Mit vermeintlicher B-Elf gegen Irland – Droht Italien ein Nachspiel?

24. Juni 2016
Philipp Rudnik LL.M.

Die Fußball-EM Endrunde ist derzeit in aller Munde. Der Kontinental-Wettkampf befindet sich derzeit in einer zweitägigen Pause, um ab dem Wochenende mit Beginn der K.O.-Runde endgültig die heiße Phase des Turniers einzuläuten. Nichts mehr mit dessen Ausgang hat das Team der Türkei zu tun. Den Kampf um einen Platz im Achtelfinale als einer der vier „besten Gruppendritten“ verloren die Türken u.a. gegen Irland. Die Iren konnten sich im letzten Spiel der Vorrunde mit 1-0 gegen die favorisierten Italiener durchsetzen.

Auffällig im Spiel Italien-Irland war jedoch, dass die Squaddra Azzura – für die das Spiel im Hinblick auf die Runde der letzten 16 bedeutungslos war – im Vergleich zum zweiten Gruppenspiel mit acht (!) Wechseln in der Startformation aufwartete. In der Nachberichterstattung der Sportpresse wurde beim Anblick der eingesetzten Spieler vielfach das Wort „B-Elf“ verwendet. Es ist natürlich hypothetisch, ob eine „A-Elf“ der Italiener den Iren wenigstens ein Unentschieden abgeknöpft hätte. Es dürfte allerdings verständlich sein, wenn sich das türkische Team von der italienischen Mannschaft aufgrund der Start-Aufstellung ungerecht behandelt fühlt. Im Recht wären sie hingegen nur, wenn die Italiener eine Wettbewerbsverzerrung durch Aufstellen einer B-Elf offen eingestehen.

Gem. Art. 5.01 des Reglements der UEFA-Fußball-Europameisterschaft 2014-2016 sind die Verbände verpflichtet „den Wettbewerb bis zu ihrem Ausscheiden zu bestreiten und während des gesamten Wettbewerbs stets in ihrer bestmöglichen Formation anzutreten.“

Die zitierte Pflicht ist für den laufenden Wettbewerb in das Reglement der UEFA neu aufgenommen worden und dürfte gerade dazu gedacht sein, Wettbewerbsverzerrungen durch absichtliche Schonung bestimmter Spieler zu vermeiden, etwa weil der Verband dem Spiel – wie etwa im Falle der vorzeitigen Qualifikation – keine Bedeutung mehr zumisst. Was im Ansatz der Regelung von der UEFA gut gemeint ist, stellt sich in der Praxis allerdings als problematisch heraus. Denn der Begriff „bestmögliche Formation“ ist unbestimmt und bedarf daher der Auslegung – und hier beginnen die Probleme.

Nach meiner Ansicht kann sich die „bestmögliche Formation“ rein begrifflich zunächst nur auf die Spieler beziehen, die zu Beginn des Spiels auf dem Platz stehen. Einer weiteren objektiven Auslegung ist der Begriff hingegen nicht zugänglich. Die Bestimmung der „bestmögliche Formation“ ist eine rein subjektive Prognoseentscheidung und daher dem Trainerteam zu überlassen. Aufgrund unterschiedlicher Gegner, Taktiken, Spielverläufe und nicht zuletzt der individuellen Tagesform gibt es schlichtweg keine objektiven Vergleichsmöglichkeiten, welche elf Spieler die beste Formation abgeben. Nicht einmal die elf besten Individualisten auf ihren Positionen – sofern man diese denn objektiv bestimmen kann/könnte – müssen zwangsläufig zusammen die beste Formation abgeben, da z.B. Abstimmungsverhalten auf dem Platz und charakterliche Eigenschaften ebenso eine Rolle für den Erfolg einer Mannschaft spielen. So wurde etwa die Nichtnominierung der Franzose Karim Benzema, trotz seiner unbestreitbar vorhandenen fußballerischen Qualitäten, nicht für die EM-Endrunde nominiert, u.a. um Querelen innerhalb der Mannschaft zu vermeiden.

Natürlich mutet es merkwürdig an, wenn eine Mannschaft wie Italien in einem für sie bedeutungslosen Spiel plötzlich auf den etatmäßigen Torwart und Kapitän Buffon oder den „Abwehrchef“ Chiellini und weitere zuvor wertvolle Spieler verzichtet. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass der Trainer diese Spieler im Rahmen seiner Prognoseentscheidung schlechter bewertet als Mitspieler. In umgekehrter Konsequenz würde dies sonst bedeuten, dass es keines Trainers mehr bedarf und die Aufstellung von der UEFA vorgegeben wird, was offensichtlich nicht richtig sein kann.

Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Regelung in Art. 5.01 im Kern zwar einen guten Ansatz enthält, ein Regelverstoß in der Praxis aber nicht feststellbar ist. Jedenfalls so lange nicht, wie Trainer oder Verband offen zugeben, dass sie absichtlich nicht die beste Mannschaft auf das Spielfeld geschickt haben. Und selbst in diesem Fall sieht Art. 66.01 des UEFA-Reglements lediglich vor, dass ein Verstoß gegen das vorliegende Reglement (und damit auch gegen Art. 5.01) von der UEFA in Übereinstimmung mit der UEFA-Rechtspflegeordnung geahndet werden kann – aber eben nicht muss. Da die Entscheidungshoheit von Disziplinarmaßnahmen bei der UEFA liegt, hätte der türkische Verband – selbst wenn die Italiener offen zugäben, nicht die beste Formation gegen die Iren aufgeboten zu haben – keinen Anspruch auf ein Weiterkommen, eine Entschädigung oder eine Wiederholung der Partie.

Anders wäre der Fall natürlich zu betrachten, wenn die Italien das Spiel absichtlich verloren hätte, wie seinerzeit etwa diverse asiatische Badminton-Spielerinnen bei den olympischen Spielen 2012, die Bälle vorsätzlich ins Aus spielten, um die Ballwechsel dadurch zu verkürzen. Hierfür gab es jedoch es keine Anzeichen, insbesondere fiel der Siegtreffer erst kurz vor Schluss.

Dass sich die türkische Mannschaft seinerzeit als einziger, weil bester Gruppendritter direkt für Endrundenturnier in Frankreich qualifiziert hat und somit zumindest einen Titel in der Kategorie der „besten Gruppendritten“ tragen darf, dürfte indes ein schwacher Trost für diese sein.