Ein Dilemma für Beteiligte an Submissionsabsprachen
Submissionsabsprachen, also Kartellabsprachen im Rahmen öffentlicher oder vergleichbar organisierter privater Ausschreibungen, verwirklichen sowohl eine Kartellordnungswidrigkeit (§ 1, § 81 Abs. 2 Nr. 1 GWB) als auch eine Straftat (§ 298 StGB). Für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit gegenüber den beteiligten Unternehmen ist das Bundeskartellamt (BKartA) zuständig (§ 82 Abs. 2 Nr. 1 GWB), für die Verfolgung der Straftat gegenüber den beteiligten natürlichen Personen hingegen die Staatsanwaltschaft. Stellt ein beteiligtes Unternehmen beim BKartA einen Bonusantrag (§§ 81h-81n GWB), stellt sich für die an der Submissionsabsprache persönlich Beteiligten die Frage, wie in den gegen sie gerichteten Strafverfahren mit den Bonusanträgen und Settlementerklärungen verfahren wird.
Aktueller Beispielsfall: Absprache bei der Sanierung der Zoobrücke in Köln
In einem aktuellen, die Sanierung der Zoobrücke in Köln betreffenden, Fall hatten Mitarbeiter der Unternehmen Strabag und Kemna Bau vereinbart, dass Kemna Bau bei der Ausschreibung ein Schutzangebot abgibt, um die Erteilung des Zuschlags an eine Bietergemeinschaft unter Beteiligung der Strabag zu ermöglichen. Als Gegenleistung hat Kemna eine Ausgleichszahlung erhalten. Nachdem zunächst Kemna Bau und später Strabag Bonusanträge gestellt und das Verfahren im Wege von Settlements einvernehmlich beendet hatten, verhängte das BKartA gegen Strabag einen Bußgeldbescheid und stellte das Verfahren gegen Kemna Bau als erstem Bonusantragsteller ein (s. Pressemitteilung des BKartA vom 06.11.2024). Gegen die beteiligten Strabag-Mitarbeiter ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln (s. Nachricht des WDR vom 08.11.2024).
Zu klärende Fragen hinsichtlich der Bonusanträge und Settlementerklärungen
Den beteiligten Strabag-Mitarbeitern stellen sich nun vor allem folgende Fragen:
- Darf das BKartA die Bonusanträge und Settlementerklärungen an die Staatsanwaltschaft übermitteln?
- Dürfen andere Beschuldigte und potentielle Schadensersatzkläger bei Einsicht in die Strafakte auch Einblick in die Bonusanträge und Settlementerklärungen nehmen?
- Inwiefern berücksichtigen Staatsanwaltschaft und Strafgericht die Bonusanträge und Settlementerklärungen?
Die Fragen lassen sich wie folgt beantworten:
1. Darf das BKartA Bonusanträge und Settlementerklärungen an die Staatsanwaltschaft übermitteln?
Ja. Aufgrund der verfassungsrechtlich verbrieften Amtshilfepflicht erhalten die zuständigen Staatsanwaltschaften im Rahmen der Abgabe der Verfahren gegen die beteiligten natürlichen Personen nach § 41 OWiG regelmäßig die für die Verfahrenseinleitung maßgeblichen Unterlagen. Beruht die Einleitung des Verfahrens des BKartA auf einem Kronzeugenantrag, wird auch dieser den ermittelten Staatsanwaltschaften zur Verfügung gestellt und hierdurch Teil der strafrechtlichen Ermittlungsakte.
2. Dürfen potentielle Schadensersatzkläger und andere Beschuldigte in der Strafakte auch die Bonusanträge und Settlementerklärungen einsehen?
Erstere nein, letztere ja. Anträge auf Akteneinsicht seitens Geschädigter von Kartellabsprachen werden regelmäßig auf § 406e StPO gestützt. Geschädigte müssen hierfür ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht darlegen. Soweit dies zu bejahen ist, erstreckt sich ihr Akteneinsichtsrecht allerdings ausschließlich auf den Bußgeldbescheid des BKartA (vgl. § 89c Abs. 5 GWB). Einsicht in Bonusanträge, mit diesem übermittelte Beweismittel und Settlementerklärungen darf das BKartA hingegen verweigern (vgl. § 89c Abs. 4 GWB), da der Akteneinsicht insoweit schutzwürdige Interessen der beteiligten Unternehmen und Personen entgegenstehen. Für die Staatsanwaltschaft, die über § 41 OWiG Kopien der Akten des BKartA erhalten hat, gelten diese Beschränkungen entsprechend (vgl. § 89c Abs. 6 GWB). Soweit im Strafverfahren Beschuldigte selbst oder über ihren Verteidiger Akteneinsicht begehren (§ 147 StPO), gelten diese Beschränkungen hingegen nicht.
Exkurs: Schlussanträge des Generalanwalts Maciej Szpunar vom 24.10.2024
Diese Rechtslage in Deutschland entspricht auch der Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des europäischen Wettbewerbsrechts, zu der sich kürzlich der Generalanwalt des EuGH, Maciej Szpunar, in seinen Schlussanträgen vom 24.10.2024 in der Rechtssache FL und KM Baugesellschaft u.a. (Rs. C-2/23), einem Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Wien, geäußert hat.
Gegenstand des Verfahrens vor dem Oberlandesgerichts Wien sind Anträge mehrerer Bauunternehmen, die wegen Beteiligung an einer Submissionsabsprache vom als Kartellgericht zuständigen Oberlandesgericht Wien mit Geldbußen belegt worden sind. Auf ein Amtshilfeersuchen hin übermittelte das Oberlandesgericht Wien der Staatsanwaltschaft eine Kopie seiner Akte, u.a. der Bonusanträge und Settlementerklärungen. Die Bauunternehmen wehren sich dagegen, dass diese Unterlagen in die Strafakte aufgenommen, jedenfalls anderen Beschuldigten und Geschädigten im Rahmen der Akteneinsicht zugänglich gemacht werden. Das auch für diese Beschwerden zuständige Oberlandesgericht Wien hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
In seinen Schlussanträgen schlägt der Generalanwalt dem EuGH vor, die Vorlagefragen - kurzgefasst - wie folgt zu beantworten:
- Das Wettbewerbsrecht der Union, insbesondere die Kartellschadensersatz-Richtlinie (Richtlinie 2014/104/EU) sowie die Richtlinie zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten (Richtlinie (EU) 2019/1), regelt nicht die Frage, ob Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen von einer Strafverfolgungsbehörde im Rahmen eines Strafverfahrens zur Akte genommen und als Basis für weitere Ermittlungen verwendet werden dürfen. Die Regelung des Kartellverbots in Art. 101 AEUV steht dem jedenfalls nicht entgegen
- Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2019/1 steht einer nationalen Regelung entgegen, die es Geschädigten in einem Strafverfahren ermöglicht, Zugang zu Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen zu erhalten; er steht hingegen einer nationalen Regelung nicht entgegen, die es Beschuldigten, die nicht Verfasser der Kronzeugenerklärungen oder Vergleichsausführungen sind, in einem Strafverfahren ermöglicht, Zugang zu diesen Dokumenten zu erhalten.
- Der durch die Richtlinie (EU) 2019/1 zuerkannte absolute Schutz von Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen erstreckt sich nicht auf andere Dokumente, die eigens für die Zwecke eines Verfahrens einer Wettbewerbsbehörde erstellt und freiwillig oder auf Verlangen dieser Behörde vorgelegt wurden.
3. Inwiefern berücksichtigen Staatsanwaltschaft und Strafgericht die Bonusanträge und Settlementerklärungen?
Zur Berücksichtigung von Bonusanträgen und Settlementerklärungen ist ausschließlich das BKartA im Rahmen seiner Bußgeldzumessung verpflichtet (für Bonusanträge s. § 81h Abs. 2 GWB, für Settlementerklärungen aufgrund der Selbstbindung durchs das Merkblatt des BKartA). Für Staatsanwaltschaften und Strafgerichte gelten diese Regelungen hingegen nicht.
Es steht vielmehr im Ermessen der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen einen Beschuldigten, ggf. unter Auflagen - bspw. der Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung - einzustellen, wenngleich nur mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts (§§ 153,153a StPO). Bei Submissionsabsprachen machen die Staatsanwaltschaften von dieser Möglichkeit häufiger, wenngleich nicht regelmäßig Gebrauch. Denn auch im Falle eines Bonusantrages kommt es stets im Einzelfall darauf an, ob die persönliche Schuld des Beteiligten gering ist.
Stimmt das Strafgericht der Einstellung nicht zu, ist dieses verpflichtet, die Mitwirkung des Beschuldigten an einem Bonusantrag bzw. der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung als positives Nachtatverhalten im Rahmen der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen (§ 46 Abs. 2 StGB). Der Umfang der Milderung steht allerdings im Ermessen des Gerichts.
Fazit
Für an Submissionsabsprachen persönlich Beteiligte ergibt sich daher ein Dilemma:
- Ein erfolgreicher Bonusantrag beim BKartA setzt u.a. voraus, dass das Unternehmen alle ihm zugänglichen Informationen über und Beweise für das Kartell zur Verfügung stellt und dafür sorgt, dass Mitglieder der Aufsichts- und Leitungsorgane und sonstige Mitarbeiter für Befragungen zur Verfügung stehen (vgl. § 81j Abs. 1 GWB). Da der Bonusantrag des Unternehmens zu Gunsten der an der Absprache beteiligten aktuellen und früheren Mitarbeiter gilt (§ 81i Abs. 2 GWB), besteht für diese nur bei dessen Erfolg die Chance auf eine Verfahrenseinstellung oder Strafmilderung.
- Mit der Offenlegung ihrer Beteiligung an einer Submissionsabsprache setzen sich die betroffenen Mitarbeiter womöglich erst dem Risiko einer persönlichen strafrechtlichen Verfolgung und weiterer rechtlicher Konsequenzen aus (Kündigung des Arbeitsverhältnisses, Kartellschadensersatz). Zu dem frühen Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens, zu dem ein Bonusantrag regelmäßig gestellt werden muss, können die Mitarbeiter im Zweifelsfall nicht einschätzen, ob ihre Beteiligung bereits durch andere Beweismittel oder auch einen vorangegangenen Bonusantrag eines anderen Unternehmens belegt sein könnte. Ungewiss ist auch, ob die Staatsanwaltschaft aufgrund eines Bonusantrages eine Verfahrenseinstellung erwägen würde; die Entscheidung hierüber fällt regelmäßig erst nach Abschluss des BKartA-Verfahrens.
- Auch Vereinbarungen zwischen Unternehmen und beteiligten Mitarbeitern über die Freistellung von etwaigen finanziellen Folgen eines Strafverfahrens kommt aus Unternehmenssicht aufgrund rechtlicher Erwägungen (Untreuerisiko, Bedingungen der D&O-Versicherung u.a.) regelmäßig erst gegen Ende des Verfahrens in Betracht.