Die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium präsentiert uns ein hilfloses Leben, das auf andere angewiesen ist: Verletzlich in einem Stall zeigt es uns die zentrale Figur der Erzählung, aber nicht allein, sondern in liebevoller Begleitung. Das ist eine sehr kraftvolle Symbolsprache, die für mich der dichterischen Kraft nicht nachsteht, die in dem Bild steckt, eine Macht der Liebe anzubeten. An dieses Bild habe ich mich erinnert, während ich in den letzten Tagen darüber nachgedacht habe, wie ich diesen Weihnachtsbeitrag auf unserem Blog angesichts des schrecklichen Anschlags in Berlin gestalten könnte. Die Überschrift ist Teil eines sehr frommen (in unseren heutigen Ohren fast schwülstig klingenden) Liedes, das ein Mülheimer Laienprediger verfasst hat. Ihr Grundgedanke ist freilich universell und vielleicht das Beste, was man tun kann.
Diese Woche zeigt mit aller Brutalität ein seit Jahren diskutiertes juristisches Spannungsfeld auf, denn gerade erst hat sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen staatliche Stellen Informationen über Bürger sammeln dürfen, um Straftaten zu bekämpfen. Ursprünglich hatte ich in diesem Beitrag darüber schreiben wollen, wie gut diese Entscheidung in die Tage vor Weihnachten passt, beginnt doch Lukas´ Weihnachtsgeschichte mit dem Bericht von der ersten Volkszählung: Dem Gebot des Kaisers Augustus, „dass alle Welt geschätzt würde“. Und nun steht einmal mehr die Frage nach dem „richtigen“ Ausgleich von Freiheit und Sicherheit im Raum. Diese Frage kann hier nicht beantwortet werden, und das ist auch nicht meine Absicht. Stattdessen muss der Wunsch genügen, dass wir uns die ursprüngliche weihnachtliche Botschaft wieder bewusster machen mögen.
Worum es dabei rational geht, findet sich in der vom Geist der Aufklärung getriebenen Erzählung der Ringparabel. Diese ist nicht auf das Weihnachtsfest gemünzt, ich finde aber Worte aus Lessings Fassung passend, denn sie treffen nicht nur den inhaltlichen Kern, sondern erinnern uns auch daran, dass Toleranz und Liberalität uns nicht von alleine zufallen, sondern über Jahrhunderte hinweg Anstrengung erfordern. Ich finde sie aktuell:
Wie kann ich meinen Vätern weniger
Als du den deinen glauben?
Kann ich von dir verlangen, dass du deine
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht
Zu widersprechen? Oder umgekehrt.
Man wünscht sich eine Macht der Liebe, die diese Einsicht durchsetzt – wohl wissend, dass echte Einsicht sich von selbst durchsetzen muss. Von alleine geschieht dies allerdings nur in seltenen Fällen, und an dieser Stelle schlägt die Liedzeile den Bogen zum Weihnachtsfest: Es ist Anlass auch zur inneren Einkehr und für kleine Versuche, die Welt zu einem etwas besseren Ort zu machen.
Dazu kennen wir viele Geschichten, die uns auf materielle Not hinweisen, sei es die vom Mädchen mit den Schwefelhölzern oder die vom weisen Paar. Eine der sicher bekanntesten ist Dickens´ Geschichte vom geizigen Geschäftsmann Ebenezer Scrooge, der von den Geistern der Weihnacht besucht wird, die ihn machtvoll zu der Einsicht führen, welche schönen Seiten das Weihnachtsfest bereithält. Zu ihnen gehört nicht zuletzt der lebensfrohe Geist der diesjährigen Weihnacht, „behaglich und mit fröhlichem Angesicht ein Riese, gar herrlich anzuschauen“. Auch er hat eine (beinahe hedonistische) Symbolkraft: Genuss und Besinnung schließen einander nicht aus.
Liebe Leserinnen und Leser, ganz gleich, ob und wie Sie sich bekennen mögen, wir wünschen Ihnen allen, dass Sie in den kommenden Tagen Gelegenheit haben, vom stressigen Arbeitsalltag etwas Abstand zu gewinnen und den für Sie richtigen Ausgleich zwischen Feier und Einkehr zu finden.
Frohe Weihnachten!