Nach der Novelle ist vor der Novelle

Getreu Sepp Herbergers legendärer Fußball-Weisheit "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel" hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) bereits kurz nach Inkrafttreten der 9. Novelle mit ersten Überlegungen für eine 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) begonnen. Schwerpunkt dieser Überlegungen sind wettbewerbspolitische Fragestellungen, die sich durch die fortschreitende Entwicklung der Datenökonomie, der Verbreitung von Plattformmärkten und durch die "Industrie 4.0" ergeben.

9. GWB-Novelle adressiert bereits teilweise das Thema Digitalwirtschaft

Die am 09.06.2017 in Kraft getretene 9. GWB-Novelle hat bereits mehrere sich durch die Digitalwirtschaft ergebene Fragestellungen adressiert. Zu nennen ist insbesondere die der Erfassung mehrseitiger Märkte dienende Regelung des § 18 Abs. 2 a GWB, die klarstellt, dass auch im Falle einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung ein Markt vorliegen kann. Für die Fusionskontrolle ist in § 35 Abs. 1 a GWB eine kaufpreisabhängige Aufgreifschwelle für Zusammenschlüsse eingefügt worden, die bisher wegen Nichterreichen der Inlandsumsatzschwellen nicht unter die deutsche Fusionskontrolle fielen. Wichtig ist schließlich die Regelung in § 18 Abs. 3 a GWB, die Kriterien für die Bestimmung der Marktmacht von Plattformen und Netzwerken präzisiert.

Studie zur Modernisierung der Missbrauchsaufsicht

Schwerpunktthema für die 10. GWB-Novelle soll insbesondere die Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen sein, damit diese Regelungen zukünftig noch besser als bisher missbräuchliche Verhaltensweisen in der Digitalwirtschaft erfassen. Hierzu hatte das BMWi eine Studie über die "Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen" in Auftrag gegeben, die am 04. September 2018 dem BMWi übergeben wurde (Pressemitteilung des BMWi vom 04.09.2018). Fragestellung war, inwieweit das Kartellrecht aktuell in der Lage ist, wirksam und rechtzeitig den Wettbewerb gegen neuartige Gefährdungen der digitalen Wirtschaft zu schützen. Diese Frage stellt sich vor allem wegen der zunehmenden Bedeutung von digitalen Plattformmodellen und Daten als kritische Ressource in Produktions- und Distributionsprozessen.

Die Studie bestätigt, dass das bestehende Verbot des Missbrauchs marktbeherrschende Stellungen im deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht auch in Zeiten der Digitalisierung grundsätzlich gut geeignet ist, Wettbewerbsgefährdungen zu erfassen. Allerdings gebe es Fälle, in denen die kartellrechtliche Interventionsschwelle abgesenkt werden sollte.

Insbesondere rät die Studie zu Änderungen des deutschen Missbrauchsrecht, vor allem mit dem Ziel, nicht dem Leistungswettbewerb entsprechende Verhaltensweisen von digitalen Unternehmen auf dem Weg in eine marktbeherrschende Stellung bereits vor Erlangen derselben kartellrechtlich kontrollieren zu können. So können Märkte mit starken positiven Netzwerkeffekten zu einem "Tipping", nämlich zu einem Umkippen ins Monopol neigen. Ein solches Umkippen ist allerdings häufig nicht "naturgegeben" sondern kann durch bestimmte Praktiken einzelner Akteure begünstig oder sogar induziert werden. Zu diesen Praktiken zählen auch unilaterale Verhaltensweisen wie ein gezieltes Behindern von Multihoming.

Gegenwärtig lässt sich ein solches Verhalten kartellrechtlich erst dann erfassen, wenn der jeweilige Akteur über kartellrechtlich relevante Marktmacht verfügt, d.h. über eine marktbeherrschende Stellung (Art. 102 AEUV bzw. §§ 18, 19 GWB) oder über relative bzw. überlegende Marktmacht (§ 20 GWB). Da sich das "Tipping" ins Monopol kaum noch rückgängig machen lässt, empfiehlt die Studie ein kartellbehördliches bzw. -gerichtliches Einschreiten bereits unter dieser Marktmachtschwelle.

Kommission Wettbewerbsrecht 4.0

Das BMWi will die Ergebnisse und Empfehlungen dieser Studie nun genau prüfen. Deren Erkenntnisse sollen in die Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 einfließen, die das BMWi nunmehr eingesetzt und am 20.09.2018 gestartet hat (Pressemitteilung des BMWi vom 20.09.2018).

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Strukturreformen anzustoßen, die Europas Stellung und Wettbewerbsfähigkeit gerade im Bereich digitaler Märkte auf internationaler Ebene sichern. Hierzu bedarf es insbesondere einer Modernisierung des Wettbewerbsrechts auf europäischer und nationaler Ebene und einer Harmonisierung und Zusammenführung der rechtlichen Grundlagen im Digitalbereich, d.h. insbesondere in den Bereichen Kartellrecht, Wettbewerbsrecht und Datenschutzrecht. Die "Kommission Wettbewerbsrecht 4.0" dient als rechtspolitische Plattform für eine Debatte zur Weiterentwicklung insbesondere auch des europäischen Wettbewerbsrechts.

Bis Herbst 2019 soll die Kommission insbesondere konkrete Handlungsempfehlungen zum europäischen Wettbewerbsrecht erarbeiten und in einem schriftlichen Bericht dem BMWi vorlegen.

Gesetzliche Umsetzung nicht vor 2020

Bevor die Erkenntnisse der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 vom BMWi ausgewertet worden sind und in einen konkreten Gesetzgebungsprozess einmünden, werden sicherlich noch zwei Jahre vergehen. Wie beim Fußball gilt es in der Vorbereitung überlegt zu handeln und alle maßgeblichen Akteure einzubeziehen, um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der gesteckten Ziele zu schaffen.

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