Internal Investigations nach dem J-Day

Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Beschlagnahme von internen Untersuchungsergebnissen (wir berichteten) wird ein beteiligter früherer Staatsanwalt mit den Worten zitiert, "die Anwälte" hätten einen erheblichen Rückschlag erlitten (JUVE Rechtsmarkt Heft 08/2018, S. 38). Das ist nicht nur eine Verallgemeinerung, sondern deutet auch ein etwas seltsames Verständnis davon an, was Anwälte zu tun haben - falls die Aussage so gemeint war; der Kontext fehlt in dem Artikel. In der Compliance-Szene ist es freilich nicht besser.

Ach und Weh

Dort erhob sich zum einen erwartbarer Katzenjammer über das Unverständnis des Gerichts. Darauf näher einzugehen verbietet die Höflichkeit, wohl aber darf man festhalten, dass die Entscheidungen eigentlich niemanden überraschen können. Weder kennt das deutsche Recht ein umfassendes legal privilege, wie man es vielleicht im angloamerikanischen Rechtsraum vorfindet (eine lesenswerte Auseinandersetzung mit der manchmal etwas ungenauen Übertragung dieser Figur ins deutsche Recht findet sich bei einem unserer Berufskollegen), noch ist gegen das Kernargument des Bundesverfassungsgerichts etwas einzuwenden, dass Unternehmen es nicht durch Gestaltung interner Untersuchungen in der Hand haben dürfen, staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen Informationen oder Unterlagen vorzuenthalten. Das ist ein häufig unterschätztes Problem, und die etwas schmallippige Pressemitteilung des betroffenen Unternehmens regt zu Spekulationen darüber an, was sich in den beschlagnahmten Dokumenten finden mag.

Zum anderen mangelt es nicht an Überlegungen, wie man Beschlagnahmen von Unterlagen denn nun doch vermeiden könne. Das beginnt bei dem Vorschlag, anwaltliche Beratungsverhältnisse möglichst noch umfangreicher als bisher zu begründen (siehe zum Beispiel hier und hier) und endet bei der Strategie, sensible Unterlagen nicht mehr in deutschen Aktenordnern zu lagern, sondern digital in der Cloud (so geschildert in JUVE Rechtsmarkt Heft 08/2018, S. 40). Ersteres findet in der Begründung des Bundesverfassungsgerichts durchaus eine Stütze, dürfte aber nicht in allen Fällen helfen, weil es inhaltlich eben nicht nur darum geht, dass überhaupt ein Anwalt für das jeweilige Unternehmen tätig ist. Zweiteres wirft die Fragen auf, ob heikle Informationen tatsächlich auf ausländischen Servern besser aufgehoben sind und wie man mit diesen Dokumenten praktisch arbeitet - ausdrucken oder per E-Mail an deutsche Empfänger versenden kann man sie jedenfalls nicht, weil sie dann wieder beschlagnahmt werden könnten.

Falsche Voraussetzung

Nähert man sich dem Vorgang unaufgeregt, dann darf man feststellen: Sowohl die Klage über "höchst bedenkliche und unfaire" juristische Bewertungen (die Quelle dieser Beschwerde über das Bundesverfassungsgericht enthalten wir dem geneigten Leser vor) als auch die oben verkürzt wiedergegebenen Lösungsvorschläge beruhen auf einer Prämisse, die so schwach ist, dass ihre Vertreter sie gar nicht erst erwähnen, nämlich die These, dass interne Untersuchungen nicht sinnvoll seien, wenn ihre Ergebnisse staatlichem Zugriff unterliegen. Das ist, um es platt zu sagen, falsch. Interne Untersuchungen können im Wesentlichen die Aufgabe haben, zum Schutz des Unternehmens und seiner Mitarbeiter aus Fehlern zu lernen und Risiken zu entschärfen. Und sie können dazu dienen, Schuldige zu suchen und Grundlagen für Kündigung und Schadensersatzansprüche zu legen. Beide Ziele können, müssen aber nicht nebeneinander verfolgt werden. Beide Ziele führen aber jedenfalls im Ausgangspunkt nicht zu einem Bedarf des Unternehmens, vor staatlichen Ermittlungen geschützt zu werden, und beide Ziele sind auch zu realisieren, wenn Abschlussberichte oder andere Dokumente staatlichen Behörden zur Verfügung stehen.

Richtig ist, dass nach heute schon geltendem Recht unter Umständen auch gegen Unternehmen Geldbußen verhängt werden können, wenn Vorstand, Geschäftsführer oder hochrangige Führungskräfte schwerwiegend gegen Rechtsvorschriften verstoßen haben. Dann kann es zu einem Verfahren gegen das Unternehmen selbst kommen, aus welchem eine Verteidigungsposition gegen staatliche Behörden resultiert. Auch daraus ergibt sich aber nicht automatisch ein Argument zum Schutz interner Untersuchungen vor staatsanwaltschaftlicher Beschlagnahme, denn eine solche Verteidigungsposition ist etwas anderes als der Versuch rückhaltloser Sachverhaltsaufklärung mit anschließendem Bericht an Unbeteiligte wie den Aufsichtsrat eines Unternehmens oder - um beim Fall Volkswagen zu bleiben - Behörden eines anderen Staates. Wer als Verteidiger agieren möchte, übernimmt typischerweise keinen umfassenden Untersuchungsauftrag für jemand anderes als die zu verteidigende Person und wird auch seinem Mandanten nicht suggerieren, dass beides irgendwie das gleiche sei. Es handelt sich schlicht um nicht miteinander vereinbare Ziele.

Selbstverständlich kann dies Unternehmen dann in eine schwierige Lage bringen, wenn ausländische Rechtsordnungen die Aufklärung von Fehlverhalten fordern, wie es bei Volkswagen der Fall war (und in der deutschen rechtspolitischen Diskussion zum Thema Compliance immer wieder auf verschiedene Weise aufkommt). Aber dann muss man sich vergegenwärtigen: Eine solche Ermittlung dient eben nicht der Verteidigung des Unternehmens gegen staatliche Behörden, sondern ist sozusagen deren verlängerter Arm. So sehr ein Hilfssheriff dem eigenen Anwalt ähneln mag, wenn er sich den Stern ansteckt, ist er Inquisitor und nicht Beichtvater.

Wo der Schuh wirklich drückt

Ein wirkliches Problem besteht für Unternehmen wohl im Ergebnis nicht, denn das Bundesverfassungsgericht hält ausdrücklich fest: Wenn sie eine beschuldigtenähnliche Stellung haben, also als Unternehmen selbst Ziel der Ermittlungen sind, dann steht den das Unternehmen beratenden Rechtsanwälten auch ein Beschlagnahmeschutz zu (siehe die Entscheidung im Verfahren 2 BvR 1405/17, Randnummer 95 ff.). Natürlich ist die Grenze im Einzelfall schwer zu ziehen, aber das geht allen Beschuldigten so und ist kein Spezifikum interner Untersuchungen. In Wahrheit wird es auch in der Regel nicht um das Unternehmen als solches gehen, denn das muss ja ein Interesse daran haben, Rechtsverstöße aufzuklären.

Realistischerweise ist das wahre Drama, dass bei nicht wenigen internen Untersuchungen Material zusammenkommt, welches einzelne Mitarbeiter oder Führungskräfte belastet. So halten etwa große Teile der juristisch geprägten Compliance-Literatur es für angezeigt, im Rahmen interner Untersuchungen formal strukturierte Interviews durchzuführen und diese ausführlich zu protokollieren. Aus Sicht des Aufklärers macht das Sinn, dem Beschützer macht es die Arbeit schwer. Das zeigt aber, dass das wirkliche Problem in einer unklaren Rollendefinition liegt. Wer aufklären will, darf sich nicht wundern, wenn die echte Kavallerie irgendwann einmal die Ergebnisse sehen möchte. Aus Sicht des Unternehmens kann dagegen auch prinzipiell nichts sprechen, denn wenn Mitarbeiter oder Führungskräfte gegen Rechtsvorschriften verstoßen haben, kann das zu schweren Schäden für das Unternehmen führen. Wer hingegen verteidigen möchte, braucht in vielen Fällen keine detaillierten Aufzeichnungen anzufertigen, wer wann was gesagt haben mag. Dafür reicht oft das vertrauensvolle Gespräch.

Was nun?

Die Unfairness liegt also nicht darin, dass Unternehmen einerseits Rechtsverstöße im Rahmen von Compliance-Programmen aufdecken sollen, andererseits aber Strafverfolger auf die dabei entstehenden Unterlagen Zugriff haben können. Die eigentliche Unfairness liegt darin, dies den von internen Untersuchungen betroffenen Personen nicht zu sagen. Wer das Risiko kennt, kann sich entsprechend verhalten und wird das in aller Regel auch tun. Führt das zu Nachteilen für das Unternehmen? Schwerlich, wenn es demonstrieren kann, dass es die ihm zu Gebote stehenden Mittel ausschöpft. Führt das zu Nachteilen für betroffene Mitarbeiter? Möglich, denn sie sehen sich unter Umständen der Staatsanwaltschaft gegenüber. Auch damit lässt sich aber erfahrungsgemäß umgehen. Was in entsprechenden Fällen nottut, ist eine eng abgestimmte Beratung und Vertretung durch Unternehmens- und Individualverteidiger, natürlich unter Beteiligung der Compliance-Funktion, genannt Sockelverteidigung. Dabei liegt der schwierige Balanceakt darin, die notwendige Aufklärung zu betreiben, um mit Aufsichtsbehörden zusammenzuarbeiten, die Staatsanwaltschaft von einschneidenden Maßnahmen wie Durchsuchungen abzuhalten und die Interessen aller Betroffenen zu bedenken. Dies erfordert, interne Untersuchungen von Anfang an auch mit der juristischen Brille zu planen, wie wir hier schon einmal dargestellt hatten.Vor dem Beginn umfangreicher Untersuchungen muss im sehr kleinen Kreis ehrlich analysiert werden, wie sich die Lage entwickeln könnte.

Ob die Kolleginnen und Kollegen in dem vom Bundesverfassungsgericht behandelten Fall etwas falsch gemacht haben, weiß ich nicht, und ich maße mir darüber kein Urteil an. Es ist eine Binsenweisheit, dass Anwälte nur mit dem arbeiten können, was sie vorfinden; daraus das Bestmögliche zu machen, ist ihre Aufgabe. Es geht aber meines Erachtens aber viel zu weit, wenn das Ende interner Untersuchungen beschworen, Rechtsunsicherheit beklagt und ein Eingreifen des Gesetzgebers gefordert wird. Rechtsunsicherheit hat in dieser Frage noch nie wirklich bestanden. Die Rechtslage ist für bestimmte Interessen lediglich unpraktisch. Das wiederum ist für forensisch erfahrene Rechtsanwälte keine so ungewohnte Situation, denn die wenigsten Mandanten kommen, wenn sie kein Problem haben. Am Ende erinnern die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts also vor allem an eine Weisheit Senecas, welche die meisten Anwälte von den Werbeplakaten eines bekannten Repetitors kennen dürften: "Wer den Hafen nicht kennt, für den ist kein Wind günstig."