Kein gemeindliches Vorkaufsrecht bei zu erwartender erhaltungswidriger Nutzungsabsicht in der Zukunft

Durch Urteil vom 09. November 2021 (BVerwG 4 C 1.20) entschied das Bundesverwaltungsrecht, dass das Vorkaufsrecht der Gemeinde gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nicht auf der Grundlage der Annahme ausgeübt werden darf, dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde. Bei der Ausübung des Vorkaufsrechts kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über das Vorkaufsrecht an.

Im Einzelnen

In Gebieten im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung bzw. - verordnung kam es in der Vergangenheit dazu, dass die Gemeinden schon dann von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht haben, wenn nur die geringste Befürchtung bestand, dass der Käufer eine erhaltungswidrige Nutzungsabsicht verfolge. Schutzziele einer Erhaltungssatzung sind, (1) die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart eines Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt, (2) der sogenannte Milieuschutz, also zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und (3) zur Unterstützung städtebaulicher Umstrukturierungen (vgl. § 172 Abs. 1 BauGB).

Folglich bedürfen gemäß § 172 Abs. 4 BauGB der Abbruch, die Änderung oder Nutzungsänderungen von baulichen Anlagen (Umwandlung in Wohnungseigentum) im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung der Genehmigung der Gemeinde. Diese kann nur unter besonderen Voraussetzungen versagt werden.

Im dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Fall kaufte eine Immobiliengesellschaft das in Berlin-Kreuzberg befindliche Grundstück, welches im Bereich einer Erhaltungsverordnung (sog. Milieusatzung) liegt. Die zuständige Gemeinde (hier: Bezirksamt) übte hier nur aufgrund der Befürchtung, dass die Klägerin in Zukunft die Bewohner des Gebäudes durch Aufwertung der Mietwohnungen und anschließenden Mieterhöhungen oder Umwandlung in Wohnungseigentum verdrängen werde, ihr gemeindliches Vorkaufsrecht zugunsten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft aus.

Die Klage blieb sowohl vor dem VG als auch vor dem OVG Berlin-Brandenburg erfolglos. Die Gerichte waren der Ansicht, dass die prognostische Annahme von Veränderungsabsichten des Käufers zu berücksichtigen wären. Dies lehnte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) jedoch ab:

Vorliegend ist die Ausübung des Vorkaufsrechts schon gemäß § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen. Der Wortlaut dieser Regelung beziehe sich nach Auffassung des BVerwG auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Die Norm gebe keinen Raum für die Berücksichtigung zu erwartender künftiger Nutzungen. 

Bisher war umstritten, wie das Vorkaufsrecht der Gemeinde für Grundstücke im Geltungsbereich einer Satzung ausgeübt werden kann. Jedenfalls wurde mit dieser Entscheidung Klarheit geschaffen.

Ferner entsteht nun auch ein politischer Druck, da das Vorkaufsrecht, insbesondere zugunsten landeseigener Wohnungsbaugesellschaften, ausgeübt wurde, um (Miet-) Wohnungen so in die öffentliche Hand zu überführen. In dieser Form werden die Rechte privater Käufer gestärkt. Es bleibt also abzuwarten, welche politische Reaktion hierauf erfolgt und ob das Baugesetzbuch dahingehend geändert wird.