Nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber kommt es regelmäßig zu Kündigungsschutzverfahren, deren Abschluss erst weit nach dem (vermeintlichen) Ende des Arbeitsverhältnisses liegt. Bei einer Niederlage im Prozess droht ein hoher Annahmeverzugslohnanspruch des Arbeitnehmers. Um einen solchen Anspruch möglichst gering zu halten, ist es für den Arbeitgeber ratsam, den Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses über aktuelle Stellenangebote zu informieren. Unterlässt es der Arbeitnehmer, sich auf diese Stellen zu bewerben, muss er sich gemäß § 615 S. 2 BGB (bzw. § 11 Nr. 2 KSchG) den dadurch böswillig unterlassenen Verdienst auf den etwaigen Annahmeverzugslohn anrechnen lassen. Gilt dies aber auch dann, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende der Kündigungsfrist freigestellt wurde und er es während des noch laufenden Arbeitsverhältnisses unterlässt, sich um eine Beschäftigung zu bemühen?
Nein, bestätigte das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 12.02.2025 (5 AZR 127/24). Während des noch laufenden Arbeitsverhältnisses müsse sich der Arbeitnehmer nicht um eine alternative Tätigkeit bemühen. Das Arbeitsverhältnis ist noch nicht beendet. Wenn ein Arbeitgeber freiwillig auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verzichtet, indem er diesen freistellt, kann er nicht erwarten, dass sich dieser um eine alternative Beschäftigung für die Zeit der Freistellung kümmert.
1. Sachverhalt
Der Kläger war seit November 2019 bei der Beklagten als Senior Consultant beschäftigt. Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.03.2023 ordentlich zum 30.06.2023 gekündigt hatte, stellte sie den Kläger unter Einbringung von Resturlaub unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung frei. Nach dem Zugang der Kündigung meldete sich der Kläger im März 2023 arbeitssuchend und erhielt von der Agentur für Arbeit erstmals Anfang Juli Vermittlungsvorschläge. Die Beklagte legte ihm hingegen schon in den Monaten Mai und Juni eine Vielzahl an Stellenangeboten vor. Nachdem der Kläger diese zunächst ignorierte und sich erst kurz vor Ablauf der Kündigungsfrist auf 7 der insgesamt 43 vorgelegten Angebote bewarb, zahlte die Beklagte die Vergütung für Juni 2023 nicht an den Kläger aus. Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, der Kläger sei verpflichtet gewesen, sich während der Freistellung zeitnah auf die ihm überlassenen Stellenangebote zu bewerben. Da er dies unterlassen habe, müsse er sich für Juni 2023 nach § 615 S. 2 BGB böswillig unterlassenen fiktiven anderweitigen Verdienst in Höhe seines bisherigen Gehaltes anrechnen lassen. Die zurückbehaltene Vergütung machte der Kläger sodann gerichtlich geltend. Das Arbeitsgericht hatte die Klage noch abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb nunmehr ohne Erfolg.
2. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Der Kläger hat einen Anspruch auf die vollständige Vergütung für den Monat Juni 2023. Das Bundesarbeitsgericht verwies insbesondere darauf, dass die Beklagte den Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist hätte weiterbeschäftigen können. Da die Beklagte ihn jedoch freigestellt und so auf die Arbeitsleistung verzichtet hat, befand sie sich im Annahmeverzug und schuldete dem Kläger nach § 615 Satz 1 BGB i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB die vereinbarte Vergütung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist. Eine Abweichung von diesem Grundsatz könne allenfalls dann gelten, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass ihm die Erfüllung des auch während der Kündigungsfrist grundsätzlich fortbestehenden Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers unzumutbar gewesen ist. Da der Beklagten ein solcher Nachweis nicht gelang, bestand nach Auffassung des Gerichts keine weitergehende Verpflichtung, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung des Arbeitgebers ein neues Beschäftigungsverhältnis einzugehen.
Bleibt ein Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist untätig, reicht dies allein nicht aus, um ihm ein böswilliges Unterlassen vorzuwerfen. Die Obliegenheit des Arbeitnehmers nach § 615 S. 2 BGB kann nicht losgelöst von den (Beschäftigungs-)Pflichten des Arbeitgebers betrachtet werden. Nur wenn eindeutig nachgewiesen werden kann, dass der Arbeitnehmer unredlich untätig blieb und eine weitere Beschäftigung dem Arbeitgeber völlig unzumutbar ist, kann eine Anrechnung fiktiver entgangener Einnahmen erfolgen.
3. Konsequenzen für die Praxis
Damit ist die Frage höchstrichterlich geklärt, ob Arbeitnehmer auch während der Freistellung während der noch laufenden Kündigungsfrist verpflichtet sind, sich um anderweitigen Verdienst zu bemühen. Die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung wird sich selten begründen lassen, da in diesen Fällen meistens auch die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen wird. Dennoch kann es Sinn machen, dem Arbeitnehmer nach einer ordentlichen Kündigung und anschließender Freistellung bereits Stellenausschreibungen zukommen zu lassen. Selbst wenn er während der laufenden Kündigungsfrist nicht auf diese Angebote reagieren muss, trifft den Arbeitnehmer diese Obliegenheit jedoch unmittelbar nach dem Ablauf der Kündigungsfrist. Wenn ein Arbeitgeber bereits vor dem Ablauf der Kündigungsfrist Stellenangebote übermittelt hat, wird der Arbeitnehmer erklären müssen, warum er sich nicht um eine unmittelbare Anschlussbeschäftigung bemüht hat.
Die Entscheidung des BAG ist jedoch nur ein Beispiel dafür, wie sich während des „Absitzens“ der Kündigungsfrist Konflikte zuspitzen können. Da in dieser Phase die gegenseitigen, arbeitsvertraglichen Pflichten trotz erklärter Kündigung fortbestehen, ist es für Arbeitgeber und Arbeitnehmer wichtig, die eigenen Rechte zu kennen und das bevorstehende Ende des Arbeitsverhältnisses optimal vorzubereiten.