Hinweisgebersysteme – Fluch oder Segen?

Unter einem Hinweisgebersystem versteht man im Allgemeinen eine Maßnahme im Rahmen der Compliance-Struktur eines Unternehmens, mittels derer in erster Linie Mitarbeiter des Unternehmens die Möglichkeit erhalten, auf (mögliche) Missstände bzw. (potenzielles) Fehlverhalten innerhalb ihres Unternehmens hinzuweisen.

HÄUFIG NOCH NEGATIVE KONNOTATION

Hinweisgebersysteme sind vor allem in angloamerikanischen Ländern verbreitet und in der Diskussion. „Whistleblowing“ wird dort schon seit längerem als wichtiger Teil des „private law enforcement“ verstanden. In Deutschland führen Hinweisgebersysteme demgegenüber noch ein Schattendasein; eine allgemeine gesetzliche Regelung, insbesondere zum Schutz von Hinweisgebern, gibt es bisher nicht (Ausnahme für Korruptionsstraftaten: § 67 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Bundesbeamtengesetz und § 37 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Beamtenstatusgesetz). Ursache hierfür dürfte auch sein, dass „Whistleblowing“ zumeist noch negativ konnotiert ist und mit Begriffen wie „Nestbeschmutzer“ oder „Denunziantentum“ verbunden wird; ein sicherlich auch durch die deutsche Historie bedingtes Phänomen.

Whistleblowing knüpft allerdings an die arbeitsrechtliche Treuepflicht (§ 242 BGB) an. Hiernach besteht für jeden Arbeitnehmer – in gesteigertem Maße für leitende Angestellte -, die Pflicht, durch Mitarbeiter des Unternehmens im unternehmensbezogenen Umfeld begangene Rechtsverstöße gegenüber dem jeweiligen Vorgesetzten bzw. der Unternehmensleitung anzuzeigen, und zwar grundsätzlich bevor eine Anzeige gegenüber den zuständigen Verfolgungsbehörden erfolgen darf (Ausnahme: § 138 StGB sowie bei Gefahr für Leib oder Leben).

SPANNUNGSFELD ZWISCHEN UNTERNEHMERISCHEN UND INDIVIDUELLEN INTERESSEN

Nicht leugnen lässt sich ein gewisses Spannungsfeld zwischen unternehmerischen und individuellen Interessen: es gilt einerseits für einen ausreichenden Schutz der Hinweisgeber vor unternehmensinterner Ächtung zu sorgen, andererseits den Schutz der durch Hinweise beschuldigten Personen und des Unternehmens selbst vor egoistischen Motiven des Hinweisgebers, wie Rache, Neid oder Geltungssucht sicherzustellen.

GEWICHTIGE GRÜNDE SPRECHEN FÜR IMPLEMENTIERUNG EINES HINWEISGEBERSYSTEMS

Trotz gewisser Bedenken sprechen gewichtige Gründe für die Implementierung eines Hinweisgebersystems im Unternehmen.

  • Ebenso wie Anzeigen bei den Verfolgungsbehörden in vielen Fällen Ermittlungen erst ins Rollen bringen, können Hinweise von Mitarbeitern in hohem Maße dazu beitragen, unternehmensbezogenes Fehlverhalten frühzeitig zu erkennen.
  • Hinweisgebersysteme kanalisieren eingehende Hinweise und können so eine frühzeitige Tätigkeit der Verfolgungsbehörden vermeiden helfen. Denn stellt der einen Rechtsverstoß anzeigende Mitarbeiter fest, dass einem (womöglich berechtigten) Hinweis nicht nachgegangen wird, erhöht dies seine Neigung, Rechtsverstöße sogleich gegenüber den Verfolgungsbehörden anzuzeigen.
  • Unabhängig davon, ob der betreffende Mitarbeiter nach einer sofortigen Anzeige des Fehlverhaltens bei den Verfolgungsbehörden mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss, ist es für das Unternehmen in jedem Fall von Vorteil, vor den Verfolgungsbehörden von einem möglichen Rechtsverstoß zu erfahren. Denn nur auf diese Weise besteht die Möglichkeit, den betreffenden Sachverhalt rechtzeitig aufzuklären und erforderlichenfalls selbst gegenüber den Verfolgungsbehörden aktiv zu werden, bspw. durch eine Selbstanzeige bei Kartellverstößen oder Steuerdelikten. Aufgrund einer frühzeitigen Kooperation mit den Verfolgungsbehörden können auch die rechtlichen Risiken minimiert werden.
  • Hinweisgebersysteme tragen auch zur Verbesserung der Unternehmenskulturbei. Gerade dann, wenn das betreffende Unternehmen bereits einzelne Compliance-Maßnahmen ergriffen hat, wie die Verteilung eines Leitfadens, dokumentiert die Einrichtung eines Hinweisgebersystems, dass das Unternehmen unternehmensinterne Rechtsverstöße konsequent verfolgen will. Hierdurch wird die Akzeptanz der Compliance-Maßnahmen insgesamt erhöht.
  • Nicht zu unterschätzen ist schließlich die Möglichkeit, die Einrichtung eines Hinweisgebersystems für die positive Außendarstellung des Unternehmensnutzbar zu machen.

WELCHE RECHTLICHEN VORGABEN SIND BEI DER IMPLEMENTIERUNG ZU BEACHTEN?

Bei der Einrichtung eines Hinweisgebersystems sind vor allem die gesetzlichen Vorgaben des Arbeitsrechts (insbesondere Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates), des Datenschutzes (insbesondere Umgang mit personenbezogenen Daten der beschuldigten Mitarbeiter), sowie des Strafprozessrechts (insbesondere Rechte und Pflichten gegenüber den Verfolgungsbehörden) zu beachten. Darüber hinaus gilt, das skizzierte Spannungsfeld zwischen unternehmerischen und individuellen Interessen bestmöglich aufzulösen.

WELCHE WEICHENSTELLUNGEN LEITEN SICH HIERAUS AB?

Hieraus leiten sich Empfehlungen für die Art und Weise der Einrichtung und Umsetzung eines Hinweisgebersystems ab. Eine „one fits all“-Lösung gibt es wie so häufig nicht. Vielmehr kommt es auf die Art, Größe und Organisation des betreffenden Unternehmens und die festgestellten Risikofelder an. Ganz generell sind folgende Fragen zu beantworten:

  • Wer soll als Hinweisempfänger Kontaktperson potenzieller „Whistleblower“sein – ein leitender Mitarbeiter des Unternehmens oder aber ein externer Dienstleister, wie bspw. eine Rechtsanwaltskanzlei?
  • Wie eng bzw. weit soll der Kreis möglicher Hinweisgeber gezogen werden – Sollen neben aktuellen auch ehemalige Mitarbeiter oder sogar Dritte, z.B. Lieferanten oder Kunden die Möglichkeit erhalten, Hinweise zu geben?
  • Wie soll mit der Identität des Hinweisgebers verfahren werden – Sollen nur offene oder aber auch anonyme Hinweise entgegengenommen werden? Soll der Hinweisempfänger die Identität des Hinweisgebers gegenüber dem Unternehmen offenlegen müssen oder aber geheim halten dürfen?
  • Welche Art von Verstößen soll entgegengenommen werden – jegliche Art von Rechtsverstößen, gegebenenfalls sogar Verstöße gegen unternehmensinterne Richtlinien, oder aber nur straf- oder bußgeldrechtlich relevante Verstöße?
  • Auf welche Weise sollen Hinweise übermittelt werden können – per E-Mail, telefonisch oder auch schriftlich?
  • Wie soll die Implementierung des Hinweisgebersystems im Unternehmen erfolgen – über den Verhaltenskodex, durch entsprechende Weisung oder Aufnahme in den Arbeitsvertrag?

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