Kaskadenverweis in Darlehensverträgen europarechtswidrig – na und?

Ein Lehrstück zum Verhältnis zwischen Europarecht und nationalem Recht spielt sich aktuell im Bereich des Verbraucherkreditrechts ab. EuGH und BGH ringen hier um die Deutungshoheit, welche Maßstäbe für eine korrekte Widerrufsinformation gelten.

Voraussetzungen für den Beginn der Widerrufsfrist

Darlehensverträge können von Verbrauchern innerhalb einer Frist von zwei Wochen widerrufen werden. Über die Widerrufsmöglichkeit ist der Verbraucher zu belehren. Üblicherweise sind die Widerrufsinformationen in Verträgen ab 2010 so formuliert, dass die Widerrufsfrist nach Erhalt von Pflichtangaben von § 492 Abs. 2 BGB beginnt. In § 492 Abs. 2 BGB selbst wird wegen der Pflichtangaben nur weiterverwiesen, und zwar auf die Angaben nach Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB.

Verweisungskette nach EuGH unzulässig

In einem Urteil vom 26.03.2020 hat der EuGH entschieden, dass eine solche Verweisungskette für den Verbraucher nicht hinreichend klar und prägnant sei, wie es die europäische Verbraucherkreditrichtlinie verlangt. Dies widerspricht der Ansicht des BGH, der eine solche Verweisung auf Rechtsvorschriften immer als klar und verständlich angesehen hat. Die EuGH-Entscheidung war daher durchaus überraschend und hat viel Beachtung gefunden. Teilweise war auch schon von einem neuen Widerrufsjoker die Rede.

BGH zum Ersten: Entscheidung des EuGH für Baufinanzierungen irrelevant

Eine Reaktion des BGH auf die Entscheidung des EuGH hat nicht lange auf sich warten lassen: Bereits fünf Tage später, am 31.03.2020, hat der BGH in einem Beschluss (Az. XI ZR 581/19) ausgeführt, dass die Entscheidung des EuGH für Immobiliardarlehensverträge nicht einschlägig sei. Denn Immobiliardarlehensverträge seien von der Verbraucherkreditrichtlinie nicht umfasst. Der deutsche Gesetzgeber habe diese Richtlinie auch nicht für Immobiliardarlehen als maßgeblich erachtet. Letztlich sei der EuGH daher für die Entscheidung gar nicht zuständig gewesen. Damit hat sich der BGH klar gegen den EuGH gestellt, der dies komplett anders gesehen und seine Zuständigkeit ausdrücklich bejaht hatte.

BGH zum Zweiten: Bindung der Gerichte an das gesetzliche Muster

In einer zweiten Entscheidung vom 31.03.2020 (Az. XI ZR 198/19) hat der BGH klargestellt, dass das EuGH-Urteil auch nichts an der Möglichkeit ändert, auf das gesetzliche Muster einer Widerrufsinformation zurückzugreifen. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hatte der Gesetzgeber im Jahr 2010 Banken und Sparkassen für die Widerrufsinformation ein Muster zur Verfügung gestellt und angeordnet, dass bei Verwenden dieses Musters die Belehrung auf jeden Fall den gesetzlichen Anforderungen genügt (so genannte „Gesetzlichkeitsfiktion“). An diese klare Anordnung sind die Gerichte, so der BGH, auch nach dem EuGH-Urteil gebunden. Der BGH zitiert hier das Bundesverfassungsgericht:

Das Gesetz bezieht seine Geltungskraft aus der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers, dessen artikulierter Wille den Inhalt des Gesetzes daher mitbestimmt. Der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers darf nicht übergangen oder verfälscht werden.

Fazit und Ausblick

Das EuGH-Urteil vom 26.03.2020 ist nach Ansicht des BGH für Baufinanzierungen ohne Bedeutung. Es bleibt zudem dabei, dass sich Kreditinstitute auf das gesetzliche Muster der Widerrufsinformation berufen können. Der Gesetzgeber mag nun überlegen, ob er die Musterinformation überarbeitet. Wie das Muster anders „gestrickt“ werden soll, ist die große Frage. Schließlich arbeitet auch der europäische Gesetzgeber in der Verbraucherkreditrichtlinie im Zusammenhang mit den Pflichtangaben mit Verweisungsketten.

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