben gefunden worden seien. Ferner seien die vorgesehenen Ersatzlebensräume vom Eingriffsbereich zu weit entfernt und die Anzahl der geplanten Vogelschutzmarker sei zu gering.

Rechtsrahmen

Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Satz 1 Nr. 3 Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) muss eine Höchstspannungs-Drehstrom-Übertragungsleitung im Falle des Neubaus auf Verlangen der Planfeststellungsbehörde auf dem jeweiligen technisch und wirtschaftlich effizienten Teilabschnitt durch die Vorhabenträgerin als Erdkabel errichtet und betrieben oder geändert werden, wenn eine Freileitung gegen die Verbote des § 44 Abs. 1 auch in Verbindung mit Abs. 5 BNatSchG verstieße und mit dem Einsatz von Erdkabeln eine zumutbare Alternative im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG gegeben ist. Unter den Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 BBPlG (sog. Auslösekriterien) kann die Planfeststellungsbehörde somit nach § 4 Abs. 2 Satz 3 BBPlG die Führung als Erdkabel von der Vorhabenträgerin verlangen.

Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die Planfeststellungsbehörde fehlerfrei von einer Erdkabelverlegung abgesehen habe (Rn. 31 ff.). Eine Gemeinde könne zwar die Verneinung des Auslösekriteriums nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BBPlG als möglichen Abwägungsausfall rügen, aber im vorliegenden Fall seien keine artenschutzrechtlichen Verbote verletzt worden (Rn. 33 ff.). Die Planfeststellungsbehörde könne nach § 4 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1 Nr. 3 BBPlG vom Vorhabenträger nicht schon dann ein Erdkabel verlangen, wenn die konkrete Vorhabenplanung überschaubare artenschutzrechtliche Defizite in Bezug auf eine einzelne Tierart aufweise, die ohne besondere Schwierigkeiten – insbesondere durch Ergänzung oder Nachbesserung einzelner Vermeidungs- oder vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen – behoben werden könnten (Rn. 42). Aus Verhältnismäßigkeitserwägungen setze ein Erdkabelverlangen nach § 4 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BBPlG angesichts des erheblichen Aufwands einer Umplanung auf ein Erdkabel voraus, dass ein Freileitungsvorhaben grundsätzlichen artenschutzrechtlichen Bedenken begegnet (Rn. 42). Hingegen handle es sich um kein Sanktionsinstrument für kleinere, leicht behebbare artenschutzrechtliche Planungsmängel eines Freileitungsvorhabens (Rn. 42). Daher sei das artenschutzrechtliche Auslösekriterium eng auszulegen (Rn. 42 f.). Nach diesen Maßstäben seien die artenschutzrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht geeignet, die Entscheidung für eine Freileitung in Frage zu stellen (Rn. 44). Die von der Klägerin vorgebrachten Rügen würden sich lediglich auf Detailfragen der konkreten artenschutzrechtlichen Planung in Bezug auf den Kiebitz als einzelne Tierart beschränken. Die potenziellen Mängel könnten durch zusätzliche Ersatzlebensräume sowie die Ergänzung der Planung um zusätzliche Vogelschutzmarkierungen leicht behoben werden (Rn. 44).

Folgen für die Praxis

Das Urteil erhöht die Rechtssicherheit in Planfeststellungsverfahren für Freileitungen, da sich das Bundesverwaltungsgericht für eine enge Auslegung des artenschutzrechtlichen Auslösekriteriums nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BBPlG ausspricht (so bereits Ehemann, in jurisPR-UmwR 2/2025 Anm. 4, S. 9). Diese restriktive Lesart kann den Planfeststellungsbehörden als Maßstab bei der Abwägung dienen, ob lediglich überschaubare artenschutzrechtliche Defizite bestehen oder das Freileitungsvorhaben grundsätzlichen artenschutzrechtlichen Bedenken begegnet.