Nachhaltige Unternehmensführung: EU-Initiative gewinnt an Fahrt

1. Worum geht es?

Bereits vor einiger Zeit haben wir an dieser Stelle darüber berichtet, dass die EU-Kommission sich im Rahmen ihres „Green Deal“ mit dem Thema nachhaltige Unternehmensführung befasst und dazu im Jahr 2020 eine Studie auf ihrer Internetseite veröffentlicht hat.

Aus der Sicht der Studie beeinflussen die kurzfristigen (finanziellen) Interessen der Gesellschafter zu sehr das Handeln von Unternehmen. Die langfristigen Perspektiven der Unternehmen sowie die Interessen weiterer Stakeholder (zum Beispiel Arbeitnehmer, Kommunen etc.) finden danach bei der Leitung von Unternehmen keine ausreichende Berücksichtigung. Insbesondere die Aspekte Menschenrechte, Klima- und Umweltschutz sowie die Interessen von lokalen Gemeinschaften kämen zu kurz.  

Wie bereits berichtet, hat die Europäische Kommission bis einschließlich zum 8. Februar 2021 eine Befragung der Öffentlichkeit zu verschiedenen Aspekten der Studie bzw. einer möglichen Gesetzgebungsinitiative durchgeführt.

2. Wesentliche Ergebnisse der Öffentlichkeitsbefragung

Inzwischen hat die Europäische Kommission eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Öffentlichkeitsbefragung auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Bei der Europäischen Kommission sind danach fast eine halbe Million Antworten eingegangen, von denen der bei weitem größte Teil aus Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen stammte (z.B. Friends of the Earth Europe). Diese Rückmeldungen wurden in der auf der Internetseite der Europäischen Kommission veröffentlichten Zusammenfassung nicht berücksichtigt, sondern gesondert analysiert.

Von den sonstigen Antworten (insgesamt 855), die in der jetzt veröffentlichten Auswertung berücksichtigt wurden, stammten 22,8 % von Nichtregierungsorganisationen, 22,3 % von Unternehmen, 20,2 % von Unternehmensverbänden und der Rest von Gewerkschaften, Behörden, wissenschaftlichen Einrichtungen, Einzelpersonen, Verbraucher- und Umweltschutzverbänden oder sonstigen Teilnehmern. Die meisten Antworten erhielt die Europäische Kommission aus Deutschland, gefolgt von Belgien und Frankreich.

Die erhaltenen Antworten interpretiert die Europäische Kommission wie folgt:

  • Eine Mehrheit (78,2 %) der Teilnehmer befürworte eine Berücksichtigung der Interessen von Stakeholdern im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen. Diese Ansicht wurde deutlich öfter durch Nichtregierungsorganisationen vertreten als durch Unternehmen und Unternehmensverbände.
  • Eine "überwältigende" (overwhelming) Mehrheit (81,8 %) der Teilnehmer befürworte eine Gesetzgebungsinitiative der EU, durch die ein rechtlicher Rahmen geschaffen wird hinsichtlich der durch Unternehmen zu beachtenden Sorgfaltspflichten bezüglich Fragen der Nachhaltigkeit bzw. der Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen. Auch hier fanden sich die Befürworter zum größten Teil bei den Nichtregierungsorganisationen, weniger bei den Unternehmen und Unternehmensverbänden.
  • Unterstützung findet nach Ansicht der Europäischen Kommission auch der Vorschlag, Geschäftsleiter gesetzlich zu verpflichten, (i) Stakeholder-Interessen zu benennen, (ii) Verfahren umzusetzen, mit denen Stakeholder-Interessen bei unternehmerischen Entscheidungen berücksichtigt werden, (iii) bei unternehmerischen Entscheidungen die Interessen verschiedener Stakeholder abzuwägen und in Einklang zu bringen, (iv) sie in die Unternehmensstrategie einfließen zu lassen und (v) diese Pflichten mittels einer potentiellen Haftung von Geschäftsleitern durchzusetzen. Auch hier speiste sich die von der Europäischen Kommission angenommene Mehrheit aus den Antworten der Nichtregierungsorganisationen. Die teilnehmenden Unternehmen und Unternehmensverbände äußerten teils deutliche Ablehnung.

3. Nächste Schritte der Europäischen Kommission

Die Europäische Kommission kündigt in der Zusammenfassung an, als nächstes die Vor- und Nachteile bewerten zu wollen, die eine Gesetzgebungsinitiative auf der EU-Ebene voraussichtlich haben würde. Diese Folgenabschätzung soll vor allem die Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Umwelt und die Gesellschaft berücksichtigen.

Weil die Europäische Kommission die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbefragung so interpretiert, dass die Mehrheit der Teilnehmer ein Tätigwerden der EU befürwortet, wird die Folgenabschätzung wahrscheinlich zu dem Ergebnis gelangen, dass sich eine Gesetzgebungsinitiative empfiehlt. Deshalb ist in absehbarer Zeit mit einem Gesetzgebungsvorschlag der EU-Kommission zu rechnen. 

Da sich Unternehmen und Unternehmensverbände im Rahmen der Öffentlichkeitsbefragung zu verschiedenen Aspekten der Studie bzw. einer möglichen Gesetzgebungsinitiative kritisch geäußert haben, kommt es für Unternehmen und Unternehmensverbände jetzt darauf an, das weitere Gesetzgebungsverfahren genau zu verfolgen. An möglicherweise problematischen Bestandteilen eines Gesetzgebungsvorschlags sollten sie über alle verfügbaren Kanäle rechtzeitig konkrete Kritik äußern, um mit den eigenen Interessen angemessen gehört zu werden.

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  • Gesellschaftsrecht
  • M&A
  • Prozessführung und Schiedsverfahren