Neue Munition gegen unfaire Geschäftspraktiken wichtiger Player

Auch Großunternehmen können sich wehren! 

Mit der kürzlich in Kraft getretenen 10. GWB-Novelle soll bekanntlich ein fokus­siertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 geschaffen werden. Wir haben dazu bereits verschiedentlich berichtet (siehe etwa unsere jüngsten Blogbeiträge vom 11.02.2021, vom 05.02.2021 oder vom 20.01.2021).

Ein Element der Reform ist die Anpassung der Vorschrift zur sog. relativen Markt­macht, § 20 Abs. 1, Abs. 2 GWB. Der Anwendungsbereich ist erheblich erweitert worden und könnte künftig vielen, auch großen Unternehmen helfen, sich gegen problematische Praktiken vor allem der großen Digitalkonzerne und Plattformen durchzusetzen. Die Vorschrift ist jedoch keineswegs auf den Digitalbereich begrenzt.

Hintergrund

Die deutsche Missbrauchsaufsicht gilt bekanntlich nicht nur ggü. Unternehmen, die absolut marktbeherrschend sind, bspw. mit einem Marktanteil von 40 % oder mehr. Sie gilt vielmehr – mit bestimmten Einschränkungen – auch, wenn ein Unternehmen von einem anderen „nur“ abhängig ist. Man spricht von „relativer“ Marktmacht. In diesem Fall erreicht das „stärkere“ Unternehmen die Grenze zur absoluten Markt­beherrschung gerade nicht.

Bislang konnten sich jedoch nur kleine und mittlere Unternehmen (sog. KMU) auf die Vorschrift (§ 20 Abs. 1 GWB) zur relativen Marktmacht berufen, nicht aber Groß­unter­nehmen. Dahinter stand der Gedanke, dass sich Großunternehmen, also Unterneh­men mit einem jährlichen Gesamtumsatz von mehr als ca. 500 Mio. EUR, eher gegen das Geschäftsgebaren anderer Unternehmen wehren können. Deshalb fehlte es hier scheinbar an der Schutzbedürftigkeit.

Gerade im Digitalbereich können aber selbst Großunternehmen einem erheblichen Machtungleichgewicht ausgesetzt sein.

Beispiel: Ein weltbekanntes Modeunternehmen vertreibt seine Waren u.a. über eine der wenigen bekannten Mode-Onlineplattformen in Deutschland. Je nach Markt­de­fi­nition wird die betreffende Plattform die Grenze zur absoluten Marktbe­herrschung (also über 40 % Marktanteil) nicht erreichen. Dennoch kann das betreffende Unter­neh­men trotz seiner Größe und seiner Bekanntheit von einer solchen Vermittlungs­plattform als zentralem Online-Vertriebskanal abhängig sein. Dies gilt freilich erst recht für kleinere Mode-Label.

Dem trägt die Ge­setzes­änderung dadurch Rechnung, dass sie nun auch Groß­unternehmen in den Schutz­bereich der betreffenden Vorschrift einbezieht und diesen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnet, sich gegen behindernde Geschäftspraktiken zur Wehr zu setzen.

Voraussetzungen für relative Marktmacht

Voraussetzung für das Vorliegen relativer Marktmacht ist aber, dass (i) von dem betreffenden Unternehmen andere als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf dritte Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen und (ii) ein deutliches Ungleichgewicht zur Gegenmacht der anderen Unternehmen gegeben ist (relative Marktmacht).

Gibt es im obigen Beispiel also kaum weitere nennenswerte andere Plattformen in dem betreffenden Segment, auf die die Modeunternehmen ausweichen können und ist die Plattform nicht ihrerseits von den Modeunternehmen abhängig (bspw. weil sie auch noch in anderen Bereichen stark ist), spricht viel für das Bestehen relativer Marktmacht. Entscheidend ist, dass eine deutliche Asymmetrie der wechselseitigen Abhängigkeiten besteht. Mit der Ergänzung werden diese Gedanken aus der Rechtsprechung des BGH in eine gesetzliche Regelung überführt.

Gegen welche missbräuchlichen Praktiken kann vorgegangen werden?

Als missbräuchliche Praktiken kaum bspw. die folgenden, nicht abschließend gemeinten, Verhaltensweisen in Betracht:

  • Der Partner verweigert den Zugang zu für Ihren Geschäftsbetrieb erforderlichen Daten oder erschwert den Zugang.
  • Er bietet Produkte unnötigerweise nur in einem für Ihr Unternehmen unbrauchbarem Bündel an.
  • Er verwendet Geschäftspraktiken, die Sie in sonstiger Weise als behindernd oder unfair empfinden.

Worin liegen die möglichen Vorteile für Unternehmen?

Man könnte einwenden, dass die gewerbetreibenden Unternehmen bereits jetzt im Digitalbereich durch verschiedene Vorschriften geschützt werden.

  • So verlangt die Mitte Juli 2020 in Kraft getretene sog. P2B-Verordnung von allen Anbietern von Vermittlungsplattformen schon jetzt u.a., dass deren AGB bestimmten Mindest­anforderungen genügen. Auf die Größe oder Marktre­levanz der Vermit­tlungs­plattform kommt es dabei nicht an. Allerdings zielt die P2B-Verordnung in erster Linie auf die Schaffung von Transparenzpflichten, etwa bezüglich der Gestaltung der AGB, bezüglich der für das Ran­king verwendeten Kriterien oder bezüglich der Datenver­wendung. Posi­tive Handlungsverpflichtungen, bspw. zur Gleichbe­handlung der Kunden oder dazu mit auf der Plattform gewonnenen Daten in bestimmter Weise zu verfahren, werden nicht installiert.
  • Die im Januar 2021 angepassten bzw. eingeführten Regeln zur Missbrauchs­aufsicht, ins­be­son­dere der neue § 19a GWB, erlaubt dem BKartA schließlich ein Vor­gehen gegen absolut marktbeherrschende Unternehmen bzw. gegen Unterneh­men mit überragender marktübergreifender Bedeutung (siehe dazu schon unseren Blogbeitrag vom 28.01.2021).

Die hier betrachtete Gesetzesänderung zielt aber auf einen in der Praxis durchaus häufigen „Zwischenbereich“, nämlich auf solche Situationen, in denen größere Unter­nehmen einem für sie wichtigen Player (insbesondere aus dem Digital- oder Platt­formbereich) gegen­überstehen, der nur möglicherweise marktbeherrschend ist oder bei dem dies schlicht unklar ist (was in Anbetracht der Schwierigkeiten rund um geeignete Marktdefinitionen und der Ermittlung zutreffender Marktanteile nicht selten der Fall ist). Gleichzeitig besteht aufgrund der Art des Geschäftsmodells eine besondere Abhängigkeit von der anderen Partei, welcher nicht durch einen schlichten Wechsel des Vertragspartners begeg­net werden kann.

In eben dieser Hinsicht können Großunternehmen ebenso schutz­be­dürftig sein wie kleinere Unternehmen. Infolge der Öffnung des Schutzbereichs von § 20 GWB n.F. für Großunternehmen dürfte die Vorschrift einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren. Denn vor allem Großunternehmen dürften die finanziellen und personellen Res­sourcen sowie das Selbstbewusstsein für eine ggf. längere Auseinandersetzung mit einem für sie zentralen Vertrags­partner haben. Bei KMU wird dies nicht immer der Fall sein.

 

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