Kein Widerrufsrecht eines bürgenden Verbrauchers nach § 312d BGB, Urteil des XI. Zivilsenats vom 22.9.2020 - XI ZR 219/19

Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie am 13. Juni 2014 war streitig, ob die Bürgschaft eines Verbrauchers außerhalb von Geschäftsräumen so, wie zuvor nach § 312 BGB a.F., widerruflich blieb.

Der Verfasser hatte in seinem Aufsatz NJW 2014, 1409 vertreten, dass bei nach dem 13. Juni 2014 außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen über Verbraucherbürgschaften oder ähnliche Verbraucher-Drittsicherheiten dem Verbraucher weder ein Widerrufsrecht nach § 312g BGB zustehe noch eine Pflicht des Unternehmers bestehe, hierzu vorvertragliche Informationen zu erteilen. Wesentlicher Grund war, dass nach § 312 Abs. 1 BGB die Kapitel 1 („Anwendungsbereich und Grundsätze bei Verbraucherverträgen“) und 2 („Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge“) des Untertitels nur auf Verbraucherverträge im Sinne des § 310 Abs. 3 anzuwenden sind, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Diese Vorschriften setzen also - kurz gesagt - einen „Business to Consumer“- oder „B2C-Vertrag“ voraus.

Diese Auffassung blieb eine Mindermeinung, die der Verfasser in zwei weiteren Aufsätzen (WM 2015, 113; WM 2016, 2011) verteidigte. Inhaltlich ging der Streit hauptsächlich um das Verständnis von Art 3 Abs. 1 Satz 1 Verbraucherrechte-Richtlinie („VRRL“). Danach gilt die Richtlinie unter den Bedingungen und in dem Umfang, wie in ihren Bestimmungen festgelegt, für jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden. Die überwiegende Literaturmeinung schloss aus den Worten „jegliche Verträge“, dass die VRRL eine den Wortlaut des § 312 Abs. 1 BGB überschreitende Auslegung erfordere, die die Widerruflichkeit von Verbraucherbürgschaften (und anderen Drittsicherheiten) zu Kreditverträgen erlaube. Der Verfasser hat, unter anderem anhand der Materialen zur VRRL, nachgewiesen, dass diese Interpretation unzutreffend ist.

Die Entscheidung des BGH schließt sich der Auffassung des Verfassers jetzt vollumfänglich an:

Klägerin war eine Bank, die der Hauptschuldnerin, einer mittlerweile insolventen GmbH, Kredit gewährt hatte. Für diesen Kredit hatte sich der Beklagte, als geschäftsführender Alleingesellschafter der GmbH, außerhalb der Geschäftsräume der Bank bis zu einem Höchstbetrag verbürgt.

Das OLG Hamburg als Berufungsinstanz wies die Klage der Bank gegen den Bürgen ab, da der Bürge als Verbraucher gehandelt habe und der Bürgschaftsvertrag bei unionskonformer Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand habe.

Der BGH weist dies zurück: § 312 Abs. 1 BGB setzt einen Verbrauchervertrag voraus, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. Erforderlich ist, dass der Unternehmer aufgrund eines Verbrauchervertrages die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat. Diese Voraussetzungen eines Widerrufsrechts erfüllen (Verbraucher)-Bürgschaften nicht. Eine Analogie sei mangels einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung abzulehnen. Auch eine richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung führe zu keinem anderen Ergebnis. § 312 Abs. 1 BGB entspreche, soweit er eine Leistung eines Unternehmers als Gegenstand des Verbrauchervertrages voraussetze, der VRRL. Dies sei angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks der VRRL ohne weiteres so klar, dass für Zweifel kein Raum bleibe. Für eine Anrufung des EuGH nach Art. 267 AEUV bestehe daher kein Anlass.

Ob der Gesetzgeber tätig wird, um diese Schutzlücke zu schließen (vgl. den Beitrag des Verfassers vom 30. Januar 2019) bleibt abzuwarten.

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