Neues vom „Chefarztfall“

Das Bundesarbeitsgericht hat am 20.02.2019 ein zweites Mal entschieden: Die Wiederheirat eines Chefarztes ist kein Kündigungsgrund, auch nicht unter Berücksichtigung des katholischen Kirchenrechts (BAG, Urteil vom 22.10.2019 - 2 AZR 746/14).

Überblick über das Verfahren

Bereits am 08.09.2011 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Kündigung eines Chefarztes aufgrund der Wiederheirat wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz unwirksam sei. Das Krankenhaus, welches von der katholischen Kirche getragen wird, sah dies dennoch anders und rief das Bundesverfassungsgericht an. Mit Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidung auf und verwies die Sache erneut an das Bundesarbeitsgericht (BVerfG, Beschluss vom 22.10.2014 - 2 BvR 661/12). Das Bundesarbeitsgericht rief daraufhin den Europäischen Gerichtshof an.

Der EuGH hat daraufhin am 11.09.2018 entschieden, dass die Kündigung eines Chefarztes durch einen kirchlichen Arbeitgeber wegen einer Wiederheirat eine verbotene Diskriminierung nach dem AGG darstellen kann (C-68/17). Dies gelte selbst unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nach Art. 140 GG.

Unionsrechtliche Vorgaben

Nach Art. 5 Abs. 2 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.1993 (GrO 1993) kann die Wiederheirat eines katholischen Arbeitnehmers einen schweren Loyalitätsverstoß darstellen, der zur Kündigung berechtigt. Weitere Voraussetzung ist nach dem EuGH jedoch, dass der betroffene Arbeitnehmer eine sog. "verkündungsnahe Tätigkeit" ausübt, die das Ethos der Kirche betrifft. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, entscheiden hingegen die nationalen Gerichte. Derartige kirchenrechtliche Regelungen sind daher gerichtlich überprüfbar. Dies hatte der EuGH bereits im Fall Egenberger (C-414/16) entschieden, über den wir hier berichtet haben.

Die (erneute) Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr klargestellt, dass die Vereinbarung im Dienstvertrag, die auf die GrO 1993 Bezug nimmt, gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist, soweit dadurch das Leben in kirchlich ungültiger Ehe als schwerwiegender Loyalitätsverstoß bestimmt ist. Die Loyalitätspflicht, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, war im Hinblick auf die Art der Tätigkeiten des Klägers und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. Es handelt sich beim Chefarzt daher nicht um eine verkündungsnahe Tätigkeit.

Erneute Verfassungsbeschwerde?

Es stellt sich die Frage, ob der kirchliche Arbeitgeber erneut das Bundesverfassungsgericht anrufen wird und ob es zu einer Entscheidung kommt. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1986 entschieden, dass das Unionsrecht und die EuGH-Rechtsprechung nur solange Vorrang genießen, als dass ein wirksamer Grundrechtsschutz garantiert wird, der mit dem deutschen Grundgesetz im Wesentlichen übereinstimmt (BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986 - 2 BvR 197/83).

Das Bundesarbeitsgericht hat insofern bereits vorgegriffen und ausgeführt, dass das nationale Verfassungsrecht nicht entgegenstehe. Das Unionsrecht dürfe die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten. Der EuGH habe seine Kompetenzen daher nicht überschritten.

Wie es weitergeht bleibt abzuwarten.