Neuigkeiten zu einem Dauerbrenner: Die Preisbindung der zweiten Hand

Wie bereits durch uns berichtet, hat die Europäische Kommission kürzlich Entwürfe einer neuen Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO-E) sowie für neue Vertikal-Leitlinien (Vertikal-LL-E) veröffentlicht.

Ein Dauerthema im Bereich des Vertriebskartellrechts ist die Frage der Zulässigkeit von Vorgaben für den Verkaufspreis durch Anbieter (meist Hersteller, Großhändler oder Importeure) gegenüber Abnehmern (insbesondere Händlern). Art. 4 Buchst. a Vertikal-GVO-E weist bezüglich dieser sog. Preisbindung der zweiten Hand keinerlei Änderungen gegenüber der bestehenden Rechtslage auf. Weiterhin sind Fest- und Mindestpreise untersagt, während Höchstpreise und unverbindliche Preisempfehlungen zumindest unter den zusätzlichen Voraussetzungen der Vertikal-GVO vom Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt sind, sofern sie sich nicht infolge von Druck oder der Gewährung von Anreizen wie Fest- oder Mindestpreise auswirken.

In den Vertikal-LL-E hat die Kommission die Ausführungen zur Preisbindung der zweiten Hand allerdings im Detail ergänzt. Zudem fassen die Vertikal-LL-E die Ausführungen zu Art. 4 Buchst. a Vertikal-GVO und die weiteren Anmerkungen zu Beschränkungen der Verkaufspreise der Händler nunmehr in einem einheitlichen Abschnitt zusammen.

Dies nehmen wir zum Anlass, im Folgenden auf einige bedeutende Thematiken im Bereich der Preisbindung der zweiten Hand einzugehen.

Indirekte Preisbindung

Eine Preisbindung der zweiten Hand wird grundsätzlich nicht nur durch die ausdrückliche Vorgabe des Verkaufspreises erreicht, sondern auch durch indirekte Maßnahmen, die die Preissetzungsfreiheit der Händler beschränken. Die Kommission legt in Rn. 172 ff. Vertikal-LL-E wie schon in den bisherigen Vertikal-Leitlinien dar, welche Maßnahmen der Anbieter (indirekt) zu einer Preisbindung der zweiten Hand führen können. Derartige Maßnahmen können beispielsweise bestehen in

  • der Festlegung von Mindestabsatzspannen;
  • der Festlegung von Preisnachlässen, die ein Händler auf ein vorgegebenes Preisniveau höchstens gewähren darf;
  • Bestimmungen, nach denen die Erstattung von Werbeaufwendungen durch den Anbieter von der Einhaltung eines vorgegebenen Preisniveaus abhängig gemacht wird;
  • Bestimmungen, nach denen der vorgeschriebene Verkaufspreis an die Verkaufspreise von Wettbewerbern gebunden wird, sowie
  • Drohungen, Einschüchterungen, Warnungen, Strafen, Verzögerungen oder Aussetzungen von Lieferungen und Vertragskündigungen bei Nichteinhaltung eines bestimmten Preisniveaus.

Neu als indirektes Mittel zur Festlegung des Verkaufspreises hat die Kommission nunmehr auch sog. minimum advertised price policies („MAPs“) in die Vertikal-LL-E aufgenommen. Derartige MAPs untersagen es Händlern, Produkte unterhalb eines bestimmten Preises zu bewerben.

Preisüberwachungssysteme

Auch wenn Preisüberwachungssysteme dazu genutzt werden können, um Maßnahmen zur Preisbindung noch wirksamer zu machen, stellt die Kommission in Rn. 175 f. Vertikal-LL-E klar, dass derartige Maßnahmen an sich keine Preisbindung der zweiten Hand begründen. Sie könnten anderen Zwecken als der Preisbindung dienen, insbesondere der Erhöhung der Effizienz des Vertriebssystems. Dies gilt auch für software-gestützte Preisüberwachung.

Preisvereinbarung des Anbieters mit dem Endkunden

Aufschlussreich sind ferner die Ausführungen in Rn. 178 Vertikal-LL-E: Die Europäische Kommission stellt hierin klar, dass die Vorgabe eines Verkaufspreises gegenüber einem Vertragshändler den Wettbewerb nicht beschränkt i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn

  • der Anbieter den Preis direkt mit dem Endkunden vereinbart hat,
  • die Preisbindung Teil eines „Ausführungsvertrags“ zwischen dem Anbieter und dem Vertragshändler bezüglich der Vereinbarung zwischen dem Anbieter und dem Endkunden ist und
  • der Endkunde auf sein Recht verzichtet hat, den den Vertrag mit dem Anbieter ausführenden Vertragshändler selbst auszuwählen.

Die Kommission geht davon aus, dass in einer solchen Konstellation ohnehin kein Preiswettbewerb mehr bestehe. Bisher war die Auffassung weit verbreitet, dass sogar die Vereinbarung eines Höchstpreises zwischen dem Anbieter und dem Endkunden eine Kernbeschränkung begründet.

Preisbindung der zweiten Hand kein per se Kartellverstoß

Ausdrücklich weist die Kommission in Rn. 181 Vertikal-LL-E darauf hin, dass die Preisbindung der zweiten Hand – wie jede andere Kernbeschränkung – als solche nicht per se gegen das Kartellverbot verstößt. Auch Kernbeschränkungen könnten nach Art. 101 Abs. 3 AEUV einzelfreigestellt sein. Nach wie vor hält die Kommission daher unter bestimmten Umständen für möglich, dass Maßnahmen der Preisbindung der zweiten Hand Effizienzen begründen und daher trotz Verwirklichung des Tatbestands des Art. 4 Buchst. a Vertikal-GVO die Voraussetzungen der Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen.

Wie bereits in den bisherigen Vertikal-LL nennt die Kommission in Rn. 182 Vertikal-LL-E beispielhaft die folgenden drei Fallgruppen, in denen Vorgaben zu Verkaufspreisen gegenüber den Händlern unter bestimmten Voraussetzungen vom Kartellverbot freigestellt sind:

  • Ein neues Produkt wird eingeführt.
  • Der Anbieter führt eine kurzfristige Sonderangebotskampagne (zwei bis sechs Wochen) in einem Vertriebssystem mit einheitlichen Vertriebsmethoden (bspw. Franchise-System) durch.
  • Die durch die Preisbindung gewonnene zusätzliche Marge versetzt die Händler in die Lage, (zusätzliche) erforderliche Kundenberatung vor dem Verkauf anzubieten, insbesondere im Fall von Erfahrungsgütern oder komplizierten Produkten.

Nicht zufriedenstellend ist, dass der Anbieter in diesen Fällen nicht nur beweisbelastet in Bezug auf die Einzelfreistellungsfähigkeit der Preisbindung ist, sondern auch bezüglich der Einzelfreistellungsfähigkeit aller anderen Wettbewerbsbeschränkungen innerhalb der Vertriebsvereinbarung. Auch für diese Wettbewerbsbeschränkungen entfällt nämlich die Gruppenfreistellung gem. Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO wegen der Verwirklichung des Tatbestandes der Kernbeschränkung des Art. 4 Buchst. a Vertikal-GVO.

Was fehlt?

Bedauerlich ist, dass die Kommission nach derzeitigem Stand die Gelegenheit nicht nutzt, sich in den neuen Vertikal-Leitlinien mit noch weiteren Fallkonstellationen auseinander zu setzen. Zu nennen sind beispielsweise

  • Kalkulationshilfen im Sinne einer hypothetischen Berechnung der Margeneffekte,
  • die der Produktionsplanung des Anbieters dienende Festlegung der Zeiträume der von ihm geförderten Aktionen in den Jahresgesprächen, oder
  • vom Anbieter gegenüber den Händlern garantierten Margen.

Derartige Absprachen hält das Bundeskartellamt in seinen Hinweisen zum Preisbindungsverbot im Bereich des stationären Lebensmitteleinzelhandels unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig.

In diesen Hinweisen zum Preisbindungsverbot geht das Bundeskartellamt auch wesentlich eingehender auf Detailfragen ein. Insbesondere stellt das Bundeskartellamt den fließenden Übergang zwischen Festpreisen und unverbindlichen Preisempfehlungen wesentlich detaillierter dar. Ein wesentlicher Aspekt ist die die Preisgestaltung bestreffende aber über die Empfehlung eines Preises hinausgehende Kommunikation zwischen Anbieter und Händler, beispielsweise Zusagen des Händlers oder das Verlangen einer Zusage durch den Anbieter.

Ergebnis

Die Kommission hat das Verbot der Preisbindung der zweiten Hand im Entwurf der neuen Vertikal-Leitlinien nicht neu erfunden, allerdings einige interessante Ergänzungen vorgenommen. Noch detailliertere Ausführungen zu bestimmten Aspekten finden sich in den Hinweisen zum Preisbindungsverbot des Bundeskartellamtes.

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