Sachverhalte, bei denen der Bundesgerichtshof Gelegenheit hat, sich schulmäßig mit grundlegenden Prinzipien des Kapitalgesellschaftsrechts auseinanderzusetzen, kommen nicht häufig vor. Dem Urteil des BGH vom 16. Juni 2024 (II ZR 71/23) lag eine solche Konstellation zugrunde.
Die Entscheidung spielt im Umfeld des Zweitligavereins Hannover 96. Der Kläger wendet sich gegen seine Abberufung als Geschäftsführer der beklagten GmbH. Nach der Satzung der GmbH war deren fakultativer Aufsichtsrat für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig. Der Abberufungsbeschluss, den der Kläger angreift, wurde allerdings in einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung in notariell beurkundeter Form als "satzungsdurchbrechender Beschluss” von der Alleingesellschafterin der GmbH, einem Verein, gefasst.
In einer Gesellschaftervereinbarung (dem „Hannover 96-Vertrag“) hatten der Verein sowie eine KGaA, an der die GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin beteiligt war, sowie deren Mehrheits-Kommanditaktionärin, die Hannover 96 Sales & Services GmbH & Co. KG, vereinbart, dass Änderungen des Gesellschaftsvertrags der GmbH nur mit Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co KG zulässig sein sollten.
Anders als die über weite Strecken recht undogmatisch argumentierende Vorinstanz (OLG Celle) kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der Abberufungsbeschluss weder nichtig ist noch vom Kläger angefochten werden kann. Die gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen, mit denen sich der BGH ausführlich auseinandersetzt, sind insbesondere:
- Abgrenzung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Beschlüssen bei der GmbH;
- Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe bei Verstoß gegen die satzungsmäßige Kompetenzordnung;
- Zulässigkeit von Stimmbindungsvereinbarungen mit gesellschaftsfremden Dritten
- Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit von Beschlüssen, die gegen Stimmbindungsvereinbarungen verstoßen;
- Durchsetzbarkeit der in Stimmbindungsvereinbarungen begründeten Rechte
- Abgrenzung zwischen punktueller und dauerhafter Satzungsdurchbrechung und formelle Anforderungen an diese;
- Fehlende Anfechtungsbefugnis des Fremdgeschäftsführers einer GmbH;
- Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit bei Verstoß gegen Gesellschaftervereinbarungen.
Die Lektüre der Entscheidung ist in Bezug auf die darin behandelten rechtlichen Grundsatzfragen äußerst gewinnbringend. Besonderes Augenmerk verdient dabei der Themenkomplex Gesellschaftervereinbarungen. Es wird deutlich, wie wichtig es in der Praxis ist, bei der Gestaltung von Gesellschaftervereinbarungen zu bedenken und zu regeln, auf welche Weise die darin getroffenen Abreden in der GmbH wirken sollen. Es muss stets mitbedacht werden, wie, von wem und wem gegenüber die im Konsortialvertrag begründeten Rechte durchgesetzt werden. Es ist auch zu entscheiden, ob die Gesellschaftervereinbarung der richtige Ort ist, um strukturelle Festlegungen zu treffen. Die hier referierte Entscheidung des BGH zeigt noch einmal deutlich die begrenzten Wirkungen konsortialvertraglicher Regelungen auf. Sie legt allen, die mit gesellschaftsrechtlicher Gestaltung befasst sind, die Frage nahe, ob im konkreten Fall nicht die Verankerung grundlegender Strukturprinzipien in der Satzung der richtige Weg ist.