Mehr Rechtssicherheit zur Frage von Mietzahlungspflichten bei coronabedingter Geschäftsschließung naht

Der Bundesgerichtshof hat in der Verhandlung am 01.12.2021 erste Tendenzen für Richtlinien, die bei zukünftigen Entscheidungen zu beachten sind, durchblicken lassen

Der BGH hat in der Verhandlung am 01.12.2021 bereits wegweisende Leitlinien zum weiteren Umgang mit Mietzahlungspflichten bei COVID-19-bedingten Geschäftsschließungen wie folgt erkennen lassen:

  • Während der Zeiträume staatlich angeordneter Betriebsbeschränkungen kann eine erhebliche Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrages vorliegen, die zu einem Anspruch des Mieters auf Anpassung des Vertrages, insbesondere einer zeitlich begrenzten Mietanpassung führen kann.
  • Eine Mietanpassung kann jedoch nicht (wie in dem zur Überprüfung gestellten Urteil des OLG Dresden geschehen) pauschal durch hälftige Risikoverteilung (Absenkung der Miete um 50 %) erfolgen. Es muss vielmehr im Wege einer Einzelfallprüfung danach gefragt werden, ob dem Mieter unter Berücksichtigung aller Umstände ein Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann. Im Rahmen einer Zumutbarkeitsprüfung wird es also auch auf die Gewährung staatlicher Hilfen und auf sonstige Möglichkeiten, Umsatzverluste zu kompensieren, ankommen.

Damit hat der Bundesgerichtshof durchblicken lassen, dass die Interessen auf Vermieter- und Mieterseite im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen. Es ist davon auszugehen, dass der BGH die Sache an das OLG Dresden zurückverweisen wird. Im Zuge des zurückverweisenden Beschlusses wird der BGH aber konkrete Richtlinien für die weitere Prüfung vorgeben, die sodann vom OLG Dresden, weiterhin aber auch von allen anderen Gerichten zukünftig zu beachten sind.

Der Hintergrund des Verfahrens

Bereits zu Beginn des ersten „Lockdown“ im Frühjahr 2020 stellte sich für viele Mieter die Frage, ob diese Mietzahlungen in vertraglich vereinbarter Höhe insbesondere während staatlich angeordneter Schließungszeiträume schulden und welche Konsequenzen aus Mietkürzungen resultieren könnten. Umgekehrt bestand bei zahlreichen Vermietern Unsicherheit, wie mit Mietkürzungen von Mietern umzugehen ist. Es war insbesondere zu entscheiden, ob Zahlungsklagen oder ggfs. auch fristlose Kündigungen wegen Mietrückstands angezeigt sein könnten. In vielen Einzelfällen bestand zwar Bereitschaft, bereits vor weiteren Schritten des Gesetzgebers und/oder Klärung durch die Gerichte gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Dies ist aber nicht in allen Fällen gelungen und hat dazu geführt, dass viele Mieter die Miete zunächst unter Vorbehalt der Rückforderung geleistet haben. Häufig wurden Verhandlungen über eine Einigung oder die Erhebung von Klagen auch noch zurückgestellt, bis mehr Rechtsklarheit besteht.

Die Versuche des Gesetzgebers Rechtsunsicherheit zu beseitigen

Der Gesetzgeber hat im weiteren Verlauf den Versuch unternommen, Rechtsklarheit zu schaffen. Mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie hat der Gesetzgeber zunächst einen zeitlich befristeten Kündigungsschutz für Mietrückstände im Zeitraum 01.04.2020 bis 30.06.2020 geregelt.  Ferner hat der Gesetzgeber Ende des Jahres 2020 eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen einer schwerwiegenden Veränderung der Geschäftsgrundlage aufgestellt, sofern nach Vertragsschluss die Verwendbarkeit der Mieträume durch staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erheblich eingeschränkt werden. Beide Versuche des Gesetzgebers, mehr Rechtsklarheit zu schaffen, haben jedoch nicht zu dem angestrebten Erfolg geführt.

Bisherige Tendenzen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte

Nach dem Handeln des Gesetzgebers (Neuregelung in § 7 Art 240 EGBG) stand lediglich fest, dass das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie sowie zwischenzeitlich erfolgte staatliche Hilfsmaßnahmen keine Sperrwirkung für eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage entfalten. Vorgaben für Vertragsanpassungsmöglichkeiten, insbesondere für etwaige Mietnachlässe für den Zeitraum staatlicher Schließungsanordnungen erfolgten nicht. Allein in der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber betont, dass dem Mieter nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage keine Überkompensation gewährt werden soll und der Gesetzgeber die vertragliche Risikoverteilung, wonach der Mieter grundsätzlich das Verwendungsrisiko der Mietsache trägt, nicht aufheben wollte.

Unabhängig davon, dass im Wesentlichen von der Literatur (und nicht so sehr durch Gerichte) in Frage gestellt wurde, ob die gesetzliche Vermutungsregelung überhaupt verfassungsgemäß ist, blieben auch nach dieser Neuregelung somit viele Fragen offen.

Entsprechend gab es auch im Anschluss an diese gesetzliche Neuregelung unterschiedliche Gerichtsentscheidungen zur Frage der Möglichkeit der Vertragsanpassung nach den
Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung zeichnete sich aber zumindest eine deutliche Tendenz ab, dass eine (automatische) Minderung der vertraglich geschuldeten Miete im Falle staatlich angeordneter Beschränkungen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie nicht vorliegt, weil ein Mietobjekt wegen der erfolgten öffentlich-rechtlichen Beschränkungen der Nutzung nicht mangelhaft im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB ist. Durch die behördlichen Schließungen und Einschränkungen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie erfolgten gerade keine Maßnahmen, die an die konkrete Beschaffenheit des Mietobjektes anknüpfen.

 

Mit Blick auf die gesetzliche Vermutungsregelung haben Gerichte sodann das Vorliegen einer schwerwiegenden Störung einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage für den Zeitraum der hoheitlich angeordneten Betriebseinschränkungen zwar grundsätzlich bejaht.

Die Vermutungsregelung des Gesetzgebers hat aber nicht etwa dazu geführt, dass nachfolgend klare Grundsätze für Mietanpassungen aufgestellt wurden. Angesichts der gesetzlichen Risikoverteilung, wonach das Verwendungsrisiko für die Mietsache im gewerblichen Mietrecht grundsätzlich der Mieter trägt, gilt auch bei erheblicher Störung der Geschäftsgrundlage, dass eine Anpassung des Vertrages nur in Ausnahmefällen geboten ist. Daher musste auch nach wie vor im jeweiligen Einzelfall entschieden werden, ob eine Anpassung des Vertrages zur Vermeidung eines untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht (mehr) zu vereinbarenden Ergebnisses unabweislich erscheint. Da der Gesetzgeber keine Vorgaben zur Frage gemacht hat, wann und in welchem Umfang dem Mieter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann, haben die Gerichte im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung zum Teil danach gefragt, wie stark sich die staatlichen Beschränkungen auf den Betrieb des Mieters auswirken. Zu berücksichtigen sind bei der Zumutbarkeitsprüfung nach der überwiegenden Ansicht der Oberlandesgerichte insbesondere öffentliche oder sonstige Zuschüsse (Überbrückungshilfen), mit welchen Umsatzrückgänge ggfs. kompensiert werden können sowie Ersparnisse, z.B. aufgrund von Kurzarbeit oder weggefallenen Wareneinkäufen. Das Oberlandesgericht Hamm stellte weiterhin auch auf etwaige beim Mieter vorhandene Rücklagen ab. Im Zuge der Interessenabwägung haben die Gerichte auch die Interessen der Vermieter gewichtet, die in den meisten Fällen keine staatlichen Hilfen erhalten haben. Vereinzelt (so das OLG Dresden, dessen Entscheidung zur Überprüfung durch den BGH gestellt wurde) wurde eine hälftige Risikoverteilung unabhängig von staatlichen Hilfen oder sonstigen Kompensationsmöglichkeiten des Mieters bejaht und damit eine Absenkung der Kaltmiete um 50 %.

Folglich ist festzuhalten, dass die Gerichte bislang nicht einheitlich beurteilt haben, ob und wann die Grenzen des grundsätzlich vom Mieter zu tragenden Verwendungsrisikos überschritten werden. Die insoweit erforderliche Interessenabwägung hat im Einzelfall zu äußerst unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Auch die Anforderungen an den Vortrag des eine Mietanpassung begehrenden Mieters wurden äußerst unterschiedlich beurteilt. Ebenso ist derzeit offen, in welchem Umfang Mietnachlässe ggfs. geboten sind. Entsprechend hoch waren die Erwartungen, die von der Mietrechtspraxis an die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 01.12.2021 gestellt wurden.

Konsequenzen der Leitlinien des BGH für laufende Verträge und offene Forderungen

Bei laufenden Verträgen wird nun im Einzelfall zu prüfen sein, ob die Parteien konkrete vertragliche Regelungen für den Fall von staatlich angeordneten Betriebsschließungen/Beschränkungen vorgesehen haben. Ist dies nicht der Fall, sind die vom BGH noch aufzustellenden Grundsätze auf laufende Verträge und offene Forderungen anzuwenden. Haben Mieter die Miete unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet oder bereits Mietkürzungen vorgenommen, werden Mieter nun im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage zunächst ihre wirtschaftliche Lage für die streitigen Zeiträume von Betriebsschließungen/Betriebsbeeinträchtigungen offen legen müssen. Nach transparenter Darlegung der wirtschaftlichen Situation kann anschließend entweder einvernehmlich oder streitig (vor Gericht) entschieden werden, ob und für welche Zeiträume und in welchem Umfang eine Mietanpassung berechtigt sein kann, also in welcher Höhe ein Mietnachlass dem Mieter zuzugestehen ist. Im Gegensatz zu Mietstundungen, die zurückzuzahlen sind, können Mietnachlässe endgültig beim Mieter verbleiben.

Empfehlungen für das weitere Vorgehen

Mieter werden sich also darauf einstellen müssen, ihre wirtschaftliche Situation zukünftig offen legen zu müssen, wenn diese Mietnachlässe mit Aussicht auf Erfolg durchsetzen möchten. Mieter sollten proaktiv auf ihre Vermieter zugehen und versuchen, für die Zeiträume streitiger Mietforderungen eine finale und verbindliche Lösung mit den Vermietern zu verhandeln. Dabei ist Mietern zu empfehlen, vorab selbst realistisch zu beurteilen, in welchem Maße Umsatzrückgänge ggfs. kompensiert werden können und mit keinen überzogenen Forderungen an die Vermieter heranzutreten. Auf diesem Weg ist die Chance für Mieter, eine einvernehmliche Lösung mit Vermietern erzielen zu können, wesentlich höher als bei zu hohen Mietanpassungsforderungen. Vermieter werden eher Verständnis für die Situation des Mieters zeigen, wenn die wirtschaftliche Situation transparent erläutert und belegt wird.

Sofern Mieter die Miete nicht unter dem Vorbehalt der Rückforderung gezahlt haben und für vergangene Zeiträume die Miete in voller Höhe gezahlt und auch kein Mietanpassungsverlangen gestellt haben, dürfte eine Mietanpassung für zurückliegende Zeiträume mit Aussicht auf Erfolg nicht mehr durchsetzbar sein. Solche Mieter können Mietanpassungen nur für zukünftige Zeiträume in Betracht ziehen (bei erneuten staatlichen Schließungsanordnungen bzw. erheblichen Betriebsbeschränkungen). Da ein Mietverhältnis meist langfristig angelegt ist, sollte zunächst der Verhandlungsweg beschritten werden, bevor ein solches Mietverhältnis mit einem Rechtsstreit belastet wird. Mietnachlässe werden auch leichter zu verhandeln sein, wenn diese im „Gesamtpaket“ verhandelt werden, also gegenüber dem Vermieter im Gegenzug Zugeständnisse an anderer Stelle angeboten werden (z.B. Anpassung der Vertragslaufzeit, etc.).

Vermieter (insbesondere solche, die bislang nur Stundungen der Miete angeboten haben) sollten sich Verhandlungen über Vertragsanpassungen/Mietnachlässe nicht mehr von vornherein versperren, sondern für die von staatlich angeordneten Betriebsschließungen/Betriebsbeschränkungen betroffenen Zeiträume Unterlagen über die wirtschaftliche Gesamtsituation beim Mieter anfordern. Dies setzt die Vermieter in die Lage, sich ein Bild darüber zu machen, welche Umsatzeinbußen tatsächlich beim Mieter eingetreten sind und welche Kompensationen erfolgt sind. Verschließt sich ein Mieter einer Offenlegung, ist Vorsicht in Richtung einer Vertragsanpassung geboten, weil dies eher dafür sprechen könnte, dass ein Mieter nach den vom BGH noch aufzustellenden Grundsätzen keinen Anspruch auf Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage haben könnte. In diesen Fällen könnten Verhandlungen eingestellt werden, sofern nicht der Mieter andere Kompensationen für einen Mietnachlass bietet, die für den Vermieter ggfs. derart interessant sein könnten, dass er ggfs. auch unabhängig von der Frage, ob der Mieter einen Mietanpassungsanspruch hat oder nicht, einen zeitlich begrenzten Mietnachlass gewähren kann. Hierbei ist auch zu beachten, dass ein gewerbliches Mietverhältnis meist auf längere Zeit angelegt ist und es keiner Partei nützt, die Vertragsbeziehung mit einem Rechtsstreit zu belasten. Versperrt sich ein Mieter aber der gebotenen und geforderten Transparenz, wird sich eine gerichtliche Klärung nicht vermeiden lassen. Die Gerichte werden dann die vom BGH aufzustellenden Grundsätze anwenden müssen.

 

Weitere Artikel zum Thema

Autorin

  • Mietrecht
  • Prozessführung und Schiedsverfahren
  • Immobilienrecht