Möglichkeiten zur gezielten Förderung des stationären Fachhandels – Doppelpreissysteme!

Trotz boomender Corona-Jahre steht der stationäre Fachhandel weiterhin vor der Herausforderung, sich gegen Konkurrenz aus dem Netz durchsetzen zu müssen. Dabei handelt es sich nicht immer um einen klaren Antagonismus. Denn in der Regel verfügen Händler mittlerweile selbst über eigene Webshops oder – wohl häufiger – platzieren ihre Produkte (auch) auf einschlägigen Marktplätzen. 

Es bleibt aber das Problem, dass Kunden nicht selten den stationären Fachhandel als ersten Anlaufpunkt nutzen, um die Ware anzugucken, auszuprobieren und sich von Qualität und Funktionalität zu überzeugen, um schlussendlich doch – natürlich günstiger – im Netz zu bestellen. Der Kartellrechtler spricht von free riding – einem Phänomen, das sich nahezu durch die ganze Konsumgüterbranche zieht, von Modeartikeln bis zu Unterhaltungselektronik. Ferner können vereinzelte „Preisverrisse“ auf einschlägigen Verkaufsplattformen das Preisniveau einer ganzen Produktreihe nach unten ziehen, was ihre Vermarktung durch Händler insgesamt unattraktiv macht.

Früher: Begrenzte Möglichkeit zur preislichen Differenzierung online/offline

Auch wenn Hersteller diesem Phänomen in der Vergangenheit entgegenwirken wollten, waren ihre rechtlichen Steuerungsmöglichkeiten sehr begrenzt. Dies hatte im Kern drei Gründe:

  • Bekanntlich darf ein Hersteller nicht auf die Verkaufspreise der von ihm belieferten Händler einwirken (sog. Preisbindungsverbot). Es handelt sich um eine besonders schwer­wiegende Wett­bewerb­sbeschränkung. Verstöße werden mit hohen Bußgeldern geahndet.
  • Ferner durfte ein Lieferant bis vor Kurzem gegenüber demselben Händler auch nicht unterschiedliche Händlereinkaufspreise (HEK) abhängig davon verlangen, ob ein Produkt online geht oder stationär verkauft wird. Die Thematik betraf nur Hybridhändler. (Im Übrigen durfte und darf ein nicht-marktbeherrschender Hersteller seine Händler bezüglich des HEK selbst­verständlich ungleich be­handeln, bspw. abhängig von Ver­handlung­sgeschick, Einkaufsvolumen oder anderen Aspekten.) 
  • Im Übrigen durften Hersteller lediglich durch sog. Einmalzuschüsse (bspw. € 2.500 als WKZ oder pro Regalmeter) die gesteigerten Verkaufsbemühungen der stationären Händler belohnen. Diese Einmalzuschüsse durften wiederum nicht an die prozentuale Verteilung zwischen stationär und online verkaufter Ware anknüpfen.

Das Bundeskartellamt hat in der Vergangenheit gegen diverse Hersteller, die sog. Doppelpreissysteme praktizierten, Verfahren geführt, darunter gegen so prominente Unternehmen wie Gardena (B5-144/13), Bosch Siemens Hausgeräte (B7-11/13), Dornbracht (B5-100/10) und Lego. Von einem Doppel­preissystem spricht man, wenn einem Händler unterschiedliche Einkaufspreise bzw. unter­schiedliche Rabatte gewährt werden, je nachdem, ob er sein Produkt online oder über den stationären Handel verkauft. Durch geringere Rabatte und damit höhere Einkaufspreise wird der Absatz über das Internet schlechter gestellt. Die Händler haben dadurch weniger Anreiz, mehr und andere Kunden über das Internet zu erreichen. Die Europäische Kommission ordnete Doppelpreissysteme ebenfalls als regelmäßig kartellrechtswidrig ein.

Heute: Preisliche Differenzierung online/offline ist zulässig

Bekanntlich ist im Juni vergangenen Jahres ein neues EU-Vertriebskartellrecht in Kraft getreten. In den ergänzenden Vertikal-Leitlinien spricht sich die Europäische Kommission nun erstmalig klar für die Zulässigkeit von Doppel­preissystemen aus.

Ein Doppelpreissystem soll nach der Kommission allerdings unzulässig sein, wenn der Preis­unterschied den Zweck hat, „die wirksame Nutzung des Internets durch den Abnehmer für den Verkauf der Vertragswaren an Kunden in bestimmten Gebieten oder an bestimmte Kunden zu verhindern.“ Das soll etwa der Fall sein, wenn der Unterschied im Großhandelspreis den Online-Verkauf unrentabel oder finanziell nicht tragbar werden lässt.

Umgekehrt ist erforderlich, dass der Hersteller mit dem Doppelpreissystem das Ziel verfolgt, angemessene Investitionen des Abnehmers zu belohnen. Die konkret gewählte Preis­differenzierung (online versus offline) sollte demnach die Unter­schie­de in den anfallenden Kosten reflektieren, die sich für den Händler je nach Vertriebskanal erge­ben. Die Nachweis­anforderungen sollten hierbei nicht überspannt werden. Es sollte aber deutlich werden, dass sich der Hersteller mit den unterschiedlichen Kostenstrukturen der beiden Vertriebskanäle auseinandergesetzt und diese nachvollziehbar betrachtet und gewichtet hat.

Praktische Umsetzung

Hersteller, die sich – bspw. auf Anregung ihrer Händler – für die Einführung eines Doppel­preissystems entscheiden, sollten folgende Punkte im Blick haben:

  • Ein Doppelpreissystem erfordert letztlich die Führung zweiter HEK-Listen oder Rabattlisten pro Artikel. Sofern der Hersteller mit seinen Händlern ohnehin schon stark variierende HEKs bzw. Rabatte vereinbart hat (was in der Regel zulässig ist), kann dies die Komplexität bei der Abrechnung deutlich zu Lasten beider Parteien erhöhen. Ggf. kann die Einführung eines Doppelpreissystems aber für den Hersteller auch Anlass sein, mehr Struktur und Einheitlichkeit in die HEK-Gestaltung zu bringen.
  • Die Preisspreizung zwischen der HEK-Preisliste „online“ und der HEK-Preisliste „offline“ sollte nachvollziehbar berechnet werden und nicht darauf abzielen, den Onlinehandel gänzlich unattraktiv oder gar unmöglich zu machen.      
  • Da ggf. bei Anschaffung der betreffenden Waren noch nicht von vorne herein feststeht, wie viel Ware einer bestimmten Artikel-Nummer online oder offline verkauft wird, ist auch eine nachträgliche Ausgleichsrechnung zwischen Herstel­lern und Händlern möglich. Dazu muss der Händler freilich offenlegen, welche Mengen in welchen Kanal geflossen sind.      
  • Es ist weiterhin streng darauf zu achten, dass der Hersteller auf die Verkaufspreise keinen Einfluss nehmen darf.

Interessante News zum Kartellrecht finden Sie auch hier (Link: www.kartellrecht-im-ruhrgebiet.de).