Neue Privilegierungen für Kronzeugen im Rahmen der Kartellverfolgung

Eines der wichtigsten Ermittlungswerkzeuge der Kartellbehörden sind die Aussagen von Kartellteilnehmern, die sog. Kronzeugenerklärungen. Ohne besondere Vergünstigungen gehen solche Kronzeugen jedoch grundsätzlich das Risiko ein, sich durch ihre Aussage überhaupt erst der öffentlichen und privaten Verfolgung auszusetzen.

BEREITS ERFOLGENDER BUSSGELDERLASS
Schon länger gewähren EU-Kommission und Bundeskartellamt daher dem ersten Kronzeugen Bußgeldnachlässe von bis zu 100 %. Weitere Kronzeugen erhalten absteigend geringere Nachlässe. Hierdurch wird vielfach ein „rush-to-the-door“-Effekt erzielt, durch den jeder der Kartellanten versucht, möglichst der erste zu sein, der vor den Behörden aussagt.

Durch jüngere Entwicklungen, insbesondere durch die häufigere Geltendmachung von Kartellschadensersatzansprüchen, gerät die Attraktivität der Kronzeugenprogramme der Kartellbehörden jedoch in Gefahr. Trotz eines 100%en Bußgelderlasses können Kartellanten vor einer möglichen Kronzeugenerklärung zurückschrecken, wenn ihnen Schadensersatzforderungen drohen. Zum einen besteht das Risiko hoher Schadensersatzansprüche, zum anderen versetzt sich der Kronzeuge gegenüber den Anspruchsinhabern in eine exponierte Lage, da ihm gegenüber die Entscheidungen der Kartellbehörden und Gerichte über das Vorliegen eines Kartellverstoßes meist als erste rechtskräftig sind und diese Entscheidungen nach § 33 Abs. 4 GWB Bindungswirkung im Zivilprozess haben.

NEUE PRIVILEGIERUNG IM BEREICH DES SCHADENSERSATZES
Dies sah auch der europäische Gesetzgeber so und nahm in Art. 11 Abs. 4 und 5 der Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU), mit der grundsätzlich die Geltendmachung von Kartellschadensersatzansprüchen erleichtert werden soll, einige für Kronzeugen günstige Regelungen auf. Die Vorgaben dieser Richtlinie sollen im Rahmen der 9. GWB-Novelle in Deutschland umgesetzt werden.

Erstens soll künftig nach § 33e Abs. 1 GWB-E die Haftung im Außenverhältnis gegenüber unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern und Lieferanten anderer Kartellanten sowie unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern und Lieferanten von Kartellaußenseitern ausgeschlossen werden. Hierdurch reduziert sich die Zahl der Anspruchsteller wegen Schadensersatzes grundsätzlich auf die eigenen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer und Lieferanten. Eine Ausnahme besteht nur, wenn die übrigen Geschädigten von den übrigen Kartellanten keinen vollständigen Ersatz erlangen können. In diesem Fall entfällt die Privilegierung, sodass der Kronzeuge, nicht aber die Geschädigten, das Insolvenzrisiko der anderen Kartellanten trägt. Eine Rückausnahme besteht nach § 33e Abs. 2 GWB-E wiederum dann, wenn der Anspruch gegen die anderen Kartellanten bereits verjährt ist. In diesem Fall kann auch der Kronzeuge nicht mehr in Anspruch genommen werden.

Zweitens wird nach § 33e Abs. 3 GWB zusätzlich aber auch die Ausgleichspflicht im Innenverhältnis gegenüber den anderen Kartellanten reduziert, wodurch die Haftungssumme im Zusammenspiel mit der Privilegierung im Außenverhältnis im Ergebnis auch der Höhe nach verringert wird. Es besteht keine Ausgleichspflicht, soweit die anderen Kartellanten gegenüber ihren eigenen Abnehmern und Lieferanten zum Schadensersatz verpflichtet sind. Allerdings besteht eine Ausgleichspflicht gegenüber den Mitkartellanten, soweit diese von unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern und Lieferanten von Kartellaußenseitern, die durch sog. Preisschirmeffekte ebenfalls Schäden erleiden können, in Anspruch genommen worden sind. Die Haftung des Kronzeugen geht somit im Innenverhältnis weiter als im Außenverhältnis, in dessen Rahmen die Kronzeugen wegen derartiger Schäden nicht haften.

Anders als im Bereich des Kartellordnungswidrigkeitenrechts genießt nur der erste Antragsteller eines Kronzeugenantrags die Vorteile dieser Regelungen, während bereits der zweite im Außen- wie im Innenverhältnis in voller Höhe haftet.

NEUE MÖGLICHKEITEN
Der erste Kronzeuge haftet unmittelbar im Außenverhältnis meist nur gegenüber den eigenen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern und Lieferanten. Im Innenverhältnis tritt eine Haftung wegen der Schäden von unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern und Lieferanten von Kartellaußenseitern hinzu. Das Risiko einer Inanspruchnahme besteht somit zwar weiterhin, die GWB-Novelle bringt jedoch bedeutende Verbesserungen mit sich. Insbesondere erlauben die Privilegierungen eine bessere Risikoabschätzung, da der Kreis der Anspruchsinhaber kleiner ist und dem Kronzeugen die eigenen  Abnehmer und Lieferanten bekannt sind.

GESETZENTWURF ZUM DOWNLOAD
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Neunten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen kann hier abgerufen werden, die Richtlinie 2014/104/EU hier.

Weitere Artikel zum Thema